Die Debatte um Europas desaströse Finanzlage befindet sich in einer merkwürdigen Situation. Vor gut drei Wochen haben die Staats- und Regierungschefs in Brüssel einen neuen Rettungsmechanismus entwickelt, und obwohl dieser noch gar nicht in Kraft, ja noch nicht einmal parlamentarisch abgesegnet ist, debattiert die Öffentlichkeit schon das nächste Konzept: die Einführung von Euro-Bonds, also einer gemeinsamen Anleihe aller Euro-Länder.
Das verwundert zunächst ein wenig, weil es doch im Prinzip naheliegend wäre, den vermutlich von Herbst an umsetzbaren Brüsseler Beschlüssen erst einmal eine Chance zu geben. Allerdings ist es nachvollziehbarer, wenn man sich die Reaktionen auf diese Brüsseler Beschlüsse anschaut: Denn Angela Merkel, Nicolas Sarkozy & Co. haben mit diesem Treffen keineswegs für Ruhe und Klarheit gesorgt. Denn schon kurz danach gerieten Italien und Spanien unter den massiven Druck der Finanzmärkte und die Börsen Europas in heftige Turbulenzen - nicht ausschließlich, aber doch zu einem gewichtigen Teil wegen der immer noch ungelösten Schuldenkrise in Europa.
Insofern ist es plausibel, wenn sich nun Politiker und Ökonomen Gedanken um Euro-Bonds machen. Zwar sind noch jede Menge Fragen offen und verdeckt das Schlagwort Euro-Bonds, dass ziemlich viele verschiedene Modelle vorstellbar sind. Zwar wollen Merkel und Sarkozy bei ihrem Treffen in Paris nicht über dieses Thema reden. Aber dennoch sind die Euro-Bonds das Tuschelthema des Treffens. Und in der Tat gibt es in der gefährlichen aktuellen Situation fünf gute Gründe, die für sie sprechen.
[] Erstens ist das inhaltlich eine dauerhafte Entscheidung - und eine, mit der sich die Politik von den Märkten unabhängiger machen würde. Die unzähligen Krisentreffen und Krisentelefonate, die Hilfspakete für Griechenland, die Rettungsmechanismen für Portugal und Irland und die anderen angeschlagenen Staaten der Eurozone, die bald ein Sanierungsfall werden könnten, haben das nicht vermocht.
Mit der Einführung von Euro-Bonds wären Griechenland und alle anderen Krisenstaaten aus der Schusslinie, niemand müsste sich mehr Gedanken um eine Zahlungsunfähigkeit eines Eurolandes machen.
[] Zweitens sind die Folgen für Deutschland nicht so gravierend, wie es die Skeptiker gerade darstellen. Das Wort sei nur eine Übersetzung für "Wir zahlen für die Schulden der anderen", spottet die Bild-Zeitung. Doch das ist keineswegs zwingend der Fall.
Euro-Bonds bedeuten zunächst einmal nichts anderes als eine neue, dafür gemeinsame Bewertung der europäischen Kreditwürdigkeit. Die Zinsen auf Staatsanleihen der Krisenstaaten sind aktuell so hoch, weil sich in ihnen die Gefahr eines Staatsbankrotts ausdrückt. Doch diese Gefahr würde es bei Euro-Bonds nicht mehr geben, weil ja nun alle Eurostaaten für alle anderen Eurostaaten haften würden.
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Die griechische Zustimmung zum Sparpaket ist ja schön und gut - doch die wirtschaftlichen Rahmendaten sind immer noch beängstigend. Doch in Europa gibt es auch noch größere Defizitsünder als Griechenland.
Von den Ratingagenturen bekämen Euro-Bonds sicherlich die Note AAA. Wahrscheinlich würde sich der Kurs gegenüber den aktuellen Werten für Deutschland (knapp unter 2,5 Prozent) nur minimal erhöhen. Theoretisch wäre es sogar denkbar, dass der Zinssatz für die neuen Anleihen niedriger ausfallen würde als der jetzige Zinssatz für deutsche Anleihen.
Pessimisten schätzen, die Einführung der Bonds würde 47 Milliarden Euro jährlich kosten. Doch selbst in diesem Fall müsste man immer aufrechnen, was die Deutschen ihre bisherigen Zusagen, Bürgschaften und Garantien kosten würden - sollte in einem der Krisenländer der absolute Ernstfall eintreten.
[] Drittens zwingen Euro-Bonds Europa politisch dazu, die Integration voranzutreiben. Denn wenn sich Griechenland, Italien & Co. Euro-Bonds wünschen, um aus der Schusslinie der Finanzmärkte zu geraten, dann müssten sie auch Gegenleistungen bringen. "Ich schließe Euro-Bonds aus, solange die Mitgliedstaaten eine eigene Finanzpolitik betreiben", hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in seinem am Wochenende vieldiskutierten Interview mit dem Spiegel gesagt. Wichtiger als der Hauptsatz ist dabei der Nebensatz: "Solange die Mitgliedstaaten eine eigene Finanzpolitik betreiben."
Voraussetzung wäre also, dass die Krisenländer (und natürlich auch die Nicht-Krisenländer) Kompetenzen abgeben müssten. Es könnte dann beispielsweise zu einer Fiskalunion kommen, einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung, einer Harmonisierung der Steuerpolitik, einem neuen Stabilitätspakt, verschärften Sanktionen - und sogar konkreten Eingriffen in die nationalen Haushalte.
[] Viertens ist damit ideell der Zeitpunkt für ein Bekenntnis gekommen. Wollen wir wirklich ein großes gemeinsames Europa, ja oder nein? Bislang lässt sich die europäische Integration zugespitzt so zusammenfassen: Die Rosinen picken wir gerne heraus, die problemlose Reise nach Italien und nach Estland, das Tanken und Arbeiten in Luxemburg und Österreich, die Vorzüge einer gemeinsamen Währung. Doch wenn es an die wirklich harten, an die existenziellen Fragen geht, erlischt der Integrationswille rasch.
Der bisherige Krisenmechanismus trägt nicht dazu bei, das Europa-Gefühl zu verstärken. Er hat etwas von einem kühlen Verhältnis zwischen zwei und mehr Staaten, vom Leihen und Bürgen beziehungsweise im Notfall vom Schenken und Almosengeben. Wenn sich Deutschland und Zypern, Frankreich und Griechenland wirklich als eine "europäische Familie" fühlen möchten, wären Euro-Bonds ein guter Schritt auf dem Weg dorthin.
[] Fünftens ist psychologisch die Einführung von Euro-Bonds ein wichtiges Signal an die Bevölkerung. Damit würde etwas mehr Ehrlichkeit in die Debatte kommen. Denn bislang wehren sich die Politiker vehement dagegen, dass Europa zu einer Transferunion wird - allerdings nur verbal. Wer sich die bisherigen Krisenmaßnahmen und -pakete anschaut, der kann durchaus zu dem Schluss kommen: Europa ist schon jetzt und schon lange eine Transferunion, und die Einführung von Euro-Bonds entsprechend gar nichts so revolutionär Abstößiges.
Dass Merkel und Sarkozy das Thema offiziell nicht erörtern wollen, folgt wohl auch einem Kalkül. Denn damit die Idee nicht im Chaos der bisherigen Rettungskonzepte versinkt, braucht sie vor allem eines: Zeit für eine durchdachte und kluge Konzeption.