Süddeutsche Zeitung

Reform der Euro-Zone:Eine schlechte Nachricht für ganz Europa

Der Euro sollte die Mitgliedstaaten einen, stattdessen spaltet er den Kontinent. Die nun geplante Reform reicht nicht aus, die EU vor der nächsten Krise zu bewahren.

Kommentar von Alexander Mühlauer

Vor gut einem Jahr hat Emmanuel Macron einen Reformeifer entfacht, dem sich Europa nicht entziehen konnte. In seiner flammenden Rede an der Universität Sorbonne beschwor Frankreichs Präsident nicht weniger als die Neugründung des "europäischen Vorhabens". Im Mittelpunkt seines Werbens stand die Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion. Macron wollte den Bürgern vor der Europawahl im kommenden Frühjahr beweisen, dass die Staatengemeinschaft die Euro-Zone sicherer und gerechter machen kann.

Doch daraus wird nichts, von seinen großen Reformvorschlägen ist nicht viel übrig geblieben. Die Euro-Finanzminister verständigten sich in der Nacht zum Dienstag nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Ganze 16 Stunden haben sie verhandelt, doch unter dem Strich steht die Zeit in keinerlei Verhältnis zum Ertrag. Das ist nicht nur für Macron eine schlechte Nachricht, sondern für ganz Europa.

Wenn der französische Präsident nächste Woche zum EU-Gipfel nach Brüssel reist, um dieses Euro-Paket im Kreis der Staats- und Regierungschefs zu beschließen, kann von einer echten Reform keine Rede sein. Es ist nicht mehr als Stückwerk. Darin finden sich kleine, durchaus richtige Schritte, die Banken sicherer machen - nur nicht das, was eine Währungsunion braucht, um der nächsten Krise zu trotzen. Die Euro-Staaten haben es versäumt, ihre Gemeinschaft in wirtschaftlich guten Zeiten auf das Schlimmste vorzubereiten. Und Deutschland hat eine historische Chance verstreichen lassen. Mit Macron hatte Kanzlerin Angela Merkel nach langer Zeit endlich wieder einen französischen Präsidenten als Partner, der die ökonomischen Defizite seines Landes mit politischem Kapital ausgleichen konnte und gewillt ist, für Europa zu kämpfen.

Warum dieser Kampf dringend nötig ist, zeigt ein Blick nach Italien. Dass in Rom eine Populisten-Regierung amtiert, die auf europäische Regeln pfeift, hat zu einem guten Teil mit dem Euro zu tun. Jene Währung, die Europas Staaten noch stärker verbinden sollte, spaltet in Wahrheit den Kontinent. Weite Teile Südeuropas haben sich noch immer nicht von der Euro-Krise der Nullerjahre erholt. Eine Generation junger, arbeitsloser Europäer hat Angst, abgehängt zu bleiben. Weil die EU ihr Wohlstandsversprechen nicht mehr einlösen kann, suchen diese Menschen nach Schuldigen. Viele machen die deutsche Sparpolitik dafür verantwortlich. Das mag falsch und ungerecht sein, aber der Vorwurf bleibt unbeantwortet, solange es den Menschen nicht besser geht.

Nördlich und südlich der Alpen ist man unterschiedlicher Auffassung, was gute Wirtschaftspolitik leisten kann

Die für den Euro zuständigen Politiker kennen diese Sorgen, aber sie entkräften sie nicht. Sie tun das auch jetzt nicht, da in Italien eine neue Krise droht. Noch immer verdrängen die Staats- und Regierungschefs die Widersprüche innerhalb der Euro-Zone. Noch immer ignorieren sie das grundsätzliche Konstruktionsproblem ihrer Währungsunion. Vereinfacht gesagt, gibt es nördlich und südlich der Alpen eine unterschiedliche Auffassung, was eine gute Wirtschaftspolitik leisten soll. Dieser Dissens zwischen Sparen und Verschuldung - man könnte auch sagen: Investition - muss aufgelöst werden, wenn die Währung Bestand haben soll.

Macron hat das offen ausgesprochen. Doch in Berlin hat das Werben des Franzosen nicht verfangen. Merkel reagierte lange gar nicht, um dann schließlich zaghaft auf Paris zuzugehen. Als Symbol dafür steht der gemeinsame Wille, ein Euro-Zonen-Budget einzuführen. Ein solcher Investitionshaushalt kann dabei helfen, dass die Lebensverhältnisse in der Euro-Zone nicht zu sehr auseinanderdriften. Doch anstatt dieses Instrument solidarischer Politik voranzutreiben, wird es in den Verhandlungstopf des nächsten EU-Gesamthaushalts geworfen. Auf Wiedervorlage im Jahr 2020.

Selbst der deutsche Vorschlag, den Euro-Rettungsfonds ESM zu einem Europäischen Währungsfonds auszubauen, ist missglückt. Der Fonds bekommt zwar neue Aufgaben, aber er bräuchte weitaus mehr Befugnisse, damit Europa auf globaler Ebene unabhängiger wird. Gerade in einer Welt, in der man sich auf alte Bündnispartner nicht mehr verlassen kann, ist das unumgänglich. Schon allein aus Selbstschutz braucht es eine stabile Währungsunion - und damit einen Fonds, der nicht erst eingreift, wenn ein Land in derart schweren Turbulenzen steckt, dass es nur noch mit Milliarden gerettet werden kann. In den USA gibt es Beispiele, wie das ohne neue Transfers gelingen kann: mit Schlechtwetterfonds, die bei kleineren Krisen helfen oder einer Arbeitslosenversicherung, die Kredite bereitstellt.

All diese Ideen liegen nicht erst seit Macrons Europa-Rede auf dem Tisch. Und so bleibt nach dieser Brüsseler Nachtsitzung nur eine bittere Erkenntnis: Die Euro-Staaten sind offenbar nur zu großen Reformen in der Lage, wenn sie im Angesicht der Krise stehen. Nur dann, wenn es nicht mehr anders geht, kommt es zu Entscheidungen, die den Euro wirklich stärken. Bleibt zu hoffen, dass es beim nächsten Mal nicht schon zu spät ist.

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SZ vom 05.12.2018/vwu
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