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Wirtschaftskrieg:Wo das Geld für Europas Energieplan herkommen könnte

Die EU will schnell unabhängig von russischem Gas und Öl werden. Einen Teil der nötigen Milliarden soll der Corona-Hilfstopf ausschütten. Ein anderer Vorschlag dagegen provoziert Kritik.

Von Björn Finke, Brüssel

Es ist eine enorme Summe: Bis 2027 sollen Regierungen und Firmen in der EU 210 Milliarden Euro investieren, bis 2030 sogar 300 Milliarden Euro, um Europa unabhängig von Kohle, Gas und Öl aus Russland zu machen. Die EU-Kommission stellte entsprechende Pläne am Mittwoch in Brüssel vor. Zugleich präsentierte sie Ideen, wo ein Teil des Geldes herkommen soll. Einer dieser Vorschläge stieß jedoch prompt auf Kritik - der Verkauf zusätzlicher Verschmutzungsrechte im Emissionshandel.

Wichtigste Finanzquelle auf EU-Ebene soll der Corona-Hilfstopf sein. Der schüttet Zuschüsse und zinsgünstige Darlehen an Mitgliedstaaten aus, um Reformen und Investitionen zu unterstützen. Allerdings haben nicht alle EU-Regierungen, die Anspruch hätten, ihre Kredite wirklich abgerufen. Daher stehen 225 Milliarden Euro an billigen Darlehen weiter zur Verfügung - und sollen nach dem Willen der Kommission jetzt dafür genutzt werden, loszukommen von russischer Energie. Daneben will die Kommission den Topf aufstocken, um auch mehr nichtrückzahlbare Zuschüsse an die Mitgliedstaaten verteilen zu können. Hier geht es um 20 Milliarden Euro.

Um die aufzutreiben, will die Behörde das Emissionshandelssystem der EU anzapfen. In der Europäischen Union müssen Kraftwerke und viele Industriebetriebe schon seit 2005 Kohlendioxid-Zertifikate vorweisen können, wenn sie Klimagase in die Atmosphäre blasen. Mit diesen Verschmutzungsrechten darf man handeln; Konzerne, denen die Verringerung des CO₂-Ausstoßes einfacher fällt, können überschüssige Zertifikate verkaufen. So werden die Emissionen auf die günstigste und wirtschaftlichste Art verringert.

Damit der Preis der Zertifikate nicht zu sehr schwankt, gibt es eine Marktstabilitätsreserve (MSR). In der werden überschüssige Verschmutzungsrechte geparkt. Die Kommission kündigt an, in den kommenden Jahren 250 Millionen dieser Zertifikate aus der Reserve wieder zu versteigern und den Erlös - eben die 20 Milliarden Euro - in den Corona-Hilfstopf zu stecken, zur Förderung von Projekten, die beim Abschied von russischer Energie helfen.

Wasserstoff ersetzt Koks und Kohle

Der Verkauf der Verschmutzungsrechte drückt aber tendenziell deren Preis und macht es so billiger, Treibhausgase in die Atmosphäre zu blasen. Klimaschützer sind deswegen sauer: Der Plan der Kommission werde zu zusätzlichem CO₂-Ausstoß führen, warnt Matthias Buck, Europa-Direktor des Berliner Thinktanks Agora Energiewende. Zudem verringere dieses Vorgehen "die Anreize für Firmen, in saubere Energie und Energieeffizienz zu investieren".

Daneben schlägt die Kommission den Mitgliedstaaten vor, Mittel aus den Strukturfonds, also den EU-Töpfen zur Unterstützung armer Regionen, und aus der EU-Agrarförderung umzuwidmen und für Energie-Projekte zu verwenden. Ein großer Teil der nötigen Investitionen von 300 Milliarden Euro bis 2030 entfällt auf Ökostrom-Vorhaben: 86 Milliarden Euro. Weitere 29 Milliarden Euro sollen in den Ausbau des Stromnetzes fließen. Ein dicker Batzen - 41 Milliarden Euro- wird dafür draufgehen, den Verbrauch von Gas, Öl und Kohle in der Industrie zu senken. So sollen Stahlwerke mit klimafreundlich hergestelltem Wasserstoff befeuert werden anstatt mit Koks und Kohle. Um diesen Wasserstoff produzieren oder importieren zu können, müssten bis 2030 um die 27 Milliarden Euro investiert werden, schätzt die Kommission.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie begrüßt die Pläne der Kommission: "Die deutsche Industrie steht hinter dem EU-Ziel, schnellstmöglich aus russischen fossilen Brennstoffen auszusteigen: Eine neue Realität braucht neue Lösungen", sagt Vize-Verbandschef Holger Lösch. Der EU-Dachverband der Verbraucherzentralen BEUC nennt das Paket "einen Schritt in die richtige Richtung". Rasmus Andresen, der Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament, zeigt sich ebenfalls recht zufrieden, warnt aber, es komme nun darauf an, "die Finanzierung sicherzustellen und die Mitgliedsstaaten davon abzuhalten, Ziele auszubremsen".

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