EuGH-Urteil:So geht es mit Medikamenten in Deutschland weiter

Medikamenten-Preisbindung in Apotheken

Ausländische Versandapotheken dürfen deutschen Kunden Rabatte gewähren, hat der EuGH entschieden.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Wird rezeptpflichtige Arznei nach dem EuGH-Urteil billiger? Droht ein großes Apothekensterben? Und fällt jetzt auch die Buchpreisbindung?

Von Kim Björn Becker, Elisabeth Dostert, Wolfgang Janisch und Thomas Öchsner

In Deutschland gilt per Gesetz eine Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente: Sie kosten in jeder Apotheke gleich viel. Dieses Prinzip gerät nun unter Druck. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass ausländische Versandapotheken nicht an die starren Preise in Deutschland gebunden sind. Sie dürfen ihren Kunden also, anders als die Apotheken im Inland, Rabatte gewähren. Was bedeutet das für Kunden und Apotheker? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Müssen Kassenpatienten jetzt weniger für ihre Medikamente bezahlen?

Das hängt davon ab, von wo sie ihre Arzneien beziehen. Geht ein gesetzlich Versicherter wie bisher in die Apotheke, ändert sich zunächst einmal nichts: Die Kosten für verschreibungspflichtige Medikamente übernimmt weiterhin die Krankenkasse, die gesetzliche Zuzahlung liegt wie gehabt zwischen fünf und zehn Euro.

Allerdings können Kassenpatienten ihre Mittel nun auch offiziell günstiger bei ausländischen Versandapotheken beziehen - sofern diese den Kunden entsprechende Rabatte einräumen. Der niederländische Anbieter DocMorris, der nun vor Gericht gewonnen hat, wirbt zum Beispiel mit einer Gutschrift für jedes rezeptpflichtige Medikament, bei einer zweiten Bestellung wird diese auf die Rezeptgebühr angerechnet. Für Kassenpatienten lohnt es sich also, die Konditionen der Anbieter genau zu vergleichen.

Fällt damit die Preisbindung in Deutschland?

Das ist mittelfristig möglich, im Moment aber noch nicht sicher. Das Urteil der Luxemburger Richter richtet sich ja nicht grundsätzlich gegen die Preisbindung für deutsche Apotheken, sondern es betrifft die Frage, ob auch ausländische Anbieter darunter fallen. Solange es keine Reform der entsprechenden Gesetze und Verordnungen in Deutschland gibt, bleibt die gegenwärtige Regelung bestehen - für Patienten mit Rezept eröffnen sich lediglich neue Bezugsquellen im Ausland.

Diskriminiert das nicht die inländischen Apotheken?

Diskriminiert das nicht die inländischen Apotheken? Dass die Preisbindung weiter für Apotheken im Land gilt, ist ungerecht, könnte man argumentieren. Denn den größten Teil des Gewinns erzielen sie über den Medikamentenpreis - und hier kann ihnen nun die ausländische Konkurrenz mit günstigeren Preisen Kunden abjagen. Aus Sicht des Freiburger Rechtsanwalts Morton Douglas, der auf Apothekenrecht spezialisiert ist, lässt sich daraus nun ein rechtliches Argument gewinnen: Die Berufsfreiheit deutscher Apotheker könnte verletzt sein, weil sie plötzlich von ausländischer Konkurrenz unterboten werden, ohne darauf reagieren zu können. Douglas will das bereits anhängige Verfahren vor dem Berliner Kammergericht und dem Oberlandesgericht Frankfurt durchfechten.

Versandhandel verbieten - geht das?

Kann man den Versandhandel jetzt einfach verbieten?

Ja. Um die Preisbindung zu erhalten, könnte die Bundesregierung den Versandhandel mit Medikamenten ganz verbieten und auf diese Weise die hiesigen Apotheken schützen. Bayern will nun genau das tun und hat bereits eine Bundesratsinitiative angekündigt. Europarechtlich sei das Verbot des Versandhandels möglich, heißt es von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). Allerdings würden ausländische Händler wohl auch gegen diesen Schritt juristisch vorgehen und sich am Ende abermals durchsetzen.

Die SPD ist von einem Verbot jedoch nicht angetan, hat doch die frühere sozialdemokratische Gesundheitsministerin Ulla Schmidt 2004 den Weg für den Versandhandel mit Arzneimitteln erst freigemacht. So denkt der stellvertretende SPD-Fraktionschef Karl Lauterbach auch eher daran, Apothekern die Beratungsleistung besser zu vergüten, um sie im Wettbewerb gegen die Versandhändler zu stärken. Wie eine mögliche Reform der gegenwärtigen Preisfestsetzung von rezeptpflichtigen Medikamenten aussehen kann, darüber ließe sich nur spekulieren. Das Bundesgesundheitsministerium hat bereits angekündigt, das EuGH-Urteil erst einmal umfassend prüfen zu wollen.

Wie begründen die Richter ihr Urteil?

Wie begründen die Richter ihr Urteil? Der EuGH findet, dass eine Preisbindung auch für ausländische Versandapotheken die Freiheit des Warenverkehrs innerhalb der EU beeinträchtigt - und zwar deshalb, weil die ausländischen Versandapotheken allein über den Preis in den Wettbewerb um Kunden treten können, während die im Inland ansässigen Apotheken beispielsweise mit guten Beratungsangeboten werben können. Dass feste Preise nötig seien, um ein Apothekensterben im ländlichen Raum zu verhindern - wie die Bundesregierung behauptet hatte -, hält der EuGH nicht für erwiesen oder wahrscheinlich.

Wie reagiert die Politik - und mit welchen Argumenten?

Wie reagiert die Politik - und mit welchen Argumenten? Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will den Apothekern Beistand leisten und das "uns Mögliche tun, damit die flächendeckende Arzneimittelversorgung auf hohem Niveau durch ortsnahe Apotheken weiterhin gesichert bleibt". Der Versandhandel könne nämlich nicht "die wohnortnahe Versorgung durch Präsenzapotheken ersetzen". Wie er das tun will, hat Gröhe nach dem Urteil aber nicht gesagt. Auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sieht für die Verbraucher neben möglichen Preisvorteilen für Patienten, die ein bestimmtes Medikament über einen langen Zeitraum einnehmen müssen, "erhebliche Gefahren". So könnten "bei einem harten Preiskampf kleine Apotheken nicht mithalten".

Droht jetzt ein Apothekensterben?

Die teils günstige Konkurrenz aus dem Ausland macht die Situation für deutsche Apotheken jedenfalls nicht leichter. Allerdings ist die Zahl der Apotheken in den vergangenen Jahren ohnehin rückläufig: Auch ohne neue Mitbewerber sank die Zahl der niedergelassenen Apotheken im vergangenen Jahr deutschlandweit um etwa 200 auf 20 500. In den ersten drei Monaten dieses Jahres schlossen weitere 60 Apotheken.

Sofern in den kommenden Monaten etliche Kunden traditioneller Apotheken auf Versandhändler ausweichen, könnte sich dieser Prozess beschleunigen. Würde die Preisbindung abgeschafft, hätten auch deutsche Apotheken die Möglichkeit, Rabattsysteme einzuführen und ihre Kunden so weiter an sich zu binden. Allerdings unterlägen sie bei einer Rabattschlacht wohl, da Versandhändler vermutlich günstiger wirtschaften können, als es niedergelassenen Apothekern möglich ist.

Jetzt ist auch die Buchpreisbindung in Gefahr

Was passiert mit den mehr als 3000 inländischen Versandapotheken?

Auch diese haben nun, verglichen mit ihren Konkurrenten im Ausland, Preisnachteile. Ihr Bundesverband spricht von "Inländerdiskriminierung". Inländische Versandapotheken könnten nun bewusst die Preisbindung unterlaufen, mit Rabatten locken und so ein Gerichtsverfahren gegen sich in Gang bringen. Richter müssten dann klären, ob es legitim ist, inländische Versandapotheken zu diskriminieren. Das Urteil könnte das endgültige Aus für die Preisbindung sein.

Warum gibt es überhaupt eine Preisbindung?

Warum gibt es überhaupt eine Preisbindung? Das Arzneimittelgesetz (AMG), das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (Amnog) und die Arzneimittelpreis-Verordnung (AMPreisV) sollen die gerechte Versorgung kranker Menschen in Deutschland sicherstellen, ganz gleich, ob sie in einer Großstadt mit vielen Apotheken leben oder irgendwo auf dem Land. Der Preis für verschreibungspflichtige Medikamente ist in allen Apotheken in Deutschland gleich, die Konkurrenz zwischen den Apotheken über den Preis sozusagen ausgeschaltet.

2015 setzten die deutschen Apotheken knapp 48 Milliarden Euro um. Verschreibungspflichtige Medikamente steuerten gut 83 Prozent dazu bei. Sie sind für die Apotheken das "Brot- und Buttergeschäft".

Wie kommen Medikamenten-Preise zustande?

Wie kommen Medikamenten-Preise zustande? Die Preisbildung für Arzneimittel ist ziemlich undurchsichtig. Kein Pharmahersteller verrät, wie viel genau er in die Entwicklung eines neuen Medikaments gesteckt hat und schon gar nicht, welchen Anteil die Ausgaben für Forschung und Entwicklung beispielsweise am Preis haben. Der US-Gesundheitsökonom Joseph DiMasi hat ausgerechnet, dass Pharmafirmen heute mindestens 2,1 Milliarden Euro ausgeben müssen, um ein neues Produkt zu entwickeln. Dem Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim zufolge benötigt man im Schnitt zwölf Jahre für die Entwicklung.

Tausende Substanzen werden auf ihre biologische Wirksamkeit getestet, davon gelangen nur zehn in die Entwicklung. Sie werden dann mehrere Jahre geprüft, um den besten Wirkstoff für das neue Präparat zu finden. Bis es zugelassen wird, muss es vorklinische und klinische Studien durchlaufen. Das neue Medikament kann auf jeder Stufe scheitern. Es gibt mehr Misserfolge als Erfolge, Blockbuster, also Medikamente mit mehr als einer Milliarde Dollar Umsatz, gibt es wenige.

Für die Zulassung ist in Deutschland das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zuständig. Gesetzliche Grundlage der Zulassung in Deutschland ist das Arzneimittelgesetz (AMG). Zu den Kosten für Forschung und Entwicklung kommen die Kosten für Herstellung, Rohstoffe, Verpackung und auch die Ausgaben für Marketing und Werbung. Was das Medikament kostet, hängt auch von den Marktbedingungen und der Konkurrenz ab.

Welche weiteren Folgen könnte das Urteil des EuGH haben?

Die Entscheidung könnte mittelfristig alle Wirtschaftsbereiche betreffen, in denen es eine Preisbindung gibt und eine Versandlieferung aus dem Ausland möglich ist. Das betrifft in Deutschland in erster Linie Bücher, die der gesetzlichen Buchpreisbindung unterliegen.

Der Chef der deutschen Monopolkommission, Achim Wambach, spricht daher bereits von einem Ende der Buchpreisbindung in Deutschland - denn diese "beschränkt den freien Warenverkehr in ähnlicher Weise wie die Preisbindung für Arzneimittel", sagte Wambach der Rheinischen Post. Die Entscheidung des EuGH deute darauf hin, dass "auch die von der Monopolkommission kritisierte und kürzlich auf E-Books erweiterte gesetzliche Buchpreisbindung nicht mehr ohne Weiteres zu halten sein dürfte". Ein Urteil mit Nebenwirkungen eben.

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