Süddeutsche Zeitung

Eurokrise:Auf das Wachstum schauen

Erfolge bei der Überwindung der Eurokrise dauern, der Widerstand gegen notwendige Anpassungen in einigen Ländern ist unverändert. Doch es gibt Hinweise auf den richtigen Weg.

Von Alexander Hagelüken

Die zwei Meldungen sind zufällig am selben Tag zu lesen, aber ihr Aufeinandertreffen sagt etwas aus. Europas Statistikamt meldete am Montag, dass der Schuldenberg der Währungsunion 2012 weiter gestiegen ist, auf nun 90 Prozent der Wirtschaftsleistung. Gleichzeitig kamen Streikaufrufe einer großen Gewerkschaft gegen Sparpläne in Italien (127 Prozent Schulden) - als ob das Land seine Finanzen nicht in Ordnung bringen müsste. Ja, Erfolge bei der Überwindung der Eurokrise dauern.

Der Anpassungsprozess wird noch Jahre anhalten. Und ja, der Widerstand gegen notwendige Anpassungen ist unverändert - es wird noch viel starke politische Entscheidungen in den einzelnen Staaten und auf EU-Ebene brauchen, um die Währungsunion für die Zukunft zu sichern.

Wer sich das neue Schuldentableau der Statistiker genauer betrachtet, dem fällt einiges auf, das Hinweise auf den richtigen Weg gibt. Zum ersten ist es so, dass manche Länder ein Explodieren der Verbindlichkeiten durch Finanz- und Eurokrise verhindert haben. Dabei muss man noch nicht mal auf kleine Staaten wie Estland (unter zehn Prozent Schulden!) verweisen. Die skandinavischen Länder, ob im Euro oder nicht, navigieren sich mit Werten deutlich unter dem EU-Limit von 60 Prozent durch diese turbulenten Zeiten. Das liegt zum Beispiel daran, dass sie die Probleme ihrer Banken eher zu Lasten der Eigentümer statt der Steuerzahler zu lösen wissen.

Sorgen um Italien

Zum zweiten zeigt sich, dass die Schuldenhöhe allein gar nicht aussagt, wie weit ein Krisenland auf dem Weg zur Normalität ist. Irland etwa drücken fast 120 Prozent Schulden, also jener Wert, der von Ökonomen zunehmend als Grenzmarke zwischen beherrschbar und unmöglich angesehen wird. Trotzdem ist der Inselstaat guter Hoffnung, sich nächstes Jahr wieder über private Investoren statt die Euro-Partnerländer finanzieren zu können.

Während die hohen Schulden bei anderen Staaten für die Finanzmärkte ein Killerkriterium sind, verhält sich das bei Irland anders. Das liegt in erster Linie daran, dass das Land wirtschaftliche Reformen hinter sich gebracht hat, die dauerhaft Wachstum versprechen. Eine boomende Wirtschaft bietet die beste Garantie dafür, dass ein Land seine Kredite bedienen kann. Und deshalb sind die Investoren wieder bereit, den Iren ihr Vertrauen zu schenken. Einen weiteren Beleg für diese These liefert Italien. Das drittgrößte Euro-Mitglied hat anders als Irland noch keinen Cent aus den offiziellen Euro-Hilfstöpfen bekommen.

Trotzdem sorgen sich Ökonomen um Italien mit am meisten. Und zwar weniger wegen des hohen Schuldenbergs von 127 Prozent: Weil viele Italiener die Anleihen ihres eigenen Staates halten, hängt das Land ähnlich wie Schulden-Weltmeister Japan weniger von internationalen Investoren ab. Gefährlich bei Italien sind Überbürokratie und die erstarrte Wirtschaftsstruktur. Sie rauben einem die Phantasie, wie das Land dauerhaft wachsen will. Mit anderen Worten: Wie es aus der Krise kommen soll.

Ein gigantischer Berg

Wenn Modernität und Exportkraft der Wirtschaft die entscheidenden Kriterien sind, heißt das für den Umgang mit Krisenstaaten wie Portugal oder Spanien: Kurzfristig lassen sich höhere Defizite hinnehmen, wenn (und nur wenn) sie dem großen Ganzen dienen. Im Jahr vier der Rezession brauchen die Bürger Südeuropas einen Ansporn, dass sich ihre Mühen lohnen. So kann eine staatliche Konjunkturspritze den Aufschwung beschleunigen.

Wie sich an Irland sehen lässt, schrecken hohe Schulden nicht ab, so lange die wirtschaftliche Richtung stimmt. Voraussetzung dafür, kurzfristig höhere Defizite zu erlauben, wäre aber ein Souveränitätsverzicht: Die betroffenen Länder müssten bereit sein, die Euro-Partner entscheiden zu lassen, wann sie wieder sparen müssen - denn sonst fallen sie zu leicht in alte Schulden-Gewohnheiten zurück.

Die vierte und letzte Lehre aus dem Daten-Tableau der Statistiker ist, dass es ein Zu viel gibt. Griechenland mit seinen 160 Prozent Schulden billigt niemand zu, irgendwann auf die Beine zu kommen. Jedes kleine Wachstum und jede Defizitsenkung verblasst angesichts dieses gigantischen Bergs. Deshalb führt wohl kein Weg daran vorbei, Athen auf die eine oder andere Weise noch mal einen Teil der Schulden zu erlassen. So unangenehm das ist, weil es sich diesmal um Geld der Steuerzahler handelt. Aber die Griechen siechen zu lassen, hilft am Ende auch nicht.

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Quelle:
SZ vom 22.10.2013/pje
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