Betrugsermittlungen:So schlagkräftig ist die Europäische Staatsanwaltschaft

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Von Bukarest nach Luxemburg: Seit Mitte 2021 leitet die Rumänin Laura Kövesi die Europäische Staatsanwaltschaft. Zuvor hatte sie sich in Rumänien viele Feinde gemacht. (Foto: DANIEL MIHAILESCU/AFP)

Inzwischen führen die EU-Ermittler mehr als 1000 Verfahren wegen Betrugs und Geldwäsche, mit einem mutmaßlichen Schaden von mehr als 14 Milliarden Euro. Schön und gut, sagt die Chefin, aber: Das reicht ihr nicht.

Von Jan Diesteldorf, Brüssel

Kurz nach dem ersten Advent war Tag des Zugriffs. Am 29. November des vergangenen Jahres rückten Staatsanwälte, Polizisten und Steuerfahnder in 14 EU-Staaten zu Razzien aus, auf den Spuren eines mutmaßlichen Betrüger-Netzwerks mit 9000 Firmen und mehr als 600 Verdächtigen. Ausgehend von Hinweisen aus Portugal hatte die Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA) die Arbeit von 20 Ermittlungsbehörden koordiniert, mehrere mutmaßlich kriminelle Gruppen identifiziert und einen Steuerschaden von 2,2 Milliarden Euro ermittelt. Projektname: Operation Admiral. Vom "größten bislang aufgedeckten europäischen Mehrwertsteuerbetrug" sprach Behördenchefin Laura Kövesi am Tag der Durchsuchungen. "Ohne die EPPO hätte die Vorbereitung einer solchen Operation Jahre gedauert", sagte sie, "oder, wahrscheinlicher: Sie hätte nie stattgefunden."

Es war die bislang spektakulärste Aktion einer Behörde, die erst Mitte 2021 ihre Arbeit aufgenommen hat. Den Dimensionen dieses Falls entsprechend findet er sich prominent wieder im aktuellen Jahresbericht, den die Behörde am Mittwoch veröffentlichte. Demnach ermitteln die Beamten derzeit in 1117 Fällen mit einem mutmaßlichen Gesamtschaden von 14,1 Milliarden Euro. Fast die Hälfte dieser Summe entfällt auf Umsatzsteuerbetrug, durch den die Länder Europas Europol-Schätzungen zufolge jedes Jahr etwa 50 Milliarden Euro verlieren. Im ersten vollen Kalenderjahr seit der Gründung eröffnete die EUStA 865 Ermittlungsverfahren. Geführt werden die vor allem von mittlerweile 114 Delegierten Staatsanwälten in den teilnehmenden Ländern - denn während die Behörde am Hauptsitz in Luxemburg alle Ermittlungen koordiniert, werden Verdächtige weiterhin nach nationalem Recht verfolgt und angeklagt.

Mit der EUStA haben die EU-Staaten erstmals eine europaweit zuständige Stelle im Bereich der Strafverfolgung geschaffen und damit eine ureigene nationale Zuständigkeit zum Teil vergemeinschaftet. Wohl auch deshalb sind dem Projekt bislang nur 22 Mitgliedstaaten beigetreten: Polen, Ungarn und Schweden sind bislang draußen; Dänemark und Irland nehmen nur unter Vorbehalt teil. Die EUStA zieht zuvorderst alle Fälle an sich, in denen dem EU-Haushalt (Ausgaben 2021: 228 Milliarden Euro) finanzieller Schaden entsteht.

114 laufende Verfahren in Deutschland

Dazu gehört auch grenzüberschreitender Umsatzsteuerbetrug, wenn der Schaden zehn Millionen Euro übersteigt. Etwa, wie im Fall der Operation Admiral: mutmaßlich kriminelle Unternehmen, die Elektronikgeräte über Ländergrenzen hinweg verkaufen und zu Unrecht von den nationalen Finanzbehörden Mehrwertsteuer zurückerhalten, bevor sie diese Einnahmen in Offshore-Gebiete weiterleiten.

"Eineinhalb Jahre nach Beginn unserer Tätigkeit ist das Potenzial der EUStA nicht zu übersehen", sagte Kövesi zur Veröffentlichung des Jahresberichts und verlangte zugleich erste Reformen, damit die Behörde dieses Potenzial besser ausschöpfen könne. Dazu gehörten "organisatorische und rechtliche Anpassungen" wie etwa die Zuweisung spezialisierter Ermittler für Finanzbetrug in allen teilnehmenden Ländern.

In Deutschland eröffneten die EU-Strafverfolger im vergangenen Jahr 79 Ermittlungsverfahren mit einem vermuteten Schaden von 1,2 Milliarden Euro. Insgesamt liefen zum Jahresende hierzulande 114 Verfahren. Fälle von mutmaßlichem Umsatzsteuerbetrug machen mehr als die Hälfte davon aus und einen Großteil des Schadens; der Rest entfällt vor allem auf Geldwäsche und auf Fälle, in denen Beschuldigte zu Unrecht EU-Gelder kassiert haben sollen. In elf der Verfahren liegt eine Anklage vor, bislang sind drei Verurteilungen rechtskräftig, Freisprüche gab es nicht.

EUStA nimmt "Katargate" in den Blick

Erst am Montag machte ein Fall aus Italien Schlagzeilen, der exemplarisch für das steht, was sich die EU mit der neuen Behörde vorgenommen hat. Da vermeldeten die Ermittler in Luxemburg, dass die italienische Polizei in Brescia bei der rechtsextremen EU-Abgeordneten Stefania Zambelli mehr als 170 000 Euro und Luxusautos beschlagnahmt hat. Die Parlamentarierin soll EU-Gelder missbraucht haben. Im Fokus stehen dabei vier Assistenten, die in Italien für Zambelli gearbeitet, aber die Tätigkeiten, für die sie eingestellt wurden, nicht oder nur teilweise erledigt haben sollen. Zambelli sitzt für die rechte Lega-Partei im Parlament und ist damit Teil der Fraktion Identität und Demokratie, der auch die AfD angehört.

Mit dem Skandal um mutmaßlich an EU-Abgeordnete gezahlte Bestechungsgelder aus Katar und Marokko habe dieser Fall nichts zu tun, stellte die Behörde klar. Aber auch den bislang von belgischen Ermittlern geführten "Katargate"-Fall, so ist aus Kreisen der EU-Ermittler zu hören, schaue man sich genau an. Schließlich geht es dabei unter anderem um eine NGO, die EU-Gelder kassiert hat - und daraus könnten Kövesi und ihre Beamten durchaus einen Arbeitsauftrag ableiten.

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