Die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager ist es gewohnt, anderen die Regeln zu diktieren. Sie gilt als harter Hund. Es soll vorkommen, dass Firmenchefs monatelang auf einen Termin warten müssen. Die Kommissarin macht keine Ausnahmen. Vor allem, wenn es um Konzerne geht, die im Ruf stehen, die Kräfte des freien Marktes auszuhebeln. Umso weniger dürfte Vestager gefallen, was der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Mittwoch bekannt gegeben hat. Ausgerechnet der Prozess um die milliardenschwere EU-Kartellstrafe gegen den amerikanischen Chiphersteller Intel muss neu aufgerollt werden. Die Richter am EuGH hoben ein Urteil der Vorinstanz auf, das die verhängte Strafe noch bestätigt hatte. Konkret geht es um 1,06 Milliarden Euro. Die höchste Strafe, die die Europäische Kommission bis dato in einem Kartellverfahren verhängt hatte.
Eine Niederlage der Brüsseler Kommission in einem Wettbewerbsfall vor den obersten europäischen Gerichten ist selten - obwohl Firmen häufig gegen Entscheidungen und Bußgelder der Kommission klagen. Die Kommission prüft derartige Fälle in der Regel jahrelang, um sich gegen eine gerichtliche Niederlage abzusichern.
Die US-Kartellbehörden gehen weniger hart gegen die Digitalkonzerne vor
Die Niederlage im Fall Intel ist deshalb ein Rückschlag für Vestager und wirft nun die Frage auf: Wird die EU-Kommission künftig noch genauso entschieden gegen angenommene Einschränkungen des Wettbewerbs etwa durch US-Digitalgiganten wie Intel, Google, Facebook oder Microsoft vorgehen? Gegen alle diese Konzerne hat Brüssel mit jahrelangem Aufwand Verfahren angestrengt - und zum Teil hohe Strafen verhängt. Da die Konzerne mit einer Heerschar von Anwälten agieren, gelten diese Verfahren als politisch riskant. Die Kartellbehörden in den USA gehen bei Weitem nicht so hart gegen die Digitalkonzerne vor, wie das Europa tut.
Die Entscheidung in dem Verfahren gegen Intel hatte sich bereits abgezeichnet. Generalanwalt Nils Wahl hatte schon im Oktober vorigen Jahres bei seinem Plädoyer eine Reihe von Rechtsfehlern bemängelt. Die Ermittler der Kommission hätten es beispielsweise versäumt, einzelne Befragungen von Zeugen ordnungsgemäß aufzuzeichnen.
Im Verfahren gegen Intel ging es um den Vorwurf, dass der Chiphersteller seinen einzigen ernst zu nehmenden Wettbewerber AMD in den Jahren 2002 bis 2009 systematisch aus dem Markt gedrängt haben soll. Und zwar indem der US-Konzern seine marktbeherrschende Stellung gegen Kunden ausspielte. Die vier damals führenden Computerhersteller (Dell, Lenovo, HP und NEC) wurden demnach von Intel mit Rabatten gelockt - unter der Bedingung, dass sie keine AMD-Prozessoren in ihren Produkten verbauen. Auch mit Computerhändlern, darunter die deutsche Elektromarktkette Media Saturn, soll es ähnliche Geschäfte gegeben haben.
Intel kann jetzt hoffen, um die Milliardenstrafe herumzukommen
Rückblickend könnte das erklären, warum es in einigen Läden eine Zeit lang nur Rechner mit Intel-Hauptprozessoren zu kaufen gab. Dass es die Rabatte gegeben hat, bezweifelt auch der EuGH nicht. Die Richter bemängeln in der Urteilsbegründung aber, dass die Umstände, unter denen die Rabatte gewährt wurden, nicht ausreichend untersucht worden seien. Vor allem ist dem Gericht nicht klar, welche Auswirkungen auf den freien Wettbewerb dieses Verhalten des Chipherstellers gehabt hat. Das muss die Vorinstanz nun also nachholen.
Die Kommission äußerte sich am Mittwoch nicht zum Richterspruch aus Luxemburg. Ein Sprecher teilte lediglich mit, man werde sich die Urteilsbegründung sehr genau ansehen. 2009 klang das noch ganz anders. Damals stellte sich die Vorgängerin von Margrethe Vestager vor die Kameras und sagte: "Heute sind Sie der Sponsor des europäischen Steuerzahlers." Sie meinte die Manager von Intel.
Die dürfen sich nun wieder Hoffnungen machen, doch noch um die Milliardenstrafe herumzukommen. Zumindest aber wird sich die Sache noch Jahre hinziehen - in der schnelllebigen Elektronikbranche ist das eine Ewigkeit.
Im vergangenen Quartal hat Intel zwar insgesamt trotz zurückgehender PC-Verkäufe gut abgeschnitten, doch dem Unternehmen ist unerwartete Konkurrenz erwachsen: Die Firma AMD, also die, die man vor 15 Jahren abzuwehren versuchte, ist nach einigen mageren Jahren wiederauferstanden. Mit seinen neuen Ryzen genannten Prozessoren hat die Firma erstaunlich aufgeholt. Die AMD-Chips bieten vor allem das bessere Preis-Leistungs-Verhältnis. Außerdem übernehmen mobile Geräte mit Prozessoren nach dem Design der britischen Firma ARM mehr und mehr Aufgaben, die früher PCs vorbehalten waren.
Intel war vor einigen Jahren vor allem deshalb in Schwierigkeiten geraten, weil der Konzern den Trend zu Smartphones und Tablets regelrecht verschlafen hatte. Trotz nachgeschobener Milliardeninvestitionen gelang es dem Chiphersteller mit Hauptsitz in Santa Clara, Kalifornien, nicht mehr, seine Prozessoren in größeren Stückzahlen in Smartphones und Tablets zu bringen. Außer auf PCs setzt Intel nun verstärkt auf das Internet der Dinge, in dem viele netzwerkfähige Geräte miteinander verbunden werden sollen.