Raumfahrt:EU will eigenes Satelliten-Internet aufbauen

Raumfahrt: Eine Ariane-5-Rakete hebt in Französisch-Guayana ab: Die EU will ein eigenes Netz von Kommunikationssatelliten aufbauen.

Eine Ariane-5-Rakete hebt in Französisch-Guayana ab: Die EU will ein eigenes Netz von Kommunikationssatelliten aufbauen.

(Foto: Jm Guillon/dpa)

Europa soll damit unabhängig von privaten Anbietern wie Elon Musk bleiben. Profitieren sollen abgelegene Landstriche - und das Militär.

Von Björn Finke und Dieter Sürig, Straßburg/München

EU-Kommissar Thierry Breton ist mittlerweile bekannt dafür, dass er Europa technologisch nach vorne bringen will, das gilt besonders für die Raumfahrt. Schon wenige Monate nach seinem Amtsantritt Ende 2019 dachte der Binnenmarkt-Kommissar laut über ein europäisches Breitbandnetz aus dem All nach. "Derzeit findet ein globaler Wettlauf um gesicherte Satellitenkommunikations-Infrastrukturen statt", sagte der Franzose im Juli 2020 zur Hannover-Messe Digital Days. Er hatte dabei Elon Musks Starlink-Projekt und die Konkurrenz Oneweb im Blick. Europa könne hier eine Führungsrolle einnehmen und "innerhalb von fünf bis sieben Jahren eine autonome europäische Infrastruktur aufbauen". Zudem setzte er durch, dass die Erneuerung des Satellitennavigationssystems Galileo beschleunigt wird.

Auch bei seinem jüngsten Projekt macht Breton Tempo. Am Dienstag stellte er im EU-Parlament in Straßburg neben einer Initiative gegen Weltraumschrott ein Konzept für das sogenannte Secure Connectivity System vor, am Mittwoch will er es bei einem Weltraumgipfel in Toulouse mit Regierungsvertretern der EU-Mitgliedsländer und der Raumfahrtagentur Esa diskutieren. Demnach möchte die EU für sechs Milliarden Euro ein unabhängiges sicheres weltweites Satelliten-Internet aufbauen, dessen Signale mit Quantentechnologie verschlüsselt werden sollen.

Die Schwerpunkte bei der Abdeckung sollen neben Europa auf Afrika und der Arktis liegen - aus strategischem Interesse. Das Hochgeschwindigkeitsnetz soll dabei Regierungen, staatlichen Stellen und dem Militär zur Verfügung stehen, aber auch über kommerzielle Anbieter für Unternehmen und Bürger in Europa zu nutzen sein. Dies soll künftig auch Landstriche mit Breitbandinternet versorgen, in denen es bislang nur eine schlechte Anbindung gibt. Mitte des Jahrzehnts sollen erste Dienste in Betrieb gehen, bis Mitte 2027 ist der Vollausbau vorgesehen. Wie viele Satelliten dafür notwendig sind, ist unklar, es werden wohl mehrere Hundert sein. Das Projekt soll von den EU-Ländern, der Esa, der Kommission (2,4 Milliarden Euro) und privaten Investoren finanziert werden.

In einem Schreiben an die Mitgliedsländer betont Breton, dass die Kommission das Satellitensystem "im Geiste des New Space" realisieren will. Also flexibler und kostengünstiger als die traditionelle Industrie - inklusive einer "stärkeren Einbeziehung von Start-ups" und neuer disruptiver Arbeitsweisen. "Es wird ein wahrhaft paneuropäisches Projekt sein, das es unseren zahlreichen Start-ups und Europa als Ganzes ermöglicht, an der Spitze der technologischen Innovation zu stehen", sagte Breton im Parlament.

Wird das Netz aus dem All bezahlbar sein?

Die EU hatte Ende 2020 eine Machbarkeitsstudie für das Satellitennetz an ein Industriekonsortium vergeben. Erst nach Protesten von Start-ups und Bundesregierung hatte die Kommission im Dezember auch die Konsortien UN:IO um Mynaric und Isar Aerospace sowie New Symphonie um die Beraterfirma Euroconsult mit Start-up-Studien beauftragt. Die Ergebnisse sollen aber erst im Juni kommen.

Die deutsche Bundesregierung, die die Initiative grundsätzlich begrüßt, kritisiert, dass Breton sein recht detailliertes Konzept verfrüht vorlegt. "Aus unserer Sicht müssen wir erst schauen, wo wirklich Bedarf besteht", sagt die Raumfahrt-Koordinatorin Anna Christmann. Dafür müssten aber die Konzepte der Start-ups einbezogen werden. "Die EU-Kommission sollte die Fertigstellung der von ihr selbst beauftragten Studien abwarten und diese ergebnisoffen auswerten", sagt Matthias Wachter vom Industrieverband BDI. Eine Vorfestlegung auf technische Spezifikationen greife zu kurz. "Die Megakonstellation" - das ist der Fachbegriff für so ein Netz von Hunderten Satelliten - "kann ein Konjunkturprogramm für europäische Weltraum-Start-ups sein", freut sich der Grünen-Europaabgeordnete Niklas Nienaß. Neben dem Regierungsnetz solle aber auch das Satelliten-Internetangebot für Bürger in öffentlicher Hand bleiben: "Nur so können wir sicherstellen, dass es für alle Menschen bezahlbar wird."

Mehr Waffen gemeinsam kaufen

Daneben präsentierte Breton Initiativen, mit denen die Kommission die Zusammenarbeit der Regierungen bei Rüstungsprojekten stärken will. Im März sollen die Staats- und Regierungschefs den sogenannten Strategischen Kompass verabschieden, ein Grundlagenpapier, das aufzeigt, wie die Union in der Verteidigungspolitik handlungsfähiger werden kann. Bretons Vorschläge sind ein Beitrag zu dieser Debatte. Die Kommission möchte unter anderem finanzielle Anreize dafür setzen, dass Mitgliedstaaten mehr Rüstungsgüter gemeinsam entwickeln und einkaufen. Denn gemeinsames Kriegsmaterial spart Geld und trägt dazu bei, dass die nationalen Armeen besser zusammen kämpfen können.

Im Jahr 2020 entfielen aber nur elf Prozent der Rüstungsausgaben von EU-Ländern auf Gemeinschaftsprojekte, obwohl sich die Regierungen auf eine Zielmarke von 35 Prozent verständigt haben. Die Kommission will nun solchen Bestellungen die Mehrwertsteuer erlassen; der entsprechende Vorschlag soll in einem Jahr kommen.

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