BGH:Wie kann man Google zum Vergessen zwingen?
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Immer wieder verlangen Betroffene, dass Suchmaschinen fragwürdige Berichte aus der Trefferliste entfernen. Der BGH verhandelt derzeit über einen bizarren Fall - mit geringen Erfolgsaussichten.
Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe
Das Internet hat ein langes und umfassendes Gedächtnis, was sehr unangenehm sein kann, wenn man dort mit Fehltritten, Skandalen oder gar Rechtsverstößen gespeichert ist. Die obersten Gerichtshöfe in Deutschland wie in Europa befassen sich daher seit zehn Jahren immer wieder mit dem "Recht auf Vergessenwerden"; da geht es um Persönlichkeitsrechte auf der einen Seite und den freien Austausch von Informationen auf der anderen. Seit 2017 steht dieses "Recht auf Vergessenwerden" auch in der EU-Datenschutz-Grundverordnung. An diesem Dienstag hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun über einen Fall verhandelt, in dem die fast schon philosophische Frage nach dem Gedächtnis des Netzes auf eine sehr konkrete Frage reduziert wird: Was muss der Betroffene tun, um einen unangenehmen Artikel aus der Auflistung der Suchmaschine löschen zu lassen? Oder anders ausgedrückt: Wie kann man Google zum Vergessen zwingen?
Der Fall, der Anlass zu der Verhandlung gab, ist einigermaßen bizarr. Über die beiden Kläger in diesem Verfahren - ein Paar aus der Finanzdienstleistungsbranche - waren auf einer US-amerikanischen Website mehrere Artikel erschienen, die sie in einem nicht sonderlich günstigen Licht zeigten. Das von ihren Unternehmen betriebene Anlagemodell wurde kritisch dargestellt, und zur berufstypischen Illustration wurden Fotos gezeigt: der Kläger am Steuer eines Luxusautos, in einem Hubschrauber, vor einem Flugzeug, die Lebensgefährtin im Cabrio. Visuelle Botschaft: Da lassen es sich zwei fragwürdige Finanzdienstleister mit dem Geld ihrer Anleger gut gehen.
Im Laufe des Verfahrens war freilich auch die Website ins Zwielicht geraten. Ihr Geschäftsmodell - so lautete der Vorwurf - sei nicht etwa Aufklärung und Transparenz gewesen, sondern Erpressung ebenjener Finanzdienstleister. Auch die Kläger behaupteten, Opfer dieser Praktiken geworden zu sein.
Diese schillernde Hintergrundbeleuchtung blieb zumindest im BGH-Verfahren ungeklärt, denn die Klage des Luxus-Paars richtete sich allein gegen Google und nicht gegen die angebliche Transparenz-Website: Sie wollten nicht, dass bei Eingabe ihrer Namen in die Suchmaschine die inkriminierenden Artikel auftauchen. Weil es hier um europäisches Recht ging, hatte der BGH zunächst den Europäischen Gerichtshof angerufen. Seit Dezember liegt die Antwort vor. Und in der BGH-Verhandlung am Dienstag zeichnete sich ab, dass die Erfolgsaussichten des Paares gering sind.
Bloße Zweifel an der Wahrheit reichen nicht aus
Zwar versteht es sich von selbst, dass Google keine Rechtfertigung für die Verbreitung solcher Artikel hätte, wenn sie unwahr wären. Allerdings trifft Google keine Pflicht, selbst aktiv an der Überprüfung des Inhalts mitzuwirken, wie der BGH-Senatsvorsitzende Stephan Seiters in der Verhandlung deutlich machte. Eine solche Pflicht könnte nämlich dazu führen, dass Google die Inhalte kurzerhand löschte, nur um sich von der Last der Ermittlungen zu befreien.
Entscheidend ist damit, was die Betroffenen vorbringen müssen, um Google zur Löschung zu veranlassen. Denn sie trifft die "Darlegungs- und Beweislast", um ihren Anspruch zu untermauern. Und da hatte der EuGH klargemacht, dass bloße Zweifel an der Wahrheit keineswegs ausreichen. Den Betroffenen obliege "der Nachweis, dass die in diesem Inhalt enthaltenen Informationen offensichtlich unrichtig sind", oder jedenfalls ein bedeutender Teil davon. Und den Klägern, so war der BGH zu verstehen, ist dieser Nachweis offenkundig nicht gelungen.
Sie werden also voraussichtlich damit leben müssen, dass Google Internetnutzer nach wie vor zu den Berichten über fragwürdige Anlagemodelle und teure Autos lotst. Ob dies auch für die Vorschaubilder gilt - die sogenannten "Thumbnails" -, ist nach dem Gang der Verhandlung weniger eindeutig. Der sechste BGH-Zivilsenat tendiert offenbar dazu, die Thumbnails isoliert zu betrachten, also ohne den Kontext, den die dahinter liegende Website liefert. Für die Vorschaubilder würde also ein anderer juristischer Maßstab gelten als für die Website dahinter. Google könnte damit gezwungen sein, zumindest die Vorschaubilder zu der konkreten Website entfernen. Dies freilich wäre nur eine geringfügige Einbuße für die Suchmaschine: Der Mann im Luxusauto wäre nach wie vor leicht auffindbar.