Süddeutsche Zeitung

Euro-Rettung:Verfassungsrichter wollen Draghi an die Kette legen

Lesezeit: 4 min

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Bei all den Diskussionen um die Flüchtlinge ist ein anderes Thema in den Hintergrund geraten: die Rettung des Euro. Doch der Euro ist für den Zusammenhalt Europas genauso wichtig wie das System der offenen Grenzen, das derzeit auf dem Spiel steht. An diesem Dienstag verhandelt das Bundesverfassungsgericht über die inzwischen schon historische Ankündigung der Europäischen Zentralbank (EZB) vom Sommer 2012. Damals hatte EZB-Chef Mario Draghi erklärt, die Euro-Krise mit Anleihekäufen in notfalls unbegrenzter Höhe zu beheben. Karlsruhe hatte bereits 2013 über das sogenannte OMT-Programm ("Outright Monetary Transactions") verhandelt und den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt. Nach dessen Urteil von 2015 steht nun die letzte Runde in Karlsruhe bevor. Wer glaubt, mit dem EuGH-Urteil sei doch alles längst entschieden, dürfte sich täuschen: Es steht ein zähes Ringen bevor - um die Grenzen der Macht der Zentralbank, aber auch um den Einfluss des Verfassungsgerichts in Europa.

Das OMT-Verfahren war eine Premiere, weil das Bundesverfassungsgericht erstmals dem EuGH einen Fall zur sogenannten Vorabentscheidung vorgelegt hatte. Das Verfassungsgericht hatte sein erstes Mal lange hinausgezögert und dann einen ziemlich forschen Beschluss nach Luxemburg geschickt: Die EZB habe mit OMT ihr währungspolitisches Mandat überzogen und letztlich Wirtschaftspolitik betrieben - für die aber die Mitgliedsstaaten zuständig seien. Die Zentralbank habe damit "Ultra Vires" gehandelt, also außerhalb ihrer Kompetenzen.

Nun lässt sich darüber streiten, wo die Geldpolitik aufhört und die Wirtschaftspolitik anfängt. Aber dass hinter Draghis kühner Rettungsaktion - so wichtig sie für den Euro-Raum gewesen sein mag - ein sehr dehnbares Verständnis von seinem währungspolitischen Mandat steckt, lässt sich sogar aus dem Urteil der EU-Richter herauslesen. Die EU-Richter gaben trotzdem ihr Plazet. Dass das Programm "mittelbare" Auswirkungen auf die Stabilität des Euro-Raums habe - die auch aus Sicht des Gerichtshofes der Wirtschaftspolitik zuzurechnen ist -, ändere nichts an seinem währungspolitischen Charakter. Dagegen Karlsruhe: Das Ziel, mit dem Anleihekauf die Zinsen für Schuldenstaaten zu senken und damit den Zusammenhalt des Euro-Gebiets zu sichern, sei "offenkundig" keine Aufgabe der Währungspolitik; über die Zusammensetzung des Währungsgebietes hätten Rat, Parlament und Kommission zu entscheiden. Auch die Verknüpfung der Kaufankündigung mit den Hilfsprogrammen der Euro-Rettungsschirme mache OMT zur Wirtschaftspolitik.

So stellt sich Draghis Aktion zwiespältig dar. Ob er getan hat, was in der Schuldenkrise getan werden musste - mag sein. Aber er hat zugleich - als machtbewusster Chef einer expansiven Institution - die Dynamik der Krise genutzt, um sein Terrain zu weiten. Ein kleiner Machtgewinn in der großen Krise: Wer wollte das ihm, dem "Euro-Retter", verübeln?

Es geht in der Karlsruher Anhörung also um eine Machtverschiebung im europäischen Institutionen-Gefüge: "OMT" könnte einen Präzedenzfall für künftige Maßnahmen der Zentralbank schaffen. Überspitzt gesagt: Draghi könnte am Ende so etwas wie ein EU-Wirtschaftsminister sein - einer, den niemand gewählt hat. Dabei ist die Begrenzung seines Mandats in den Verträgen der Preis der Unabhängigkeit: Die Politik darf der Zentralbank nicht in ihre Geldpolitik hineinregieren - aber dafür darf sie nichts anderes machen als Geldpolitik.

Was den Zweiten Senat unter Vorsitz von Andreas Voßkuhle also umtreibt: Er möchte die Wächterrolle über die Zuständigkeiten der Zentralbank ausfüllen - und zwar deshalb, weil er diese Rolle durch den Europäischen Gerichtshof für derzeit unzureichend besetzt hält. Zwar waren die EU-Richter dem Verfassungsgericht ein wenig entgegengekommen, indem er einige Leitplanken für den Ankauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt eingezogen hat. In der zentralen Frage aber - Währungs- oder Wirtschaftspolitik - schreckt das EU-Gericht vor einer strengen Rechtskontrolle zurück und hält sich stattdessen an die Selbsteinschätzung der Zentralbank. Nach dem Motto: Wenn die EZB sagt, der Elefant sei ein Nashorn, dann ist es auch eins.

Dietrich Murswiek, juristischer Vertreter des Klägers Peter Gauweiler, macht dies an der "Störung des geldpolitischen Transmissionsmechanismus" deutlich. Das war für die EZB ein zentraler Beleg dafür, dass sie lediglich Währungspolitik betrieben habe - ein Argument, das der EuGH sich zu eigen gemacht hat: Die Störung musste beseitigt werden, damit die Geldpolitik wieder funktioniert. Nun beschreibt der Begriff "geldpolitischer Transmissionsmechanismus" aber nichts anderes als die Übertragung geldpolitischer Impulse - Zinssenkung, Wertpapierkäufe - in die Realwirtschaft. Ob diese Übertragung gelinge, hänge von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab, schreiben die Fachleute des wirtschaftsliberalen "Kronberger Kreises". Dass geldpolitische Maßnahmen in der wirtschaftlich heterogenen Euro-Zone uneinheitlich wirkten, sei nichts Neues. Das heißt: Legte man die "Entstörung" der Transmission komplett in die Verantwortung der Zentralbank, dann wäre das die Lizenz zur Wirtschaftspolitik, warnt Murswiek.

Aber was kann das Verfassungsgericht unternehmen, um die Notenbanker zu kontrollieren? Darauf gibt es eine harte und eine weiche Antwort. Die harte: Karlsruhe erklärt, der EuGH habe mit seiner allzu laschen Kompetenzkontrolle seinerseits außerhalb seiner Befugnisse gehandelt - "Ultra Vires". Das ist die Option "Karlsruhe hat das letzte Wort". Theoretisch ist dies in der Rechtsprechung des Gerichts angelegt, praktisch wäre es eine Kriegserklärung an die Richter in Luxemburg. Deshalb dürfte die weiche Variante die wahrscheinlichere sein: Der Senat könnte die Auslegung der Kollegen auf der rhetorischen Ebene kritisieren - zugleich aber erklären, die Überschreitung der Kompetenz sei noch nicht so offensichtlich, dass Karlsruhe die Notbremse ziehen müsste.

Ein Gericht, das wieder einmal nur den Finger hebt? Das klingt eher nach Verfassungsdiplomatie denn nach Rechtsprechung. Wirkungslos ist das trotzdem nicht. Seit dem vergangenen Frühjahr läuft ein EZB-Programm zum Ankauf vor allem von Staatsanleihen mit einem Volumen von 60 Milliarden Euro monatlich, genannt "Quantitative Easing". Es ist so angelegt, dass die Haftungsrisiken nur zu 20 Prozent vergemeinschaftet sein sollen - worauf die Bundesbank Wert gelegt haben soll. Um diese Position durchzusetzen, so ist zu hören, sei die harte Karlsruher Linie im OMT-Verfahren durchaus hilfreich gewesen.

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Quelle:
SZ vom 15.02.2016
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