Pandemie-Bekämpfung:EU schlägt Aufweichung des Patentschutzes vor

Pandemie-Bekämpfung: Wer endlich seine Impfung haben will, für den ist der Stoff wertvoller als Gold. Das gilt auch international - denn manche Länder haben kaum Zugriff auf Vakzine.

Wer endlich seine Impfung haben will, für den ist der Stoff wertvoller als Gold. Das gilt auch international - denn manche Länder haben kaum Zugriff auf Vakzine.

(Foto: JACK GUEZ/AFP)

Die Kommission reagiert auf den Vorstoß der USA, Patente für Corona-Impfstoffe freizugeben. Brüssel lehnt das ab, will aber Zwangslizenzen vereinfachen - eine brisante Initiative.

Von Björn Finke, Brüssel

Die Antwort Europas auf Amerikas Vorstoß kommt um 9.20 Uhr im fast leeren Plenarsaal des Europaparlaments: Zum Start einer Debatte über Impfstoffpatente verspricht Valdis Dombrovskis, der zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, dass seine Behörde bald einen eigenen Vorschlag bei der Welthandelsorganisation WTO unterbreiten werde, wie arme Länder mehr Corona-Vakzine erhalten. Diese Pläne könnten weitreichende Folgen für Hersteller wie Biontech aus Mainz haben.

Exakt zwei Wochen vorher waren die USA bei dem Thema vorgeprescht - und hatten die EU auf dem falschen Fuß erwischt. Denn da verkündete Katherine Tai, die Handelsbeauftragte des neuen Präsidenten Joe Biden, ihre Regierung wolle bei der WTO Forderungen unterstützen, den Patentschutz für die knappen Heilsbringer zeitweilig aufzuheben. Diesen Vorschlag hatten Indien und Südafrika im Oktober bei der Genfer Organisation eingebracht; für die kommenden Tage wird eine überarbeitete Version erwartet. Dies würde bedeuten, dass jeder Pharmakonzern weltweit zum Beispiel das Vakzin produzieren darf, das Biontech entwickelt hat. Die Mainzer könnten nicht mehr wegen Patentverletzungen klagen.

Die Mehrheit der EU-Staaten, auch Deutschland, lehnt diese Initiative ab. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betont immer, die EU sei im Westen der einzige nennenswerte Exporteur von Covid-Impfstoffen. Andere Hersteller-Länder sollten diesem Beispiel folgen, um die weltweite Versorgung zu verbessern: eine Spitze gegen die USA. Doch jetzt will es Brüssel nicht mehr bei diesen Argumenten belassen und stattdessen bei der WTO über eigene Vorschläge diskutieren.

Der für Handel zuständige Kommissionsvize Dombrovskis möchte zum einen erreichen, dass sich die WTO-Mitglieder verpflichten, den Einsatz von Exportverboten für Vakzine zu begrenzen. Der frühere lettische Ministerpräsident wies in der Parlamentsdebatte am Mittwoch darauf hin, dass die EU die Hälfte ihrer Produktion ausführe - bislang "mehr als 200 Millionen Dosen in 45 Länder". Zweitens sollten Regierungen Patentinhaber wie Biontech ermutigen, in Fabriken in Entwicklungsländern zu investieren und mehr Lizenzvereinbarungen abzuschließen. Solche Verträge erlauben es anderen Herstellern gegen eine Gebühr, die patentgeschützten Vakzine zu fertigen.

"Zwangslizenzen sind ein legitimes Werkzeug."

Am brisantesten ist der dritte Teil des Vorschlags: Freiwillige Lizenzen seien der beste Weg, um die Produktion schnell auszuweiten, aber auch "Zwangslizenzen sind im Kontext einer Pandemie ein absolut legitimes Werkzeug", sagte Dombrovskis. Die EU strebt daher eine Vereinbarung unter den WTO-Mitgliedern an, die es Regierungen vereinfacht, dieses Instrument zu nutzen.

Der Unterschied zu einer freiwilligen Lizenz ist, dass nationale Regierungen, zum Beispiel von Indien oder China, hier den Patentinhaber, zum Beispiel Biontech, zwingen, einem Hersteller vor Ort die Patentnutzung zu gestatten. Der Patentinhaber erhält eine Entschädigung, wobei die EU in ihrem Vorschlag anregt, dass diese bei Covid-Vakzinen so niedrig sein könne, dass der Inhaber keinen Gewinn erzielt.

Bei der WTO regelt das sogenannte Trips-Abkommen den Umgang mit Patenten. Der Vertrag erlaubt es Regierungen schon jetzt, bei Notlagen Zwangslizenzen zu nutzen. Ein hochrangiger Kommissionsbeamter sagt aber, die Brüsseler Vorschläge sollten dieses Verfahren vereinfachen und zu mehr Rechtssicherheit führen.

China könnte profitieren, die Investitionen könnten leiden

Die Behörde argumentiert, dass Zwangslizenzen ein besseres allerletztes Mittel zur Ausweitung der Vakzinproduktion seien als der Plan der USA, den Patentschutz aufzuheben: Zwangslizenzen würden gezielt einigen fähigen Herstellern die Produktion erlauben, und der Patentinhaber erhalte eine Entschädigung und habe einen Anreiz, den Lizenznehmer beim schwierigen Hochfahren der Fertigung zu unterstützen. Ein großer Vorteil sei zudem, dass das Trips-Abkommen Zwangslizenzen bereits vorsehe, sagt der EU-Beamte. Sich hier auf Verbesserungen zu einigen, gehe viel schneller, als in der WTO Konsens für die Aufhebung des Patentschutzes zu finden.

Dombrovskis fügte aber zum Ende seiner Rede etwas pflichtschuldig hinzu, dass die EU natürlich ebenfalls bereit sei, zu untersuchen, inwieweit eine befristete Aufhebung des Patentschutzes sinnvoll sein könnte. Die Bedenken dagegen sind allerdings bei vielen EU-Regierungen gewaltig: Kritiker weisen etwa darauf hin, dass die Herstellung moderner mRNA-Vakzine kompliziert sei und vieler Erfahrung bedürfe; Patente freizugeben helfe bei diesem Problem nicht. Zudem könne so ein Schritt die Investitionsbereitschaft der Pharmakonzerne mindern - und Rivalen in China stärken.

Die Debatte im Europaparlament zu dem Thema war dann auch sehr kontrovers. Linke, Grüne und Sozialdemokraten sprachen sich für die befristete Freigabe aus, die Christdemokraten dagegen. Doch die Entscheidung fällt am Ende nicht in Brüssel oder Straßburg, sondern in Genf, bei der WTO.

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