Süddeutsche Zeitung

Euro-Rettung ohne ESM:Draghis riskanter Plan

Kippt das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch den permanenten Rettungsschirm ESM, geht das Projekt "Euro-Rettung" trotzdem weiter. EZB-Präsident Draghi will dann auf den EFSF zurückgreifen. Besonders in Deutschland sind seine Pläne umstritten - vor allem, weil die Bundesbank mithaften würde.

Markus Zydra, Frankfurt

Es war am vergangenen Donnerstag, da präsentierte Mario Draghi seinen Rettungsplan für die Euro-Zone. Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) versprach Hilfen der Währungshüter für alle bedürftigen Euro-Staaten - unter einer Bedingung: Die Regierungen dieser Länder müssten zunächst einen Hilfsantrag stellen beim Euro-Rettungsfonds EFSF oder dessen Rechtsnachfolger ESM. Vorher wirft die Notenbank ihre Geldmaschine nicht an.

Das Bundesverfassungsgericht verkündet am Mittwoch sein Urteil zum ESM. Egal wie es ausfällt, der EFSF dient der EZB und damit auch der Euro-Zone als Rückhaltebecken. "Kippt der ESM, dann bleibt es vorerst beim EFSF. Dieser Fonds hat zwar nicht so viel Geld wie der ESM, er darf aber auch am Primärmarkt Staatsanleihen notleidender Länder aufkaufen", sagt Andrew Bosomworth, Deutschland-Chef des weltgrößten Anleihehändlers Pimco.

Draghi war clever genug, den EFSF als Alternativoption in seinen Plänen zu berücksichtigen. Das Projekt Euro-Rettung kann somit aus Sicht der EZB auf jeden Fall beginnen - egal wie die Verfassungsrichter urteilen.

Im Kern geht es darum: Die EZB plant zusammen mit der Politik eine konzertierte Rettungsaktion. Die Notenbanker drucken Geld, um damit Staatsanleihen aus Italien und Spanien zu kaufen - durch die gestiegene Nachfrage nach diesen Wertpapieren steigen die Kurse, mithin fallen die Zinsen für diese Länder. Beide Staaten können sich danach zu günstigeren Kreditkonditionen an den Finanzmärkten neu verschulden. Das sorgt für die nötige Entspannung in diesen Ländern.

Im Gegenzug verpflichten sich die Nehmer-Staaten aber dazu, ein umfangreiches Reformprogramm umzusetzen: eine Liberalisierung der Arbeits-, Produkt- und Dienstleistungsmärkte, öffentliche Sparprogramme sowie Investitionen in Bildung. Diese verpflichtenden Reformprogramme sind Teil der ESM/EFSF-Rettungshilfen. Sie werden nach Antragstellung von Fall zu Fall ausgehandelt.

Notenbanker ziehen Tarnkappeninterventionen vor

Der ESM oder EFSF soll die Staaten nach Billigung des Hilfsantrags auch direkt unterstützen, etwa durch sogenannte Primärmarktkäufe. Das bedeutet, dass der ESM oder EFSF Italien oder Spanien die Staatsanleihen direkt abkauft - die Haushalte dieser Länder also unmittelbar finanziert. Dem ESM stünden dafür 500 Milliarden Euro zur Verfügung, der EFSF hat nur noch etwa die Hälfte dieser Summe auf dem Konto.

Auch deshalb wäre es EZB-Präsident Draghi lieber, der ESM könne wie geplant seine Arbeit aufnehmen. Je größer die zur Verfügung stehende Rettungssumme, desto einfacher werde es sein, die Finanzmärkte von der endgültigen Rettung der Euro-Zone zu überzeugen. Außerdem müsste dann die EZB unter Umständen weniger Geld riskieren.

Die Notenbank soll den Plänen zufolge am sogenannten Sekundärmarkt bereits begebene Staatsanleihen kaufen - so soll der Marktzins für Spanien und Italien auf ein verträgliches Niveau gesenkt werden. Welches Niveau das sein soll, darüber schweigt sich die EZB aus. Die Notenbanker ziehen Tarnkappeninterventionen vor, das heißt, die Märkte werden im Unklaren darüber gelassen, wie viele Staatsanleihen die EZB kaufen wird und wie lange sie diese Maßnahmen vornimmt. Diese Strategie verschafft Flexibilität und hält den Druck auf die Politiker aufrecht.

Wenn der ESM kippt, könnte es am Mittwoch zu einer Panik an den Börsen kommen; die Zinsen für Italien und Spanien würden dann wieder empfindlich ansteigen. In diesem Fall könnte es schnell gehen: Spanien und Italien müssten einen Hilfsantrag beim EFSF stellen. Vorher wird die EZB nichts tun, das erscheint sicher.

Die Notenbank hat schlechte Erfahrungen gemacht. EZB-Präsident Draghi erinnert sich noch an die Erlebnisse seines Vorgängers im Präsidentenamt der EZB, Jean-Claude Trichet: Der Franzose kaufte bereits im Sommer 2011 italienische Staatsanleihen, um so die Zinslast für das Land zu drücken. Die damalige Berlusconi-Regierung stoppte daraufhin ihre Reformbemühungen. Die Notenbanker wurden über den Tisch gezogen.

Das soll sich nicht wiederholen, denn die EZB kann nur die Symptome der Krise bekämpfen - das sind die hohen Kreditzinsen. Die Ursachen der Euro-Schuldenkrise verlangen politische Entscheidungen. Und die sollen nun mit einer Zangenbewegung erzwungen werden; der in Aussicht gestellte Einsatz der Geldnotenpresse soll die Motivation zusätzlich stärken.

Draghis Plan könnte gelingen, wenn die Politiker mitspielen. "Die EZB wird die Konditionalität sehr ernst nehmen müssen, denn die Notenbank agiert in einer Grauzone", sagt Bosomworth. "Wenn die Politiker jetzt nicht reformieren, dann bekommen wir eine Inflation durch die EZB-Politik." Der Experte rechnet damit, dass Spanien bald einen Hilfsantrag beim EFSF oder ESM stellen wird, Italien werde seiner Meinung nach wohl abwarten und die aktuell niedrigen Kreditzinsen nutzen.

Draghi hat gesagt, die EZB werde die Stützungskäufe sofort beenden, wenn die Empfängerstaaten ihre Verpflichtungen nicht erfüllten. Die Troika - bestehend aus Experten des Internationalen Währungsfonds, EU-Kommission und EZB - soll regelmäßig überprüfen, ob sich die Regierungen an die Vereinbarungen halten. Die EZB wird sich bei ihren Entscheidungen an diesem Troika-Bericht orientieren.

Italiens Regierungschef Mario Monti hat allerdings schon mehrmals betont, er werde keinen Besuch der Geldgeber-Troika im hoch verschuldeten und tief in der Rezession steckenden Italien erlauben. Das lässt erahnen, wie schwierig die Umsetzung des Rettungsplans im Detail dann sein wird.

Draghi: Währungsunion "unumkehrbar"

Zuletzt war bereits mehrmals bezweifelt worden, ob die EZB im Ernstfall tatsächlich den Stecker ziehen und ihre Stützungskäufe beenden würde. Schließlich würde die Notenbank dann den Wert ihrer bereits erworbenen spanischen und italienischen Staatspapiere gefährden, zudem wäre dann der Bestand der Euro-Zone als Ganzes gefährdet - eine Gefahr, die Draghi ja eigentlich bannen möchte. Der Italiener hat versprochen, er werde "alles" tun, um den Euro zu retten, er bezeichnete die Europäische Währungsunion in diesem Zusammenhang als "unumkehrbar".

Draghis Pläne sind in Deutschland sehr umstritten. Bundesbankpräsident Jens Weidmann hat im 23-köpfigen EZB-Rat als einziger gegen die Anleihekäufe gestimmt. Weidmann befürchtet langfristig Inflation, sobald die vielen Milliarden in den Wirtschaftskreislauf gesickert sind. Er befürchtet, die EZB sei auf dem Weg in die verbotene Staatsfinanzierung. Außerdem sieht der Bundesbankchef ein Legitimitätsproblem: Die EZB riskiere Steuergelder, ohne das demokratische Mandat zu haben.

Tatsächlich haftet die Bundesbank zu 27 Prozent für anfallende Verluste aus dem Anleihekaufprogramm. Das könnte die Gewinne der Bundesbank schmälern, wodurch die Überweisungen an das Bundesfinanzministerium über Jahre hinweg ganz ausfallen würden.

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SZ vom 11.09.2012/fbo/bavo
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