Europäische Bankenkrise:Die Zeitbombe ist noch nicht entschärft

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Im Spiel Banken gegen Staaten ist erst Halbzeit. Noch sind die Finanzhäuser zu groß, zu riskant, zu gut behütet von den Regierungen. Das Risiko für die Steuerzahler steigt, von den Bankenrettungen profitieren dagegen reiche Aktionäre. Dabei gibt es auch andere Ideen.

Catherine Hoffmann

Eine Billion Euro hat die Europäische Zentralbank in die Banken gepumpt. Doch die Hoffnung, damit Zeit zu gewinnen, erweist sich als Illusion. Nach kurzer Pause kehrt die Bankenkrise nach Europa zurück. "Wir haben erst Halbzeit in der Krise, die zweite Halbzeit wird noch gespielt", sagt Harald Hau, der an der Universität Genf Finanzwissenschaften lehrt.

In Frankfurt am Main auf der Baustelle für die neue Zentrale der Europäischen Zentralbank: Blick auf die Skyline. (Foto: dpa)

Spanien verlangt Milliardenhilfen für seine Krisenbanken, die wackelige Hypothekenkredite in den Büchern haben. Vor nötigen Abschreibungen schrecken sie zurück, weil ihre Kapitaldecke zu dünn ist. Irland kennt das Problem: Dort hat man sich mit der Rettung maroder Banken übernommen und wurde selbst Sanierungsfall. Jetzt fordert Regierungschef Enda Kenny, dass wankende Institute künftig vom Euro-Rettungsfonds aufgefangen werden.

Die Lage ist brenzlig - nicht nur, weil die Banken blind darauf vertraut haben, dass Staatsanleihen ein sicheres Investment sind. Brisant ist sie auch, weil Bankchefs wie Josef Ackermann jahrelang Eigenkapitalrenditen von 25 Prozent anstrebten. Solche Versprechen lassen sich aber nur durch immer größere Bilanzen bei gleichem - unzulänglichem - Eigenkapital einlösen. Die exzessiven Profite waren nur durch höhere Risiken zu haben.

"Keeping up with Goldman" beschreibt spöttisch Andrew Haldane das Phänomen. Haldane ist Experte der Bank von England für Finanzstabilität, seine Stichelei eine Abwandlung der Redewendung "Keeping up with the Joneses", die das endlose Wetteifern mit den Nachbarn umschreibt: Wer hat das größere Haus und das schnellere Auto? Die Banken lieferten sich einen ähnlich Wettstreit mit Goldman Sachs, der Gewinnmaschine an Wall Street.

Haldane hat 200 Jahre britischer Bankgeschichte aufgearbeitet, um seine These mit Zahlen zu untermauern. Sie sind exemplarisch für den Größenwahn einer ganzen Branche, weltweit. Vor 150 Jahren war es üblich, dass die Banken die Hälfte ihrer Verbindlichkeiten mit Eigenkapital unterlegten. Und heute? Kommen auf einen Euro Eigenkapital, 20 Euro Kredit - in den wilden Zeiten vor der Krise war der Kredithebel sogar noch viel größer (30 zu 1).

Mit wenig Eigenkapital haben die Banken ein immer größeres Rad gedreht; sie haben sich kurzfristig am Geldmarkt finanziert, statt über Bankeinlagen von Sparern - und das gewünschte Resultat erreicht: Die Eigenkapitalrenditen schnellten in den 1990er und 2000er Jahren von geringen einstelligen Zahlen auf mehr als 30 Prozent - um nach Platzen der Blase jäh abzustürzen. "Nahezu der gesamte Anstieg der Eigenkapitalrendite kann durch erhöhten Krediteinsatz erklärt werden", sagt Haldane. "Der Preis dafür war ein enorm erhöhtes Risiko."

Controlling und Risikomanagement haben mit dem rasanten Wachstum nicht Schritt gehalten. Hinzu kamen falsche Anreizsysteme für Banker, die einseitig auf den Profit für die Bank abzielten und das damit verbundene Risiko ignorierten - auch weil es schwer zu fassen ist. "Nehmen sie eine deutsche Großbank", sagt Hau. "Die besteht aus einem Netzwerk von mehr als 3000 verschiedene eigenständige Rechtspersonen. Ein solches Netzwerk ist vom Standpunkt des Risikomanagements unüberschaubar und kann - vergleichbar der sozialistischen Planwirtschaft - zu einer großen Wertevernichtungsmaschine werden, wenn die erwirtschafteten Gewinne nicht um die eingegangen Risiken bereinigt werden." Meist seien solche Risikokorrekturen aber unterlassen oder verfälscht worden. Die Finanzkrise, sagt Hau, sei also keine Krise der Finanzmärkte, wie oft behauptet, sondern "in erster Linie eine Krise der Großbanken als Organisationsform".

Ddie Skyline von Frankfurt: Nach kurzer Pause kehrt die Bankenkrise nach Europa zurück. (Foto: Bloomberg)

Die Banker kümmert das bis heute wenig. Ihre Gehälter schnellten mit den Gewinnen in die Höhe. 1989 verdienten die Chefs der sieben größten US-Banken durchschnittlich 2,8 Millionen Dollar. Das war ungefähr 100 Mal so viel wie ein durchschnittlicher Haushalt einnahm. 2007, auf dem Höhepunkt des Booms, kassierten die Spitzenbanker 26 Millionen Dollar, das 500-Fache des Durchschnittsamerikaners.

Heute genehmigen sich amerikanische Spitzenbanker schon wieder zweistellige Millionen-Gehälter. Immerhin sorgt die mangelnde Bescheidenheit für Unmut: Als die Citigroup, ein Institut, das sein Überleben staatlicher Hilfe verdankt, ankündigte, Vorstandschef Vikram Pandit 15 Millionen Dollar zahlen zu wollen, rebellierten die Aktionäre gegen das obszöne Salär.

Dirk Bezemer, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Groningen, hat eine Erklärung für das krasse Missverhältnis zwischen Finanz- und Realökonomie. Er unterscheidet zwischen guten und schlechten Krediten. Gut ist Geld, das reale Investitionen finanziert und so das Wirtschaftswachstum fördert. Schlecht sind Kredite für Finanz- und Immobiliengeschäfte. Individuell mag der Kauf eines Wertpapiers zwar profitabel sein, für eine Volkswirtschaft ist er aber ein Nullsummenspiel, das nicht zu Wertschöpfung führt.

Beispiel USA: Die Kredite für reale Investitionen waren dort zwischen den 1950er Jahren und dem Ausbruch der Finanzkrise 2007 weitgehend konstant - und nicht höher als die jährliche Wirtschaftsleistung. Anders in der Finanzwirtschaft: Deren Schulden waren Anfang der 50er zwar auch nur so hoch wie die Wirtschaftsleistung, 1980 erreichten sie aber das 2,5-Fache des Bruttoinlandsprodukts, 2007 sogar das 5,8-Fache. Kurz vor der Lehman-Pleite war die amerikanische Finanzindustrie gut drei mal größer als 1980, ein gigantisches Wachstum.

Bis heute fließen die weitaus meisten Kredite nicht in Investitionen für neue Fabriken, sondern in spekulative Börsen- und Immobiliengeschäfte. Damit ist einfach mehr zu verdienen als mit der Herstellung von Autos, Schuhen oder Pillen. "Das schadet der Wirtschaft", glaubt Bezemer. Zur Erinnerung: Zwischen 1980 und 2000 stieg der Dow Jones Aktienindex von unter 1000 auf 10 000 Punkte, dank der Geldschwemme.

Nicht immer war die Finanzindustrie so mächtig wie heute. Ihr Aufstieg begann vor 26 Jahren - und das war eine Folge politischen Handelns. Mit einem Gesetzpaket entfesselte Margaret Thatcher, die ehemalige britische Premierministerin, am 27. Oktober 1986 die Finanzbranche. Die Folgen ihres "Big Bang" sind bis heute zu spüren. Er machte Schluss mit der Trennung zwischen Fremd- und Eigenhandel an der Börse; die City öffnete sich ausländischen Firmen; und der Computerhandel beschleunigte die Geschäfte. Der Staat wurde zurückgedrängt.

Dieses Denken teilte Ronald Reagan, wurde mit der Deregulierung unter Clinton und George W. Bush noch stärker. Und sickerte auch nach Deutschland ein. Neue Finanzinstrumente, die Derivate, wurden geschaffen, mit denen sich die Preisschwankungen auf den internationalen Kapitalmärkten ausnutzen ließen. Die Erfindung von Verbriefungen, Zins-Swaps, CDS ließen das Handelsvolumen der Banker enorm anschwellen, mit kleinem Einsatz konnten sie viel bewegen.

Als dann die Kreditblase platzte, ließ man die Banken wegen ihrer Systemrelevanz nicht pleite gehen. "Hätte man die Marktlogik angewendet, wären die großen Banken verschwunden", sagt Hau. Aus Angst vor den Folgen hebelte die Politik aber den Zusammenhang zwischen Gewinn und Risiko aus, der Steuerzahler musste einspringen. Und demnächst vielleicht der Euro-Rettungsfonds. Hau hält dies für einen Fehler. "Die Banken müssen sehr viel kleiner werden und oftmals neue Eigentümer bekommen."

Die Idee: Statt Banken mit staatlichen Krediten zu päppeln, sollten ihre Aktionäre für ein dickes Eigenkapitalpolster sorgen. Wo dies nicht gelingt, werden die Institute durch den Staat zwangsweise mit Kapital versorgt, indem der Finanzminister neue Aktien zum Marktpreis erwirbt. Dadurch verlieren die Altaktionäre Einfluss - und Geld.

Die Steuerzahler aber werden Miteigentümer, haben Anspruch auf Dividende, sobald die Gewinnschwelle erreicht wird. Hau findet das nur gerecht. "Wer sind die Bankaktionäre?", fragt er und antwortet gleich selbst: "Das Aktienkapital ist im Wesentlichen bei den fünf Prozent Reichsten der Welt konzentriert. Ein Rettungsschirm für die Banken in Form von Krediten bedeutet eine Subventionierung der Bankaktionäre und damit eine Umverteilung vom Steuerzahler zugunsten den Reichsten dieser Welt." Noch lässt sich das Blatt wenden. Es ist erst ja Halbzeit im Spiel Banker gegen Staat.

© SZ vom 27.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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