Euro-Väter Arthuis und Waigel zur Euro-Krise:"Der Stabilitätspakt ist ein Lügenpakt geworden"

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Gemeinsam haben Theo Waigel und Jean Arthuis die Grundlagen des Euro ausgehandelt. Jetzt sind die früheren Finanzminister Deutschlands und Frankreichs in Sorge um ihr Lebenswerk. Sie fordern die Euro-Länder auf, geschlossen für eine Lösung zu kämpfen, ihre Haushalte offenzulegen - und die Finanzmärkte streng zu regulieren.

Lilith Volkert und Lutz Knappmann

Sie gelten als "Väter des Euro" - und sind in Sorge um ihre Idee von Europa. Theo Waigel, 72, von 1989 bis 1998 Bundesfinanzminister, handelte 1996 gemeinsam mit dem damaligen französischen Finanzminister Jean Arthuis, 66, die Grundlagen der Währungsunion aus. Heute arbeitet Waigel als Rechtsanwalt in München und ist Ehrenvorsitzender der CSU. Arthuis, jahrzehntelang Mitglied der bürgerlichen UDF, ist Vorsitzender des Finanzausschusses im französischen Senat und Chef der 2009 gegründeten Partei Alliance Centriste.

Theo Waigel (CSU), einst Bundesfinanzminister, beklagt die mangelnde Bereitschaft der Staaten, gemeinsam für die Zukunft des Euro zu kämpfen: "Eine Währung muss man verteidigen." (Foto: picture alliance / dpa)

Gern erinnern sich die befreundeten Staatsmänner daran, wie Waigel Arthuis einst überzeugte, die Gemeinschaftswährung nicht Ecu, sondern Euro zu nennen. Doch angesichts der Schuldenkrise ist den beiden die Lust auf Anekdoten vergangen. Im Gespräch mit sueddeutsche.de treten sie vehement dafür ein, die europäischen Institutionen zu stärken und für den Erhalt der Währungsunion zu kämpfen.

sueddeutsche.de: Herr Waigel, Monsieur Arthuis, Sie haben 1996 gemeinsam den Euro ausgehandelt. Heute steckt die europäische Gemeinschaftswährung in einer tiefen Krise. Haben Sie bei der Konstruktion der Verträge Fehler gemacht?

Theo Waigel: Die Währung steckt nicht in einer Krise. Sie steht derzeit bei 1,35 Dollar - und damit viel besser als bei ihrem Start. Die Inflation im Euroraum lag in den vergangenen zehn Jahren unter zwei Prozent, in Deutschland sogar noch niedriger. Nicht die Währung steckt in einer Krise, sondern einige Länder in einer Finanzkrise. Sie haben in der Phase nach der Lehman-Pleite 2008 mit viel Geld die Banken gerettet. Aber jetzt stellt sich die Frage, wer die Länder rettet.

Jean Arthuis: Man muss durchaus anerkennen, dass der Euro den Folgen der Kreditkrise in den USA in den vergangenen Jahren gut standgehalten hat.

sueddeutsche.de: Mittlerweile gilt es aber nicht mehr als ausgeschlossen, dass einzelne Länder den Euro aufgeben müssen, dass die Eurozone auseinanderbricht. Gibt es tatsächlich keine strukturellen Fehler in den Euro-Verträgen, die eine solche Situation heraufbeschworen haben?

Arthuis: Die Herausforderung für uns war damals, zum ersten Mal eine Währung einzuführen, ohne dass ein einzelner Staat dafür verantwortlich ist - also ohne institutionelle Führung. Die Steuerungsmechanismen, die wir eingeführt haben, waren einfach nicht angemessen. Das größte Problem ist, dass die Haushaltsdisziplin nicht eingehalten und nicht kontrolliert wurde. Man hätte Griechenland nicht so früh in die Eurozone aufnehmen sollen. Aber auch die großen Länder haben die Regeln des Stabilitätspaktes gebrochen. Den Schlamassel haben wir jetzt.

Waigel: Das Grundgerüst war und ist richtig. Das bestätigen auch so kritische Zeugen in Deutschland wie der frühere Bundesbankpräsident Tietmeyer. Die entscheidenden Fehler wurden gemacht, als mit Griechenland ein Land aufgenommen wurde, das nicht in die Eurozone gehört hätte. Und als der von Jean Arthuis und mir unter größten Schwierigkeiten durchgesetzte Stabilitätspakt 2003 vom deutschen und französischen Finanzminister aufgeweicht wurde. Das war das falsche Signal.

sueddeutsche.de: Schon in Ihren Verhandlungen haben Sie sich ja damit auseinandersetzen müssen, was geschieht, wenn ein Land der Eurozone die Kriterien des Stabilitätspaktes nicht mehr erfüllt. Griechenland ist nicht das einzige Land, dessen Verschuldung und Haushaltsdefizit jenseits des Erlaubten liegen. War eine solche Entwicklung nicht vorhersehbar?

"Man hat den Stabilitäts- und Wachstumspakt in einen Betrugs- und Lügenpakt verwandelt", sagt Frankreichs früherer Finanzminister und heutiger Finanzausschuss-Vorsitzender, Jean Arthuis (Foto: AFP)

Waigel: Griechenland hat betrogen. Das ist schlimm. Und Europa hat nicht genügend kontrolliert. Die Länder, auch Deutschland und Frankreich, haben der Statistikbehörde Eurostat keine ausreichenden Möglichkeiten zur Kontrolle eingeräumt. Das Problem liegt nicht im Vertrag von Maastricht oder im Stabilitätspakt, sondern an den Fehlern der handelnden Personen, Regierungen und Kommission danach.

Arthuis: Im Namen der nationalen Souveränität haben sie gesagt: die Staatshaushalte sind in Ordnung. Ein großer Irrtum. Ein politischer Fehler. Man wusste genau, dass das statistische Amt in Griechenland dem Finanzminister unterstellt war, es war überhaupt nicht unabhängig. Man hat den Stabilitäts- und Wachstumspakt in einen Betrugs- und Lügenpakt verwandelt.

sueddeutsche.de: Die Folge ist eine Vertrauenskrise. Die Menschen misstrauen den europäischen Institutionen. Und die Finanzmärkte sind tief verunsichert. Wie lässt sich das verlorene Vertrauen wiedergewinnen?

Arthuis: Das Wichtigste ist, die Kontrolle zu verstärken. Wir müssen Eurostat mit ständigen Überwachungsmöglichkeiten ausstatten, um zu überprüfen, ob die Finanzberichte der Euroländer wirklich stimmen. Es geht um einen Vertrauenspakt. Wir müssen jederzeit über die tatsächliche Lage der einzelnen Staaten Bescheid wissen.

Waigel: Man kann nicht sagen, Deutschland und Frankreich dürfen nicht kontrolliert werden, aber Griechenland und Portugal schon. Kontrollen müssen überall möglich sein. Und wer ordentlich wirtschaftet, braucht davor auch keine Angst zu haben.

sueddeutsche.de: Mehr Kontrolle allein reicht kaum aus, um die gegenwärtige Notlage Europas zu lösen. Viele Länder haben nicht ordentlich gewirtschaftet - und drohen nun an ihren Schulden zu ersticken. Wer rettet die Staaten?

Waigel: Dazu gibt es nur einen Weg, nämlich den einer konsequenten Konsolidierung und der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Was Angela Merkel und Nicolas Sarkozy beschlossen haben, sind richtige Schritte. Aber das reicht noch nicht aus. In der Verfassung verankerte Schuldenbremsen sind in allen Ländern der Eurozone notwendig. Ebenso, dass die Länder mehr als bislang für ihre Wettbewerbsfähigkeit tun.

Arthuis: Ziel muss es sein, ausgeglichene Haushalte zu erreichen und die hohe Verschuldung abzubauen. Dafür brauchen wir äußerst mutige strukturelle Reformen, die den nationalen Regierungen viel abverlangen. Nötig ist auch eine effektivere Regulierung der Finanzmärkte. Ich bin erstaunt, dass wir nichts unternommen haben, um etwa den Handel mit Kreditausfall-Versicherungen, den CDS, zu beschränken. Denn diese Finanzprodukte beschleunigen die Spekulation.

sueddeutsche.de: Haben die europäischen Staaten denn überhaupt die richtigen Mittel, um die Spekulation an den Finanzmärkten einzudämmen?

Arthuis: Unser Problem in Europa ist, dass wir keine gemeinsame Strategie zur Regulierung der Finanzmärkte haben. Jede Regelung, die nur einen Staat betrifft, ist wirkungslos. Eine Transaktionssteuer etwa muss für die gesamte Eurozone gelten, mindestens. Und wenn wir uns entscheiden, Leerverkäufe aussetzen, wäre es gut, wenn jeder diese Entscheidung gleichzeitig umsetzt.

Waigel: Warum nicht eine Transaktionssteuer einführen? Warum nicht ein Verbot von Leerverkäufen? Es kann doch nicht sein, dass man etwas, das man gar nicht hat, dafür einsetzt, gegen ein ganzes Land zu spekulieren. Das zu regulieren ist keine Behinderung des Wettbewerbs. Was auf den internationalen Finanzmärkten stattfindet, ist schlichtweg Betrug. Da wünsche ich mir mehr Mut - auch in London und an der Wall Street.

sueddeutsche.de: Kann man denn von Ländern, die nicht einmal die europäischen Haushaltsregeln einhalten, erwarten, dass sie sich zu solchen gemeinsamen Schritten durchringen?

Waigel: Die gemeinsame Währung hat über viele Jahre die Spekulation abgewehrt, die wir vor ihrer Einführung in Europa hatten. Der Fehler bestand darin, nach all den Jahren, in denen es mit dem Euro gut lief, zu glauben, es könne nichts mehr passieren. Eine Währung muss man verteidigen. Die Franzosen haben ihren Franc verteidigt, wir haben die Mark verteidigt. Der Euro aber ist zu wenig von allen gemeinsam verteidigt worden.

sueddeutsche.de: ... weil sich die einzelnen Mitgliedsstaaten wechselseitig die Verantwortung zugeschoben haben?

Waigel: Kann schon sein, dass einige Akteure denken, die Währung läuft von selbst und sie müssten sich nur um ihr eigenes Land kümmern. Jeder muss aber wissen, dass die Währung zu seinem Land gehört - und er zu ihrem Schutz alles tun muss, was notwendig ist.

Arthuis: Es fehlt eine gemeinsame europäische politische Stimme. Beim G-20-Gipfel sitzen ein Amerikaner, ein Chinese - und sechs Europäer. Das erleichtert die Meinungsfindung nicht immer.

sueddeutsche.de: Also braucht Europa eine gemeinsame Wirtschaftsregierung, um verantwortungsvoller und geschlossener zu handeln?

Waigel: Ich glaube nicht, dass ein europäischer Finanz- oder Wirtschaftsminister das leisten kann. Aber wir brauchen eine gemeinsame Koordination. Eine Zusammenkunft der Regierungschefs zweimal im Jahr reicht nicht aus. Wir müssen ein Instrumentarium schaffen, um gemeinsame Entscheidungen sorgfältig vorzubereiten.

Arthuis: Ein europäischer Finanzminister ist wichtig, um mit einer Stimme zu sprechen. Denn es gibt nichts Schlimmeres als die derzeitige Kakophonie, gerade wenn es um den Finanzmarkt geht.

sueddeutsche.de: Ist die Finanzkrise also eine Kommunikationskrise?

Waigel: Die Europäische Union von heute ist eine andere als zu der Zeit, als wir Finanzminister waren. Heute sind es 27 Staaten, damals waren es 15. Eine entsprechende Reform der Institutionen hat es aber nicht gegeben. Insofern ist es sicher schwieriger geworden. Aber ich vermisse bei den Regierenden, auch in Deutschland, dass sie die Vorteile der Wirtschafts- und Währungsunion offensiv darstellen. Man lässt sich in die Defensive zwängen und sich permanent anklagen.

Arthuis: Es fehlt eine gemeinsame Vision. Ich warte auf eine europäische Antwort. Nicht unbedingt auf Fragen zum Artenschutz oder zur freiwilligen Feuerwehr, sondern auf die entscheidenden Fragen zu Wirtschaft und Finanzen.

Waigel: Es fehlt außerdem an der Aufklärung. 1995 etwa stand die D-Mark massiv unter Aufwertungsdruck. Das Ergebnis waren ein Einbruch des Exports, große Hilfen für die deutsche Landwirtschaft und ein Anwachsen der Arbeitslosigkeit. Im Jahr darauf hatte ich ein Rekorddefizit von 80 Milliarden Mark zu verantworten. Daran sollte sich jeder erinnern, der heute glaubt, für Deutschland würden wieder goldene Zeiten anbrechen, wenn die Währungsunion auseinandergeht. Das ist eine absolute Illusion.

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