Süddeutsche Zeitung

Euro-Gruppe:"Viel besser vorbereitet"

Mário Centeno, der Chef der Euro-Finanzminister, ist trotz mancher Rückschläge zuversichtlich, dass es bei brisanten Themen wie der EU-Einlagensicherung vorangeht. Gegen eine neue Krise sieht er Europa gut gerüstet.

Von Björn Finke, Brüssel

Zu Hause gelang etwas Außergewöhnliches, doch in Brüssel geht es nur zäh voran: Portugals Finanzminister Mário Centeno stellte für 2020 einen Haushaltsplan mit einem kleinen Überschuss auf; das Parlament nahm ihn vor wenigen Tagen an. Es wäre das erste Plus seit der Rückkehr zur Demokratie 1974. Dabei stand das Land in der Finanzkrise kurz vor dem Bankrott. Zugleich hat der 53-jährige Volkswirt einen wichtigen Posten in Brüssel inne. Er leitet als Präsident der Euro-Gruppe die Treffen der Finanzminister jener 19 Staaten, welche die Gemeinschaftswährung eingeführt haben. Hier musste der Harvard-Absolvent zuletzt Rückschläge hinnehmen. Am Montag findet die nächste Zusammenkunft statt.

Centeno hoffte ursprünglich, dass die Euro-Länder bis Ende vergangenen Jahres die Reform des Rettungsschirms ESM abschließen. Der ESM springt Euro-Staaten mit Notkrediten bei, wenn diese auf dem Finanzmarkt keine Käufer für ihre Anleihen finden. Außerdem sollten sich die Finanzminister darauf einigen, Verhandlungen über eine EU-Einlagensicherung zu beginnen, also über ein europäisches System, das bei Bankpleiten für Sparguthaben garantiert. Bisher gibt es nur nationale Einlagensicherungen. Doch Streitigkeiten verhinderten beides. Centeno sagt, hinter der Blockade stünden "zeitweilige" politische Umstände, nichts Dauerhaftes. "Wir sind 19 Demokratien, und jeder muss einverstanden sein, bevor wir voranschreiten, denn Entscheidungen fallen im Konsens", sagt er im Gespräch mit der SZ.

Die Bundesregierung lehnte eine EU-Einlagensicherung lange ab, aber im November erregte SPD-Finanzminister Olaf Scholz Aufsehen, als er unter gewissen Umständen Unterstützung signalisierte. Dass solch ein Vorschlag erstmals von einer deutschen Regierung kam, habe ihn zuversichtlich gestimmt, voranzukommen, sagt Centeno. "Vorher steckten wir ein bisschen fest." Allerdings wurde schnell klar, dass andere Regierungen - etwa die italienische - Scholz' Vorbedingungen ablehnen. So will der deutsche Minister Banken mit neuen Regeln davon abbringen, zu viele Staatsanleihen ihrer Heimatländer zu kaufen, weil diese Ballung riskant ist. Die italienische Regierung befürchtet Nachteile durch derartige Reformen.

Centeno glaubt dennoch, dass ein Kompromiss möglich ist. "Wir arbeiten nach der Devise: Nichts ist vereinbart, bis alles vereinbart ist. Viele Dinge werden als inakzeptabel bezeichnet, besonders, wenn sie isoliert betrachtet werden, aber am Ende kann man ihnen zustimmen, als Teil eines Pakets", sagt der Finanzminister. Er schätzt freilich, dass sich die Verhandlungen über die Einlagensicherung bis zum Ende der Amtszeit der neuen EU-Kommission hinziehen, also bis 2024. Ein Abschluss bis dahin wäre "ein Erfolg".

Widerstand aus Rom ist auch der Grund für Verzögerungen bei der Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Die Mitgliedstaaten wollen diesen Euro-Rettungsschirm stärken. Davon würde Italien ebenfalls profitieren. Die dortige Regierung macht aber nun, kurz vor Vertragsabschluss, Bedenken gegen Details geltend, denen sie vorher zugestimmt hat. Centeno sagt jedoch, er sei "überzeugt, dass die Debatte in Italien sich entwickeln wird". Er rechne damit, dass die Finanzminister den ESM-Umbau bis März absegnen und die Staats- und Regierungschefs den Vertrag "immer noch im ersten Halbjahr" unterschreiben könnten.

In drei Wochen wird die EU-Kommission eine Untersuchung zu Stärken und Schwächen des Stabilitäts- und Wachstumspakts vorlegen - das sind die Regeln für solide Haushaltsführung in den Euro-Ländern. Der zuständige Kommissar Paolo Gentiloni könnte Reformvorschläge unterbreiten. Der Italiener hegt Sympathien dafür, Regierungen mehr Spielraum für Investitionen zu gewähren, etwa in den Klimaschutz. Centeno äußert sich vorsichtig zustimmend: "Alles, was die Zusammensetzung der Staatsausgaben verbessert, ohne die Nachhaltigkeit der Finanzen zu riskieren, ist eine Überlegung wert." Aber es könne nicht darum gehen, den Pakt laxer zu machen: "Wir dürfen nicht gefährden, was wir mit unseren bisherigen Regeln und Rahmen erreicht haben."

Sollte es wieder zu einer Finanzkrise kommen, seien die Euro-Länder diesmal "viel besser vorbereitet", sagt der Portugiese und führt einige Beispiele an: Die Staatshaushalte seien solider, die Banken hätten mehr Kapital und weniger faule Kredite, die Aufsicht sei besser, es gebe den Rettungsschirm ESM.

"Viel ist passiert, und das verschafft uns ein stärkeres Fundament. Wir müssen weitermachen, und es liegt noch einiges an Weg vor uns, doch das heißt nicht, dass wir schwach und schlecht vorbereitet sind", sagt Centeno. Zudem werde eine neue Krise sicherlich "nicht vergleichbar damit sein, was vor zehn Jahren geschehen ist. Wir sollten nicht vergessen, dass dies die schlimmste Krise seit 80 Jahren war".

Die größte Schwierigkeit als Chef der Euro-Gruppe sei es, damit umzugehen, dass ständig in einem der 19 Länder Wahlen anstehen oder Regierungen wechseln, sagt er: "Bei fast jedem Treffen heißen wir neue Finanzminister willkommen. Das ist normal in Demokratien, bedeutet aber, dass wir uns auf EU-Ebene stets auf schwankendem Grund befinden." Oft müsse er Entscheidungen oder Diskussionen verschieben, "weil in irgendeinem Land Wahlen stattfinden". Die "politischen Zyklen" in den Staaten seien nicht aufeinander abgestimmt. Sprich: In einigen Ländern sind frisch gewählte Regierungen an der Macht, die reformfreudig sind, zugleich gibt es jedoch immer auch Minister, die kurz vor Wahlen stehen und eher vorsichtig agieren.

Bald könnten das nicht mehr Centenos Sorgen sein. Am 13. Juli endet sein zweieinhalbjähriges Mandat als Chef der Euro-Finanzminister. Ob er für eine zweite Amtszeit antrete, "werde ich näher an diesem Datum entscheiden", sagt er. Es heißt, er könne sich gute Chancen ausrechnen, neuer Gouverneur der portugiesischen Notenbank zu werden. Dort arbeitete er früher als Ökonom. Zu diesen Gerüchten will Centeno sich allerdings nicht äußern.

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Quelle:
SZ vom 17.01.2020
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