Süddeutsche Zeitung

Euro-Krise:Preis der Stabilität

Die Panik ist verflogen, die Untergangsstimmung fast vergessen. Euro-Land ist zwar nicht gerettet, aber immerhin stabiler. Die Währungsunion verdankt das vor allem der Geldflut und den Versprechen von Mario Draghi und der EZB. Die könnten in Zukunft aber noch teuer werden.

Ein Kommentar von Alexander Hagelüken

Was war das für ein Untergangsgefühl vor einem Jahr. Mit Spanien und Italien schienen zwei große Euro-Staaten auf die Pleite zuzusteuern, Griechenland sowieso. Diese Währungsunion, da war sich mancher sicher, werde ganz bestimmt auf jeden Fall platzen, vielleicht schon bald. Und ein Jahr später? Die Nouriel Roubinis dieser Welt prophezeien weiter, der Euro-Crash sei "unvermeidlich". Die Stimmung aber hat sich verändert. Gerettet ist die gemeinsame Währung nicht, doch sie scheint stabiler. Die Panik ist verflogen.

Was genau geschah 2012, und wie geht es weiter? Es war vor allem die große Kanone der Europäischen Zentralbank (EZB), die die Lage beruhigte. Die Geldflut von EZB-Präsident Mario Draghi entspannte die ersten Monate, sodass Italien und Spanien zu erträglichen Zinsen an Kredite kamen.

Als die Stimmung im Sommer kippte, ging Draghi erneut über Wasser: Er stabilisierte den Euro mit seinem Versprechen, unbegrenzt Anleihen von Krisenstaaten zu kaufen - ohne dass er bisher eine einzige kaufte. In der allgemeinen Zuversicht verabschiedeten Europas Regierungschefs sogar den Gedanken, das verschuldete Griechenland lasse sich zu akzeptablen Kosten rauswerfen: Sie halten Athen drin. Am Ende des Jahres wirkt die Währungsunion gefestigt.

Rennfahrer statt Vorsichtsapostel

Der Preis ist beträchtlich: Die Risiken der Steuerzahler stiegen. Spanien, Griechenland und Zypern bekommen neue Hilfen. Prophet Draghi erscheint manchem nicht als Heilsbringer, sondern als Scharlatan. Kein Zweifel: Saugt er die Geldflut später nicht geschickt ab, wird Inflation die Konten der Sparer plündern. Dazu könnte er mit Hunderten Milliarden Euro Anleihen von Staaten belastet sein, die schlimmstenfalls pleitegehen.

Draghi ist kein Vorsichtsapostel alter Bundesbank-Schule, sondern ein Rennfahrer. Alles oder nichts. Unangenehm wahr: Um den Euro zu retten, gab es keinen anderen Weg. Obwohl Spanien und Italien die größten Reformen seit Langem unternahmen, warten die Anleger ab.

Dazu kommt das Paradoxon, dass Schulden von 100 Prozent der Wirtschaftsleistung als Drama gelten, wenn sie ein Euro-Staat hat - im Fall Amerikas jedoch keinen Investor interessieren. In dieser Lage konnten Zentralbanker und Politiker nicht zuschauen. Sie mussten eingreifen, um das Schlimmste zu verhindern.

Denn das gilt noch immer: Wenn die Währungsunion auseinanderbricht, geht zu viel Wohlstand verloren. Gerade für die Deutschen, die 40 Prozent ihrer Waren in Euro-Länder exportieren. Um den Absturz abzuwenden, ist es besser, sich auf eine Wette à la Draghi einzulassen, mit allen Risiken.

Vor einem Jahr sah es schlechter aus

Am Ende ist es so: Der Euro bleibt nur, wenn seine Mitglieder ähnlich wirtschaften. Wenn auch Südeuropa spart und international Verkaufbares herstellt, anders als in der ersten Euro-Dekade. Sonst geht die Wette schief, dann ist der Crash wirklich unvermeidlich und das Geld weg. Draghi und die Hilfen kaufen nur Zeit, bis aus der Währung wirklich eine Union wird. Wie weit ist Euro-Land damit?

Die Einschnitte in Südeuropa gehen tief. Solche Lohnkürzungen wie die Griechen erlebten die Nachkriegsdeutschen nie, gottlob. Vor allem beginnt der Süden seine Wirtschaft zu reformieren, selbst die Griechen, die Jahrzehnte aufzuholen haben. Eine Garantie sind diese Bemühungen allerdings nicht. Die Steuerzahler des Nordens haben keine Sicherheit, dass sie mit ihren Milliarden einen Erfolg finanzieren. So gern sie die hätten.

Mehr Sicherheit gewähren Verträge, die Euro-Land normieren. Bei einer gemeinsamen Währung heißt das im Optimum, gemeinsam zu entscheiden, ob Griechenland seine Millionäre besteuern muss oder Italien sich verschulden darf - sobald einer hinterherhinkt, sollte er Souveränität verlieren, und Brüssel überwacht den Fortschritt. Von diesem Optimum sind die Euro-Staaten zu weit entfernt. 2012 verstrich mit Last-Minute-Gipfeln für Spanier oder Griechen, mit den Paarfindungsschwierigkeiten der Kanzlerin und des neuen Franzosen. Reformen gelangen kaum. Besonders schwierig ist, dass Südeuropäer und Franzosen bei Gemeinsamkeit vor allem neue Geldquellen einfallen, ob eine EU-weite Arbeitslosenversicherung oder EU-weit ausbeutbare Sparkonten.

Letztlich wird der Euro nur überleben, wenn die Nationen ein gemeinsames Verständnis von Ökonomie entwickeln und Solidarität mit Eigenverantwortung paaren. Die Chance und die Zeit dafür haben Draghi und die Hilfspakete geschaffen, immerhin. Vor einem Jahr sah es schlechter aus.

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SZ vom 31.12.2012/sks
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