Wirtschaftswachstum:Die EU-Kommission erhöht ihre Konjunkturprognose

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Das HHLA Container Terminal Burchardkai im Hafen von Hamburg ist ein wichtiger Umschlagplatz für Waren aus den USA und der EU. (Foto: Chris Emil Janssen/IMAGO)

An einer Rezession kommt Europa zwar vorbei - aber um mehr als ein Prozent wächst die Wirtschaft nicht. Vor allem ein Land ist weit hinten.

Von Jan Diesteldorf, Brüssel

Die Wirtschaft in der Europäischen Union hat die Krisen der vergangenen Jahre besser verkraftet als zuletzt erwartet. Nach einer Prognose der EU-Kommission wird sie im laufenden Jahr verhalten, aber stabil wachsen. Die Behörde rechnet mit einem Wachstum von einem Prozent im Durchschnitt der 27 EU-Staaten und mit einem Plus von 1,1 Prozent für das Euro-Währungsgebiet. "Europas Wirtschaft ist in einer besseren Verfassung, als wir es im Herbst erwartet hätten", sagte Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni am Montag in Brüssel zur Präsentation der Frühjahrsprognose. Die Risiken seien aber nach wie vor groß, und wegen Russlands Krieg gegen die Ukraine bleibe der Ausblick unsicher.

Der größte stabilisierende Faktor waren und sind die sinkenden Energiekosten. Die Preise für Erdgas zur Lieferung im nächsten Monat haben sich seit Jahresbeginn auf unter 35 Euro pro Megawattstunde halbiert. Das entlastet Unternehmen und Haushalte und drückt die Inflation. Die Kommission betrachtet aber vor allem die sogenannte Kerninflationsrate, die ohne den Einfluss der kurzfristig schwankenden Energiepreise berechnet wird. Und die bleibt hoch. "Die Inflation hat sich als hartnäckiger erwiesen als erwartet", sagte Gentiloni.

Nach dem Rekordwert 7,6 Prozent im März rechnet die Kommission mit 6,9 Prozent im Laufe des Jahres. Im Februar hatte sie noch 6,3 Prozent veranschlagt. 2024 werde die Inflationsrate wieder fallen, auf dann 3,4 Prozent. In den ersten drei Monaten des Jahres hätte die Preissteigerung damit einen Höhepunkt erreicht. Die Folgen bleiben aber deutlich zu spüren. "Die Inflation untergräbt weiterhin die Kaufkraft der Verbraucher", heißt es in der Prognose der Kommission.

Deutschland fällt als Konjunkturmotor aus

Deutschlands Wirtschaft wird den Berechnungen zufolge im laufenden Jahr weitgehend stagnieren und fällt als Konjunkturmotor für Europa aus. Die Investitionen und der private Konsum lägen noch deutlich unter dem Niveau vor der Pandemie. "Die Anpassung der Lieferketten für Energie und andere Zwischenprodukte sowie volle Auftragsbücher sollten wachsenden Investitionen in 2024 die Bühne bereiten", heißt es im Ausblick der Kommission.

Die EU rechnet mit nur 0,2 Prozent Wachstum für Deutschland in 2023, bevor die Konjunktur im kommenden Jahr wieder anziehen dürfte. Für 2024 erwartet sie ein Plus von 1,4 Prozent. Mit sinkenden Energiekosten dürfte die Inflation laut Kommission weiter fallen, bis auf 2,7 Prozent im kommenden Jahr. Deutschlands Exportüberschuss, der das Land so lange wirtschaftlich getragen hat, wird den Experten zufolge so schnell nicht wieder sein altes Niveau erreichen. Bei den Konjunkturaussichten für 2023 teilt sich Deutschland den drittletzten Platz mit Finnland und Tschechien.

Ein Lichtblick in der Prognose der Kommission ist der Arbeitsmarkt. Im März fiel die Arbeitslosenquote in der EU auf ein Rekordtief von sechs Prozent. Die Beschäftigungsquote erreichte ebenfalls einen Rekord. Im weiteren Jahresverlauf rechnet die Brüsseler Behörde mit einer stabilen Arbeitslosenquote von etwas mehr als sechs Prozent. Die Löhne und Gehälter dürften unterdessen weiter steigen, in mehreren Mitgliedstaaten stünden Mindestlohn-Erhöhungen an und die Arbeitnehmer würden den Druck aufrechterhalten, ihre infolge der Inflation verlorene Kaufkraft wiederzuerlangen.

Schuldenquoten und Haushaltsdefizite dürften bald wieder sinken

Im vergangenen Jahr hatten sich Europas Regierungen mit milliardenschweren Konjunkturprogrammen gegen den kriegsbedingten Energiepreisschock gestemmt. Nachdem der weitgehend verkraftet ist, bleiben die Schuldenstände hoch, sowohl in der gesamten EU mit 85 Prozent als auch in der Eurozone mit 91 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Kommission rechnet mit weiter sinkenden Schuldenquoten im kommenden Jahr. Dann laufen in den meisten Staaten die in Kriegs- und Pandemiezeiten aufgelegten staatlichen Hilfsprogramme endgültig aus. Entsprechend dürften auch die Defizitquoten - also die Neuverschuldung innerhalb eines Jahres - sowohl in der gesamten EU als auch in den Euro-Ländern zurückgehen, von derzeit etwa dreieinhalb auf 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung im Jahr 2024.

Die Finanzminister gehören nun theoretisch zu den wenigen Menschen, die sich über die Inflation freuen könnten. Denn mit der Geldentwertung sinkt auch der Wert der Schulden. Von dem Effekt profitieren sie aber nur kurz, denn die Inflation und geringere Investitionen bremsen vielerorts das Wachstum aus. Außerdem steigen mit der Preissteigerungsrate die Leitzinsen der Zentralbank, neue Kredite werden teurer und die Refinanzierungskosten der Regierungen steigen. Nicht zuletzt treffen die Staatsausgaben auf ein generell höheres Preisniveau, was den finanziellen Spielraum einschränkt.

In Zukunft müsse man die zunehmende Fragmentierung Europas genau im Blick behalten, betonte Gentiloni am Montag. "Unser Ausblick zeigt bemerkenswerte Unterschiede unter den Ländern mit Blick auf öffentliche Finanzen, aber auch das Wachstum und die Inflation", sagte der Italiener. Diese Unterschiede dürften sich nicht verfestigen.

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