Süddeutsche Zeitung

Europäische Forderungen an Angela Merkel:Warum Deutschland mehr zahlen soll

Die Deutschen haben ihren Sparkurs durchgesetzt, die Deutschen sind Gewinner der Euro-Krise - deshalb sollen sie nun auch mehr zahlen. Italiens Premier Monti hat diese Forderung anklingen lassen, jetzt hört Kanzlerin Merkel sie immer häufiger. Frankreich und der Rettungsschirm EFSF ohne Top-Bonität, Griechenland am Abgrund: Die Euro-Rettung scheint noch einmal teurer zu werden.

Cerstin Gammelin, Brüssel

Diese Woche, so hat es Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy entschieden, ist er daheim in Paris unabkömmlich. Er wird nicht nach Rom reisen. Dorthin hatte der italienische Premier Mario Monti für kommenden Freitag zu einem Dreiergipfel mit Bundeskanzlerin Angela Merkel eingeladen, vor allem, um Wege aus der Euro-Krise zu besprechen. Es sollte um Jobs gehen, um Hilfen für Unternehmen - und um die europäischen Rettungsfonds.

Diese Fonds, gegründet, um Euro-Ländern notfalls zu helfen, mussten schon mehrmals nachgebessert werden. Und jetzt steht ein ganz neues Problem im Raum: Woher sollen einige der Euro-Länder, die ihre Schulden teuer am Markt finanzieren müssen, die Milliarden nehmen, die sie bis Mitte des Jahres in den geplanten ständigen Euro-Rettungsfonds ESM einzahlen sollen?

Der Ruf nach deutscher Solidarität könnte in den nächsten Tagen immer lauter werden, vor allem, weil die Bundesregierung sogar Boni einstreichen kann, wenn sie neue Staatsanleihen ausgibt. Wo andere Länder bis zu sieben Prozent Zinsen zahlen müssen, bekommt Deutschland noch Geld hinterhergeworfen - da liegt es für einige Regierungschefs nahe, über gemeinsame Finanzierungsmöglichkeiten nachzudenken.

Das weiß auch Sarkozy, und doch hat er den Gipfel mit Monti und Merkel verschieben lassen. Wichtiger ist ihm jetzt, innenpolitisch zu punkten. Der Staatspräsident kämpft um seine Wiederwahl. Dass die amerikanische Rating-Agentur Standard & Poor's der französischen Regierung vergangenen Freitag schwindende Kreditwürdigkeit attestierte, passt überhaupt nicht in seinen Plan. Öffentlich zeigte sich der Franzose ob der verlorenen Bestnote zwar gelassen, aber innenpolitisch kämpft er umso verbissener, um das Vertrauen der Rating-Agentur, vor allem aber das seiner Landsleute zurückzugewinnen. Noch in dieser Woche will der Franzose einen nationalen Gipfel für Beschäftigung abhalten und ein neues Reformprogramm vorstellen. Das erfordert viel Vorbereitung, und so bleibt er in Paris, Euro-Krise hin oder her.

Montis Mantra: Deutschland soll helfen

Dass das europäische Dreier-Treffen ausfällt, ist zwar ein Rückschlag für Monti, aber der Italiener wird sich nicht entmutigen lassen. In den zwei Monaten, die er nun das krisengeschüttelte Italien regiert, hat der Premier gebetsmühlenartig wiederholt: Deutschland muss uns helfen. Deutschland hat eine Schlüsselrolle in der Krise. Es ist im eigenen Interesse Deutschlands, sich stärker zu engagieren. Es sind die Sätze, die Angela Merkel beinahe jeden Tag in der Zeitung lesen oder im Radio hören kann. Es sieht so aus, als bereite Monti den Boden für ganz konkrete Forderungen, die schon bald auf Berlin zukommen könnten, und nicht nur aus Italien.

Da ist zunächst das Problem Griechenland. Bis Ende des Monats prüft die Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds, wie es in dem Land aussieht. Dann, auf dem EU-Gipfel am 30. Januar, wird im Prinzip feststehen, ob das geplante zweite Hilfspaket in Höhe von 130 Milliarden Euro ausreicht. Oder ob das Land mehr Geld braucht, um langfristig wieder auf die Beine zu kommen. Und dann muss auch die Bundesrepublik, wie alle anderen Euro-Länder, Farbe bekennen, ob sie überhaupt noch mehr Kredite bewilligen will - und, ganz grundsätzlich prüfen, ob die bisherigen Rettungsaktionen dem Land überhaupt geholfen haben.

Eine Woche früher, bereits am kommenden Montag, muss sich Finanzminister Wolfgang Schäuble erklären. Dann tagen in Brüssel die Finanzminister der 17 Euro-Länder, und es geht ganz konkret darum, welches Land wann wie viele Milliarden zahlen kann, um das Kapital für den ständigen Euro-Rettungsfonds ESM zu bilden.

Die Zeit drängt, denn der bisherige Euro-Rettungsfonds EFSF überzeugt die Anleger nicht, er ist zu fragil und zu kompliziert konstruiert. Der neue Fonds ESM soll deshalb bereits Mitte des Jahres seine Arbeit aufnehmen; er soll robust und stabil sein. Damit das gelingt, haben die Euro-Länder vergangenes Jahr beschlossen, den ESM mit richtigem Geld auszustatten. 80 oder sogar 100 Milliarden Euro soll der Fonds als Grundkapital bekommen, Mitte des Jahres soll schon ein Fünftel von den Anteilseignern, also den Euro-Ländern, eingezahlt sein. Die Idee dahinter klingt einleuchtend: Wenn der ESM einen Kapitalstock besitzt, hängt seine Kreditwürdigkeit nicht mehr so stark von der Bonität seiner Anteilseigner ab, wie das jetzt beim EFSF der Fall ist, dessen Bonität Standard & Poor's gerade herabgestuft hat. Der EFSF besitzt kein Kapital. Die Kredite, die er aufnimmt, werden nur durch Garantien der Anteilseigner besichert. Senken die Rating-Agenturen über diese den Daumen, verliert auch der Fonds an Kraft.

In den nächsten Wochen müssen die Euro-Länder beweisen, dass der Plan klappt. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass das alles andere als einfach wird. Die Bundesregierung geht davon aus, dass sie ihren Anteil von rund 27 Prozent wie geplant einzahlen kann. In einigen anderen Ländern wie Luxemburg, Finnland oder Österreich dürften die Hürden auch überwindbar sein. Doch schon in den Niederlanden und Finnland sind innenpolitische Querelen zu erwarten. Schwerer wiegt jedoch, dass große Länder wie Spanien oder Italien und überhaupt alle Länder, die bereits streng sparen und reformieren, absehbar keinen einzigen Cent übrig haben werden. Die Bürger dort werden kaum einsehen, ihre Steuern für noch mehr Zinsen herzugeben, wenn andere Euro-Länder, vor allem Deutschland, so offensichtlich an der Krise verdienen.

Monti ist kein Mann der schnellen Worte. Der Italiener weiß genau, wovon er redet. Da wiegt es umso schwerer, dass er in seinem jüngsten Interview erneut vor antieuropäischen Stimmungen warnte. Sollten Deutschland und die anderen Gläubigerstaaten die Länder an der Peripherie der Euro-Zone nicht stärker unterstützen, könnten die Wähler dort "heftige Gegenbewegungen" anstoßen.

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SZ vom 18.01.2012/bbr
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