Finanzmärkte:EU-Gesetz soll London Finanzgeschäfte abluchsen

Finanzmärkte: Die Londoner City, das alte Bankenviertel: Dies ist Europas größter Finanzplatz.

Die Londoner City, das alte Bankenviertel: Dies ist Europas größter Finanzplatz.

(Foto: Jochen Tack via www.imago-images.de/imago images/Jochen Tack)

Die britische Hauptstadt dominiert den Handel mit Euro-Wertpapieren - trotz Brexit. Die Brüsseler Kommission will Investoren nun per Verordnung zwingen, Umsätze in die EU zu verlagern. Zum Beispiel nach Frankfurt.

Von Björn Finke, Brüssel

Die EU-Kommission will Finanzfirmen dazu zwingen, einen Teil ihrer Wertpapiergeschäfte von London in EU-Staaten zu verlagern. Konkret geht es um Derivate, die auf Euro lauten, also um Finanzwetten zum Beispiel auf Zins- und Devisenentwicklungen. Große Investoren aus der EU, etwa Banken, müssten dann zumindest einige ihrer Geschäfte über sogenannte Clearinghäuser in der EU abwickeln anstatt nur Europas größten Finanzplatz London zu nutzen. Trotz Brexit dominiert London und vor allem der dortige Marktführer LCH weiter den Derivatehandel auf dem Kontinent. Von einer Verschiebung würden Eurex, eine Tochter der Deutschen Börse in Frankfurt, und der Amsterdamer Rivale Euronext profitieren.

Der Brüsseler Vorstoß findet sich in einem Gesetzentwurf, den die Kommission kommende Woche präsentieren will und welcher der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Hierbei handelt es sich um die Überarbeitung der Marktinfrastruktur-Verordnung, abgekürzt Emir. Bevor diese in Kraft treten kann, müssen sich zunächst Europaparlament und Ministerrat damit befassen, das Gremium der EU-Regierungen. Die Initiative kommt zu einem heiklen Zeitpunkt, denn die Europäische Union streitet ohnehin schon mit der britischen Regierung über die Wirtschaftsbeziehungen - und zwar über Zollregeln für Nordirland.

Clearinghäuser übernehmen eine Scharnierfunktion: Sie kümmern sich um die Abrechnung und Abwicklung von Wertpapiergeschäften und stehen zwischen Verkäufer und Käufer. EU-Investoren nutzen weiter Londoner Clearinghäuser für Geschäfte mit Euro-Papieren, weil ein Umzug oder eine Aufsplittung des Handels Geld kostet. Und es funktioniert ja auch gut. Doch EU-Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness, eine Irin, sieht die große Abhängigkeit von britischen Abwicklern als Risiko für die Stabilität der Finanzmärkte an. Schließlich unterliegt London nicht mehr EU-Regeln, der Brexit macht das Vereinigte Königreich zum unabhängigen Drittstaat. Die Brüsseler Behörde will daher mehr Umsatz in die Europäische Union locken. Doch all das Werben und die Mahnungen haben bislang nicht viel gebracht.

Deswegen musste McGuinness Anfang des Jahres eine Ausnahmeregel für britische Clearinghäuser erneuern. Die Kommission traf eine sogenannte Äquivalenzentscheidung: Sie erklärte, dass diese Anbieter in Großbritannien äquivalenten oder vergleichbaren Vorschriften unterliegen wie Finanzkonzerne innerhalb der EU. Darum können europäische Banken weiter problemlos Londoner Clearinghäuser nutzen. Diese Ausnahme wäre im Sommer ausgelaufen, aber McGuinness verlängerte sie um drei Jahre bis Juni 2025. Denn es wäre sehr teuer gewesen und hätte zu Marktturbulenzen führen können, wenn EU-Investoren ihre riesigen Geschäftsvolumen so rasch verlagert hätten. Die Christdemokratin warnte allerdings die Finanzfirmen, noch einen Aufschub werde es nicht geben. Bis 2025 müssen sie sich also ohnehin darauf einstellen, dass Clearing in London nicht mehr so einfach sein wird.

"London profitiert vom Däumchendrehen der Kommission"

Der Gesetzentwurf soll die Umschichtung beschleunigen. Die Kommission kombiniert dabei Zwang mit Anreizen. Der Rechtsakt wird EU-Clearinghäusern automatisch mehr Umsatz bescheren, wenn Banken verpflichtet sind, dort den Handel bestimmter, für die Finanzmärkte wichtiger Derivate zumindest teilweise abzuwickeln. Gleichzeitig will es die Behörde den EU-Clearinghäusern erleichtern, neue Produkte zu etablieren, zum Wohle der Kunden. Dafür sollen Genehmigungsverfahren entschlackt werden, die in der EU deutlich zäher als in Großbritannien sind, wie in der Branche moniert wird.

Aus dem Europaparlament ist bereits Applaus zu hören - und Kritik. Der CSU-Abgeordnete Markus Ferber sagt, der Vorschlag habe "die richtige Stoßrichtung, kommt aber viel zu spät". Es sei "enttäuschend", dass die Kommission erst sechseinhalb Jahre nach dem Brexit-Referendum eine Strategie entwickele, Clearinghäuser zu stärken, klagt der wirtschaftspolitische Sprecher der christdemokratischen EVP-Fraktion: "Vom Däumchendrehen der Kommission hat bisher vor allem der Finanzplatz London profitiert." Ferber äußert auch Zweifel, "ob die neuen Maßnahmen allein ausreichend sind, die Vormachtstellung Londons zu brechen".

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