Süddeutsche Zeitung

Euro-Zone nach dem Referendum:Tschüss, Hellas? Nicht so schnell!

Das Referendum muss nicht das Euro-Aus für Griechenland bedeuten. Was jetzt passieren sollte.

Kommentar von Claus Hulverscheidt, New York

Was also sollen sie nun tun, die "Erpresser" in Helsinki? Die "Blutsauger" in Lissabon? Die "Terroristen" in Berlin?

Einfach alles vergessen, was ihnen Alexis Tsipras und seine feinen Kabinettskollegen in den vergangenen Tagen an unflätigen Dingen an den Kopf geworfen haben? "Schwamm drüber" sagen und an den Verhandlungstisch zurückkehren, wo eine von ihrem Volksabstimmungssieg noch besoffene griechische Delegation auf sie wartet?

Schwer vorstellbar, das alles. Wie viel naheliegender ist da doch der Reflex, der sich am Sonntag des CSU-Generalsekretärs und des FDP-Vorsitzenden bemächtigt hatte und der, vereinfacht gesagt, lautete: Es reicht! Schluss, aus! Wer keine Solidarität will, ja, wer seine Partner sogar noch in den Hintern tritt, der soll doch sehen, wie er ohne Euro klarkommt. Natürlich erhalten die Griechen humanitäre Hilfe, wenn es denn sein muss - man ist ja kein Unmensch. Aber ansonsten: Tschüss, adieu, ciao, Hellas!

Eine Trotzreaktion wäre falsch

Es ist gut, dass CSU-Generalsekretäre, wenn überhaupt, dann eher als Folklore- denn als Politik-Beauftragte ihrer Partei wahrgenommen werden und dass außerparlamentarisch Oppositionellen meist sowieso keiner zuhört. Denn so verständlich der Ärger der Herren Andreas Scheuer und Christian Lindner sein mag, so unklug wäre jetzt eine Trotzreaktion.

Griechenland würde auch ohne Euro nicht von der Landkarte verschwinden, und die Geschichtsschreiber würden mit Recht sehr ungnädig über die heutige Politikergeneration urteilen, sollte die Währungsunion nach fünfeinhalb Jahren Dauerkrise am Ende doch noch auseinanderfliegen.

Das heißt selbstverständlich nicht, dass alles einfach so weitergehen kann wie bisher. Im Gegenteil, diese Farce von einem Referendum, bei dem den Menschen eingeredet wurde, sie müssten für oder gegen ihre Würde abstimmen, darf nicht dadurch belohnt werden, dass Tsipras nun tatsächlich Geld ohne Gegenleistungen erhält. Käme es dazu, da liegt Lindner richtig, wäre Europa ab sofort für alle Zeiten erpressbar.

Eine umfassendere Strategie

Umgekehrt hilft es aber auch niemandem, wenn die Geldgeber, allen voran die Bundeskanzlerin, einfach bei den bisherigen Reformforderungen bleiben oder sie sogar noch verschärfen. Die nächsten ergebnislosen Gipfelnächte wären programmiert.

Notwendig ist vielmehr eine neue, sehr viel umfassendere Strategie, die auf dem bisherigen Prinzip "Geld gegen Reformen" aufbaut, dieses aber stark erweitert. So müssen die Geldgeber die Einschnitte zur Verbesserung der Haushaltsstruktur, die sie den Griechen richtigerweise abverlangen, durch ein Investitions-, Aufbau- und Sozialprogramm im Umfang von 40, vielleicht 50 Milliarden Euro ergänzen. Sie kommen zu jenen 50 Milliarden Euro an Krediten hinzu, die bis 2018 für den Schuldendienst benötigt werden.

Gleichzeitig muss die EU Tausende Finanzbeamte, Steuerfahnder, Betriebsprüfer und Verwaltungsfachleute nach Griechenland entsenden, die gemeinsam mit ihren dortigen Kollegen eine funktionierende Steuerverwaltung, ein Katasterwesen und andere wichtige Behörden aufbauen.

Parallel dazu sollte die Europäische Zentralbank (EZB) die direkte Aufsicht über die griechischen Kreditinstitute übernehmen und die Branche durch Schließungen und Fusionen auf gesunde Füße stellen. Nur dann ist eine weitere Finanzierung der Geldhäuser juristisch tragbar.

Unabhängig vom konkreten Fall müssen zudem Verhandlungen über ein Insolvenzsystem für Staaten beginnen. Ziel ist, die erratische Hauruckpolitik heutiger Prägung im nächsten Krisenfall durch ein geordnetes Verfahren zu ersetzen.

Griechenlands Tatenliste

Das sind die Dinge, die die Kreditgeber angehen müssen. Doch auch auf die griechische Regierung, die jegliches Vertrauen in Europa zerstört hat, kommen neue Aufgaben zu.

Sie muss sich schriftlich dazu verpflichten, keine kostenträchtigen neuen Gesetze zu beschließen, eine sofortige Steuerreform mit Erhöhung des Spitzensteuersatzes anzugehen und einen umfassenden Bürokratieabbau einzuleiten. Dabei sollte künftig gelten: Alle kleineren Vorhaben, über die nicht binnen vier Wochen entschieden ist, gelten automatisch als genehmigt.

Sollte die Regierung alle notwendigen Strukturreformen umsetzen, ohne die das Land ob mit oder ohne Euro keine Zukunft hat, steht ganz am Ende des Programms ein Teilschuldenerlass.

Am Ende wohlgemerkt, nicht am Anfang, denn das Anrecht auf Vorschusslorbeeren haben die Griechen ein für allemal verwirkt. Das Versprechen, dass die Schuldenquote ganz zum Schluss auf ein handhabbares Niveau gesenkt wird, böte ihnen hingegen einen starken Anreiz, mit der Sanierung der Wirtschafts- und Verwaltungsstrukturen endlich ernst zu machen.

Merkel und Tsipras wird einiges abverlangt

Ein solcher Kurswechsel würde vor allem Angela Merkel und Alexis Tsipras viel abverlangen. Merkel müsste eingestehen, dass ihre andernorts erfolgreiche Krisenstrategie diesmal versagt hat und ihre Behauptung, die Euro-Rettung werde die Deutschen nichts kosten, von Beginn an mindestens verwegen war.

Tsipras wiederum müsste endlich kapieren, dass ihn die Griechen zu ihrem Ministerpräsidenten gewählt haben - und nicht zum Messias, der ganz Europa bekehren soll.

In beiden Fällen darf man bezweifeln, dass die Beteiligten zu so viel Einsicht in der Lage sind.

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