Europa:Schwieriger Start

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Auf die Mitglieder der neuen EU-Kommission warten große Herausforderungen. Brexit, der Handelsstreit mit den USA, der Haushalt, die Zukunft des Euro: Das Team, das am 1. November loslegen soll, bekommt keine Schonfrist.

Von Björn Finke, Brüssel

EU-Wettbewerbshüterin Margrethe Vestager schlägt ein enges Korsett für verstaatlichte Betriebe vor. (Foto: Francisco Seco, AP)

Einen ruhigen Start wird die neue EU-Kommission unter ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen nicht haben. Stimmt das Europaparlament zu, treten die Deutsche und ihre 26 Kommissare am 1. November ihren Dienst in Brüssel an. Just an dem Tag könnte Großbritannien ohne Vertrag aus der EU krachen, und selbst wenn die Briten den anderen Europäern dieses Drama ersparen, steht in den kommenden Monaten einiges Wichtiges an. Eine Übersicht über die heiklen Themen - und die zuständigen Kommissare:

Phil Hogan, Handel

Der Ire ist bislang Agrarkommissar, übernimmt aber im November das Handelsportfolio. Die britische Regierung will nach dem EU-Austritt einen Handelsvertrag mit Brüssel abschließen, damit keine Zölle oder andere Hemmnisse Geschäfte über den Ärmelkanal erschweren. Das fällt in die Verantwortung des 59-Jährigen, der pikanterweise die Brexit-Politik Londons häufig scharf kritisiert hat. Eine Kostprobe von Hogans Meinungsfreude erhielt auch die US-Regierung. Kurz nach seiner Ernennung durch von der Leyen am Dienstag nannte der Ire die Handelspolitik von Präsident Donald Trump "leichtsinnig".

Der Handelsstreit mit den Vereinigten Staaten wird die erste große Herausforderung für Hogan. Washington droht, Mitte November Sonderzölle auf Autos und Autoteile einzuführen. Die EU würde darauf mit eigenen Zöllen reagieren. Außerdem stehen bis Jahresende zwei Entscheidungen der Welthandelsorganisation WTO zu Subventionen für die Flugzeughersteller Boeing und Airbus an. Das könnte weitere Strafzölle zur Folge haben.

Zu allem Unglück wird das WTO-Schiedsgericht von Dezember an wohl nicht mehr arbeitsfähig sein, weil Trump die Berufung neuer Richter blockiert. Der Präsident hält nichts von der Idee, dass internationale Organisationen Urteile über die mächtigen USA fällen können. Die EU hingegen will die weltweite Handelsordnung - und die WTO als Streitschlichter in dem System - verteidigen. Von der Leyen sagte bei der Vorstellung der Kommission, die EU solle "Hüter des Multilateralismus" sein, also einer globalen Ordnung, die auf Regeln und Zusammenarbeit beruht.

Kritik gibt es am Freihandelsvertrag mit dem südamerikanischen Wirtschaftsblock Mercosur, weil Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro nicht genug gegen die Waldbrände am Amazonas tut. Doch hiermit muss sich Hogan nicht so bald herumschlagen. Bis Juristen die Details des Texts festgezurrt haben und alles übersetzt ist, vergeht viel Zeit, mindestens bis Ende 2020. Erst danach beschäftigen sich Ministerrat und Europaparlament mit dem Vertrag.

Johannes Hahn, Haushalt

Für den Österreicher Johannes Hahn wird der Start im neuen Job ebenfalls nicht leicht. Der 61-Jährige ist für den EU-Haushalt zuständig, und mit - aber auch zwischen - den Mitgliedstaaten stehen schwierige Verhandlungen über den Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 an. Mit Großbritannien fällt ein wichtiger Beitragszahler weg; zugleich hat Kommissionspräsidentin von der Leyen ein ehrgeiziges Programm vorgestellt. Sie will den Kampf gegen den Klimawandel verstärken, abgehängten Regionen helfen und Europa für den digitalen Wandel rüsten. Klingt alles schön, kostet jedoch.

Paolo Gentiloni, Wirtschaft

Der frühere italienische Premierminister ist als neuer Wirtschafts- und Währungskommissar unter anderem für den Euro-Stabilitätspakt zuständig. Dabei schaut ihm allerdings Exekutiv-Vizepräsident Valdis Dombrovskis über die Schultern; der Euro und Finanzen bleiben Aufgabengebiet des Letten. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt soll verhindern, dass Staaten zu viele Schulden anhäufen. Ausgerechnet Gentilonis Heimatland Italien steht hier unter kritischer Beobachtung. Außerdem gilt der Pakt als zu kompliziert und dringend reformbedürftig. Dabei gab es gerade erst ein Reförmchen beim politischen Rahmen der Gemeinschaftswährung. Auf Wunsch Frankreichs wurde ein Budgettopf für Euro-Staaten eingeführt, der Regierungen dabei unterstützen soll, die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaft zu stärken. Aber beim Euro heißt es: Nach der Reform ist vor der Reform - und der 64-jährige Gentiloni muss die widerstreitenden Interessen von Regierungen mit eher stark und eher schwach ausgeprägter Haushaltsdisziplin unter einen Hut bringen.

Sylvie Goulard, Binnenmarkt

Die französische Politikerin überwacht als Binnenmarkt-Kommissarin, ob Mitgliedstaaten die Regeln des Binnenmarkts korrekt anwenden oder ob es Hürden für Unternehmen aus dem EU-Ausland gibt. Außerdem soll die 54-Jährige eine neue Industriepolitik entwickeln, zusammen mit Margrethe Vestager, der Exekutiv-Vizepräsidentin für den digitalen Wandel. Die Kommission will die Bedingungen für Unternehmen verbessern und ihnen helfen, gegen mächtige Rivalen aus China und den USA zu bestehen sowie die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Das klingt zunächst nicht kontrovers, allerdings steckt der Teufel im Detail: etwa bei der Frage, ob und wie es chinesischen Staatskonzernen erschwert werden sollte, sich an Ausschreibungen zu beteiligen oder europäische Rivalen zu übernehmen.

© SZ vom 12.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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