Große Industrie- und Landwirtschaftsbetriebe in der EU sollen künftig Luft, Wasser und Boden mit weniger Schadstoffen belasten. Zugleich sollen Bürger mehr Informationen darüber erhalten, welchen Ausstoß die Behörden einzelnen Anlagen genehmigt haben, und bei Verstößen einfacher auf Schadenersatz klagen können. Einen entsprechenden Gesetzesvorschlag will die EU-Kommission an diesem Dienstag präsentieren. Der Süddeutschen Zeitung liegt ein Entwurf dieser Richtliniennovelle vor.
Die Brüsseler Behörde möchte damit die seit 2011 gültige Industrieemissionsrichtlinie überarbeiten. Der Rechtsakt legt fest, wie nationale Behörden den Betrieb großer Fabriken und Bauernhöfe, die ein Risiko für die Umwelt darstellen, genehmigen und überwachen sollen. Die Richtlinie betrifft 52 000 Anlagen in Europa, darunter 9000 in Deutschland. Da geht es etwa um Raffinerien und Kraftwerke, Chemie- und Zementfabriken, die Metall- und Papierindustrie oder Schweine- und Geflügelhöfe.
Engere Grenzen für Ausnahmen
In Zukunft sollen noch mehr Firmen darunterfallen. Die Kommission schlägt unter anderem vor, Batteriehersteller einzubeziehen sowie Rinderhöfe mit mindestens 100 Großvieheinheiten. Das ist eine statistische Einheit; diese Untergrenze entspräche 100 Milchkühen. Geflügel- und Schweinehöfe sollen künftig schon ab 125 Großvieheinheiten betroffen sein - das wären zum Beispiel 9000 Legehennen.
Der Gesetzentwurf, mit dem sich nach der Vorlage Europaparlament und Ministerrat als Gremium der Mitgliedstaaten befassen müssen, verschärft auch die Bedingungen für die Genehmigungen durch nationale Behörden. In einer Bewertung der Richtlinie von 2020 kam die Kommission zum Schluss, dass das Regelwerk in den Staaten uneinheitlich umgesetzt wird; die EU-Regierungen zeigten beim Umweltschutz "unterschiedlich viel Ehrgeiz". So legt die Richtlinie fest, dass sich die zugelassenen Limits für den Schadstoffausstoß grundsätzlich am neuesten Stand der Technik orientieren müssen - Betriebe müssen so umweltfreundlich wie möglich produzieren. Die Behörden können aber Ausnahmen gewähren. Der Gesetzesvorschlag würde nun solch freundlichem Entgegenkommen engere Grenzen setzen.
Manager müssen ihre Unschuld beweisen
Daneben stellt der Richtlinienentwurf klar, dass der Inhalt dieser Genehmigungen frei zugänglich im Internet stehen sollte, für interessierte Bürger und Umweltschutzgruppen. Verstoßen Firmen gegen Auflagen, müssen abschreckend hohe Strafen fällig sein - die Gesetze der Mitgliedstaaten sollten als Betrag mindestens fünf Prozent des Umsatzes vorsehen, heißt es in dem Vorschlag. Diese Zahl ist in dem vorliegenden Entwurf allerdings in Klammern geschrieben, was bedeutet, dass sich dies bis zur Präsentation am Dienstag noch ändern kann.
Zudem müssen die EU-Regierungen dafür Sorge tragen, dass Bürger einfach auf Schadenersatz klagen können, wenn Fabriken Grenzwerte brechen und dies zu Krankheiten führt. Die Beweislast soll bei den Konzernen liegen; dem Entwurf zufolge muss dann das Management zeigen, dass die Schadstoffe "keinen wesentlichen Beitrag" zu den Gesundheitsproblemen geleistet haben.
Wird die EU-Kommission zum Totengräber der Industrie?
Die Kommission schätzt, dass die Verschärfung der Richtlinie die Betriebskosten von Europas Industrie um 210 Millionen Euro im Jahr erhöht. Die Aufnahme von mehr Bauernhöfen in den Geltungsbereich soll 412 Millionen Euro jährlich kosten. Die zusätzliche Bürokratie würde die EU-Wirtschaft mit weiteren 370 Millionen Euro im Jahr belasten. Viel Geld, aber die Vorteile für Umwelt und Gesundheit wögen das mehr als auf, heißt es in dem Gesetzentwurf.
Diese Bewertung teilen freilich nicht alle in Brüssel. So klagt der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber, dass die Behörde bei Vorgaben und Berichtspflichten für die Wirtschaft ständig "eine weitere Schippe" drauflege: "Die Kommission schlägt der europäischen Industrie jede Woche einen neuen Sargnagel ein, während die Unternehmen immer stärker unter den Folgen des Kriegs in der Ukraine leiden", sagt der wirtschaftspolitische Sprecher der christdemokratischen EVP-Fraktion. Die Behörde seiner Parteifreundin Ursula von der Leyen werde so noch "irgendwann zum Totengräber der europäischen Industrie".