EU:Ruhe jetzt

Lkw-Parkplätze an Autobahnen

Auf dem Highway ist die Hölle los: parkende Lkws auf der Raststätte Siegerland in Nordrhein-Westfalen.

(Foto: Arnulf Stoffel/dpa)

Das Europaparlament einigt sich auf ein Gesetzespaket, das Lkw-Fahrer vor Überlastung schützen soll. Nun fürchten manche Länder um ihren Wettbewerbsvorteil.

Von Karoline Meta Beisel, Brüssel

Fernfahrer, die unter hygienisch fragwürdigen Umständen auf Autobahnparkplätzen übernachten - wenn wirklich Gesetz wird, was das Europäische Parlament am Donnerstag in Brüssel beschlossen hat, werden solche Bilder bald der Vergangenheit angehören. Die Abgeordneten haben sich darauf geeinigt, dass Fahrer ihre Hauptruhezeiten nicht mehr in der Fahrerkabine verbringen dürfen. Das bedeutet, dass Arbeitgeber ihren Fahrern künftig eine Nacht im Hotel oder einer Pension zahlen müssen.

Fahrer aus Rumänien, Litauen oder Polen würden diskriminiert, wetterte ein polnischer Politiker

Der Beschluss ist Teil eines größeren Gesetzespakets, das Fahrer vor Überlastung und Ausbeutung schützen soll. So sollen Transportunternehmen künftig sicherstellen, dass ihre Mitarbeiter innerhalb von vier Wochen mindestens einmal in ihren Wohnort zurückkehren können, und nicht monatelang am Stück in Europa unterwegs sind. Außerdem sollen Transporter mindestens alle drei Wochen einmal am Niederlassungsort der Firma be- oder entladen werden. Damit soll die Einrichtung von Briefkastenunternehmen ihren Reiz verlieren. Logistikfirmen aus Nord- oder Westeuropa versuchen so bislang, sich die niedrigeren Standards aus Osteuropa zu Nutze zu machen. Nach der Abstimmung am Donnerstag gab es vielfältiges Lob für den gefundenen Kompromiss. "Ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden", sagt etwa Ismail Ertug, verkehrspolitischer Sprecher der Sozialdemokraten im Europaparlament. Das Gesetzespaket solle dem "unseligen Nomadendasein" ein Ende setzen. Unternehmen, die ihren Fahrern trotz vorhandener Grauzonen bereits heute faire Bedingungen böten, würden entlastet. "Die heute angenommenen Regelungen werden für einen fairen Wettbewerb und bessere Arbeitsbedingungen im Transportsektor sorgen", sagt auch Dieter-Lebrecht Koch (CDU), der stellvertretende Vorsitzende des Verkehrsausschusses. Auch EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc freute sich, dass das Parlament sich einigen konnte: Das sogenannte Mobilitätspaket I gehört in ihrem Ressort zu den wichtigsten Gesetzesvorhaben der auslaufenden Legislaturperiode.

Lange war unsicher, ob überhaupt ein Gesetz zustande kommen würde. Der Abstimmung war eine jahrelange Debatte vorausgegangen, die sich zuletzt noch einmal zugespitzt hatte: Eigentlich sollten die Abgeordneten schon in der vergangenen Woche in Straßburg über das Paket abstimmen. Das scheiterte, weil praktisch in letzter Minute mehr als 1600 Änderungsanträge für die verschiedenen Gesetze eingegangen waren. Eingereicht hatten diese vor allem Abgeordnete aus Osteuropa, die den Wettbewerbsvorteil ihrer Länder auf dem Transportsektor durch schärfere Regeln bedroht sehen. Auch in Anbetracht der heranrückenden Europawahlen Ende Mai kam ihnen das Thema offenbar ungelegen. In Wahrheit ginge es bei der Reform gar nicht um die Arbeitsbedingungen von Fernfahrern, sondern um "Diskriminierung der Fahrer aus Rumänien, Litauen oder Polen", wetterte der polnische Sozialdemokrat Bogusław Liberadzki: Den "alten" Mitgliedsstaaten der EU falle es nur schwer hinzunehmen, "dass wir in manchen Branchen genauso gut sind wie sie".

Nach dem Streit in der vergangenen Woche hatte Parlamentspräsident Antonio Tajani die Abstimmung im Plenum zunächst abgesagt und den zuständigen Ausschuss beauftragt, aus den vielen Hundert Änderungsanträgen jene herauszufiltern, die tatsächlich realistische Aussichten auf eine Mehrheit hatten. Danach waren am Donnerstag zwar immer noch mehr als 1000 Änderungsanträge übrig - über die dann aber zeitsparend, nämlich blockweise, abgestimmt wurde.

Ein besonders umstrittener Aspekt des Reformpakets sorgte dennoch für Kritik, vor allem bei den Grünen. Eigentlich sollen Arbeitnehmer aus dem europäischen Ausland in der EU genauso behandelt werden wie Arbeitnehmer aus dem Inland; ein Franzose, der in Deutschland arbeitet, also genauso wie sein deutscher Kollege. Das regelt die sogenannte Entsenderichtlinie. Eigentlich müsste diese auch für Fernfahrer gelten, wenn diese sich monatelang am Stück im EU-Ausland und kaum in ihren Heimatländern aufhalten.

Das EU-Parlament hat sich am Donnerstag aber auf eine Ausnahme von der Entsenderichtlinie geeinigt, weil sich nur auf diesem Weg eine Mehrheit auch für die anderen Gesetzvorschläge finden ließ. Der Beschluss werde für viele Lkw-Fahrer zu "schlechterer Bezahlung und schlechteren Arbeitsbedingungen" führen, heißt es in einer Mitteilung der Grünen. "Der Grundsatz 'Gleiches Recht und gleicher Lohn für gleiche Arbeit' muss für alle gelten, das Wettrennen um die niedrigsten Standards darf in einem sozialen Europa keinen Platz haben", sagt etwa die Grünen-Abgeordnete Terry Reintke.

Mit dem ausgehandelten Kompromiss des Parlaments können nun die Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten im Rat beginnen - erst wenn sich die Institutionen einig sind, können die neuen Regeln Gesetz werden. Ob diese Verhandlungen noch vor oder erst nach der Europawahl beginnen werden, war nach der Entscheidung am Donnerstag zunächst unklar. Die Mitgliedstaaten hatten sich nach teils zähen Verhandlungen bereits im vergangenen Herbst auf ihre Position geeinigt.

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