EU verlangt mehr Einsparungen:Warum Spaniens Agenda 2010 nicht funktioniert

Spaniens Schulden sind hoch, zugleich beutelt eine enorme Arbeitslosigkeit die Bevölkerung. Das Land bekommt trotz Sparpaket die Probleme nicht in den Griff. Jetzt erhöht Brüssel den Druck.

Sebastian Schoepp

Die Botschaft aus Brüssel ist klar: Spanien soll noch mehr sparen, gleichzeitig aber mehr tun, um seine dramatische Arbeitslosigkeit zu verringern. Am Freitag stellte die EU-Kommission in Brüssel ihren Konjunkturausblick vor, und der sieht im Falle Spaniens düster aus: Das Land wird im kommenden Jahr ein Haushaltsdefizit von 6,3 Prozent erreichen - das doppelte der im Stabilitätspakt verordneten drei Prozent.

Gleichzeitig werde die Arbeitslosigkeit auf 25 Prozent steigen - das sei "unakzeptabel", heißt es in der Prognose. Das finden die meisten Spanier auch, weshalb am Wochenende Massenproteste in vielen Städten gegen die konservative Regierung von Mariano Rajoy geplant sind. Er und seine Minister sind nach Ansicht einer steigenden Zahl von Spaniern an dem von Brüssel verordneten Spagat-Kunststück gescheitert, gleichzeitig das Defizit zu verringern und die Wirtschaft anzukurbeln.

Auch Währungskommissar Olli Rehn ließ am Freitag offen, wie das gehen soll, und beließ es bei der mantrahaft vorgetragenen Formulierung, die Kommission habe "volles Vertrauen in die Entschlossenheit der spanischen Regierung, die Haushaltsziele des Stabilitätspakts zu erreichen". Aus Berlin verlautete: "Es ist möglich, in jedem Fall gegenzusteuern und die Defizitsituation zu verbessern".

Das heißt im Klartext: Sparen kommt vor allem anderen, und in Spanien sei noch Luft drin. Das aber ist die Frage. Spanien hat bereits auf Drängen aus Brüssel und Berlin einen zweistelligen Milliardenbetrag auf Kosten von Bildung und Gesundheit eingespart, es hat die Ausgaben gekürzt, es hat die Steuern erhöht. Die Wirtschaft hat das nicht beflügelt: Das Bruttoinlandsprodukt dürfte in diesem Jahr laut EU-Kommission um 1,8 Prozent schrumpfen, und 2013 nochmals um 0,3 Prozent.

Spanien steckt tief in einer Rezession, aus der es mittelfristig keinen Ausweg zu geben scheint. Das wird am Arbeitsmarkt spürbar: Der Staat stellt niemanden mehr ein, und die Firmen entlassen massenhaft Leute. Das geht leichter, seit die Regierung in einem ersten Schritt in diesem Frühjahr den Kündigungsschutz gelockert hat. Die Logik, die dahintersteckt, beruht auf einer Annahme der sogenannten "angebotsorientierten Wirtschaftspolitik", die in den 1980er Jahren von den Strategen des US-Präsidenten Ronald Reagan erdacht wurde und die heute als Neoliberalismus bekannt ist: Je weniger Hürden es für Kündigungen gibt, desto bereitwilliger werden Firmen Jobs schaffen. Der positive Effekt der größeren Bewegungsfreiheit für einen Unternehmer werde mit der Zeit auf den Arbeitsmarkt "durchsickern".

Alle faulen Kredite in die "Bad Banks"

Funktioniert hat das in Spanien bisher nur in einer Richtung: Jobs brechen weg. Letztlich hoffen die momentan in Europa maßgeblichen Vertreter dieses wirtschaftspolitischen Kurses, dass in Ländern wie Spanien ein ähnlicher Effekt einsetzt wie in Deutschland durch die Agenda 2010, die auf eine Verringerung der Sozialausgaben abzielte und Arbeitslose stärker unter Druck setzte. Nur hat ein Land wie Spanien nicht die industriellen Strukturen, um in kurzer Zeit einen neuen Arbeitsmarkt zu schaffen. Jobmotor war bis vor kurzem fast ausschließlich die Bau- und Immobilienwirtschaft, die nach dem Platzen der Spekulationsblase darniederliegt.

Der Bildungssektor weist etwa im Ingenieurswesen und im Handwerk zu wenig Praxisbezug auf, in den Jahren des Booms wollte jeder bevorzugt Anwalt oder Spekulant werden. Spanien braucht also - so es weiter im Euroraum mithalten soll - nach Meinung vieler Fachleute gezielte Hilfe bei der Umbau seines Bildungssystems und Impulse für eine produktivere Wirtschaftsstruktur, etwa durch Konjunkturprogramme, wie sie Frankreichs neuer Präsident Françoise Hollande angeregt hat.

Schwarzarbeit und starker Familienzusammenhalt

Der aber wird nun nach den EU-Regeln selbst erst mal sparen müssen. Frankreich werde 2012 ein Haushaltsdefizit von 4,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen, prognostiziert die EU-Kommission - weit über der Zielmarke von drei Prozent. Wenig wachstumsfördernde Geldstrafen, wie sie der neue Stabilitätspakt möglich macht, wollte Währungskommissar Rehn am Freitag Spaniern und Franzosen aber noch nicht androhen. Die Spanier überleben derweil durch die im Land traditionell starke Familiensolidarität - und durch Schwarzarbeit. Der informelle Sektor soll bereits ein gutes Viertel des Bruttoinlandsprodukts ausmachen - Geld, das dem Staat fehlt. Viele Spanier sehen jedoch nicht ein, warum sie Steuern zahlen sollten - wenn diese dann in die Übernahme von Banken fließen, wie im Falle des strauchelnden Geldinstituts Bankia.

Um zu wissen, was da noch alles droht, beschloss die Regierung am Freitag, eine unabhängige Überprüfung der gesamten Immobilien-Bestände der Banken. Ihre faulen Kredite müssen die Geldinstitute an "Bad Banks" übertragen, deren Aufgabe darin besteht, einbehaltene Immobilien auf den Markt zu bringen. Viele Banken haben ihre Bilanzen mit überteuerten Wohnungen geschönt, die aber in Wahrheit unverkäuflich sind - Schrottimmobilien, die nur zum Spekulieren gebaut wurden und die jetzt wie Krisendenkmäler Küsten, Berge und Ebenen verschandeln.

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