Europa und die Flüchtlinge:"Jedes Arbeitsverbot ist einfach fatal"

Der österreichische Kanzler plädiert dafür, keinen Wettbewerb um den höchsten Zaun zu führen - und Kanzleramtschef Peter Altmaier entdeckt die Lässigkeit.

Von Cerstin Gammelin

Geradezu lässig parierte Peter Altmaier am Donnerstag auf dem Wirtschaftskongress der Süddeutschen Zeitung in Berlin die Fragen im Kreuzverhör. CSU-Chef Horst Seehofer legt in Umfragen im Vergleich zur Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden Angela Merkel zu? "Ja, und?" Altmaier lächelt die daraufhin im Saal schwebende Frage weg, ob Bundeskanzlerin Angela Merkel wegen eines Machtverlustes bald abgelöst werden könnte. "Es ist mir lieber, dass Unionspolitiker Boden gutmachen als die Opposition". Weiter: Wird aus Deutschland ein anderes Land, jetzt, da Hunderttausende Fremde kommen? Aber nein. Von den Asylbewerbern seien "viele unglaublich neugierig" auf Land und Kultur. Außerdem habe Deutschland "die Kraft, diese Menschen zu stolzen selbstbewussten Bürgern dieses Landes zu machen, weil es für sie die freieste Gesellschaft ist, in der sie gelebt haben".

Altmaier war der erste Politiker, der sich am Donnerstag dem Kreuzverhör stellen musste. Vor dem CDU-Politiker hatte schon ein Sozialdemokrat gesprochen, Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann. Für ein Kreuzverhör hatte der Bundeskanzler zwar keine Zeit, weil Merkel ihn anschließend im Bundeskanzleramt erwartete. In einer emotionalen Rede hatte Faymann für die Einheit Europas geworben. Die Antwort auf den Terror in Paris "kann nur ein Zusammenrücken sein". Er warnte vor "Guru-artigen Politikern", die glauben machen wollten, mit einfachen Antworten und Kontrollen könnten Flüchtlinge bewegt werden, sich nicht mehr auf den Weg zu machen, ein besseres Leben zu suchen. Es gehe nicht darum, einen "Wettbewerb um den höchsten Zaun" zu führen. Flüchtlinge seien Opfer, nicht Täter.

Europa und die Flüchtlinge: "Flüchtlinge sind Opfer, nicht Täter", sagt der Österreichische Bundeskanzler Werner Faymann auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel in Berlin.

"Flüchtlinge sind Opfer, nicht Täter", sagt der Österreichische Bundeskanzler Werner Faymann auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel in Berlin.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die Antwort auf den Terror in Paris "kann nur ein Zusammenrücken sein", sagt Werner Faymann

Als Faymann aus dem Saal eilte, war klar, dass er einer derjenigen ist, die Merkels Suche nach einer europäischen Lösung der Flüchtlingskrise voll unterstützen. Beim späteren gemeinsamen Auftritt der beiden Regierungschefs wurde wie schon zuvor auf dem SZ-Wirtschaftskongress deutlich, dass das Ringen um die Lösung der Flüchtlingskrise parteipolitische Rivalitäten verblassen lässt. Zumindest auf Regierungsebene. Beinahe wörtlich wiederholte Faymann die Worte Merkels, dass Anfang September eine humanitäre Katastrophe hätte ausbrechen können, wenn die Grenzen nicht geöffnet worden wären. "Menschen, die 2000 Kilometer gelaufen sind, lassen sich nicht abhalten durch Verbote oder Erklärungen", widersprach Faymann der Annahme, dass die Grenzöffnung Anfang September den massenhaften Andrang von Flüchtlingen nach Österreich und Deutschland ausgelöst hätte. Armee und Polizei hätten eingesetzt werden müssen, um die flüchtenden Menschen zurückzudrängen. "Es wäre wie Sand in die Augen der Bürger Europas zu streuen, wenn wir sie glauben machen würden, man könne ein Kontrollsystem aufbauen, damit weniger Flüchtlinge kommen".

Faymann warb wie Merkel dafür, die Ursachen anzupacken. Also, die Lebensbedingungen in den Flüchtlingscamps zu verbessern. Und die europäischen Außengrenzen zu schützen, in Zusammenarbeit mit der Türkei. Ausdrücklich erwähnte Faymann, dass das alte europäische System, wonach die Länder, in denen die Flüchtlinge erstmals EU-Boden betreten, auch dort versorgt und registriert werden müssen, nicht mehr zu erfüllen ist. "Griechenland und Italien schaffen das nicht allein". Für die zivilgesellschaftliche Umrahmung der Flüchtlingsdebatte sorgten Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, und der ehemalige Fußballnationalspieler Arne Friedrich. Hüther kritisierte den "Kontrollverlust" der Bundesregierung über den Zustrom an Flüchtlingen ins Land. Er forderte, Asylbewerber sofort in den Arbeitsmarkt zu lassen. "Jedes Arbeitsverbot ist einfach fatal", sagte er. Zudem müsse der Mindestlohn flexibler gehandhabt werden dürfen. Ankommende seien in den Arbeitsmarkt "einzusteuern". Hüther umschrieb dies als "Praktikum mit zeitlich begrenztem Aussetzen des Mindestlohns".

Hüther bestätigte Merkels Analyse, dass der Flüchtlingszuzug nicht erst Anfang September durch den Beschluss von Merkel und Faymann ausgelöst worden sei. "Die Flüchtlinge kamen schon 2014, nicht erst jetzt." Vorzuwerfen sei der Bundesregierung allerdings, dass sie nicht darauf reagiert habe, sondern jetzt einen "Kaltstart" hingelegt habe, eben mit vielen Unzulänglichkeiten. Dass eine Katastrophe bisher ausgeblieben sei, sei der deutschen Zivilgesellschaft zu verdanken. "Noch nie ist in Deutschland so viel spontan getan worden, um Menschen und Jugendliche zu integrieren", noch nie habe sich die deutsche Zivilgesellschaft so spontan organisiert. Genau davon berichtete dann Ex-Fußballprofi Friedrich, der an Schulen ein Fußball-Pilotprojekt mit Flüchtlingskindern initiiert hat.

Immerhin, gelacht wurde auch. Ausgerechnet Altmaier, der auf der Bühne wirkte wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung, löste die Heiterkeit aus. Er drohte sich zu verheddern bei der Antwort auf die Frage, welche Schlüsse er daraus ziehe, dass Merkel in den Umfragen an Zustimmung in der Bevölkerung verliere. Müsse nicht die Flüchtlingspolitik geändert werden? Ach was! Altmaier zitierte ein Meinungsforschungsinstitut nach dem anderen, um zu beweisen, dass es so schlecht gar nicht aussehe. Während er sprach, schwante ihm offenbar, dass er so den ohnehin unter den Bürgern vorhandenen Eindruck verfestigen könnte, wonach die Bundeskanzlerin gern an Umfragen entlang regiere. Altmaier unterbrach sich - und rutschte unfreiwillig ins Drollige ab: "Wir sehen überhaupt nie nach Umfragen." Die Zuschauer goutierten den Lapsus mit viel Gelächter. Schnell fand der Merkel-Vertraute allerdings seine Lässigkeit zurück - und spielte die angebliche Umfragehörigkeit an die Zuhörer zurück. Wenn die Bürger immer auf Umfragen schauten, müsse ihnen doch auffallen, dass die Union besser dastehe als in der vergangenen Wahlperiode. Lässig klang das.

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