Süddeutsche Zeitung

EU-Regulierung:Die neue Immobilienkredit-Richtlinie hilft niemandem

Im Gegenteil: Sie erschwert die Finanzierung eines Eigenheims für genau diejenigen, die es besonders nötig hätten. Gute Regulierung geht anders.

Kommentar von Harald Freiberger

Der 21. März 2016 könnte sich für viele Bundesbürger nachträglich als Schwarzer Montag herausstellen. An dem Tag trat, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, eine neue Richtlinie zu Immobilienkrediten in Kraft. Seitdem sind erst acht Wochen vergangen. Es gibt noch keine gesicherte Datenbasis, erste Berichte aber lassen Schlimmes befürchten: Die Richtlinie könnte dazu führen, dass viele Deutsche das gewünschte Eigenheim oder dessen Renovierung nicht mehr finanzieren können - und zwar gerade jene, die es besonders nötig hätten: Durchschnittsverdiener und Rentner.

Die Umsetzung der Richtlinie ist ein Beispiel dafür, wie gut gemeinte Regulierung übers Ziel hinausschießen kann.

Vor allem zwei Dinge sind es, die Immobilienkredite künftig erschweren. Zum einen müssen die Finanzierer darauf achten, dass der Kunde den Kredit über die gesamte Laufzeit zurückzahlen kann. Das ist zwar nichts grundsätzlich Neues, denn Banken waren auch bisher schon daran interessiert, dass ein Kreditnehmer Zins und Tilgung leisten kann. Dadurch, dass es aber in einem Gesetzestext formuliert ist, steigt für die Banken das Risiko, selbst haften zu müssen, wenn der Kredit in der Zukunft ausfällt. Sie erhöhen deshalb die Hürden, ans Geld zu kommen. Das trifft vor allem junge Familien.

Eine zweite Bestimmung der Richtlinie entfaltet dabei zusätzliche negative Wirkung: Banken dürfen sich bei der Gewährung des Kredits nicht mehr maßgeblich darauf stützen, dass der Wert der Immobilie die Höhe des Kredits übersteigt. Nicht einmal die Annahme, dass der Wert der Immobilie steigt, darf als Hauptargument für die Kreditwürdigkeit gelten. Die Folge ist, dass Verbraucher mit geringen laufenden Einnahmen ihre Kreditwürdigkeit verlieren, und zwar selbst dann, wenn sie in einer wertvollen Immobilie wohnen. Das betrifft vor allem Rentner, die zum Beispiel ihr Haus renovieren oder altersgerecht umbauen wollen.

Gerade an dieser Stelle war der deutsche Gesetzgeber besonders vorsichtig. Die EU-Vorgabe ließ durchaus Ausnahmen zu: Wenn ein Kredit dem Bau oder der Renovierung einer Immobilie dient, darf ihr Wert mit angesetzt werden. Österreich ließ diesen Passus bei der Umsetzung der Richtlinie im Text, Deutschland aber strich ihn - mit der Folge, dass Banken den Wert nicht mehr einkalkulieren dürfen. Damit fällt für sie die Sicherheit weg, dass sich eine Immobilie, wenn alle Stricke reißen, verkaufen lässt und mit dem Geld der Kredit zurückbezahlt werden kann.

Die neue Richtlinie erschwert es Bürgern, an Wohneigentum zu kommen

In der für Banken ohnehin angespannten Lage führt dies dazu, dass manche keine Risiken mehr eingehen. Ihr Motto: Lieber einen Kredit nicht gewähren, als hinterher für ihn haften zu müssen.

Entstanden sind die neuen Regeln unter dem Eindruck der Finanzkrise, die ihren Ursprung in windigen Immobilienfinanzierungen in den USA hatte. Die Finanzierer verlangten dort kaum Sicherheiten, sie vertrauten allein auf Wertsteigerungen. Als diese nicht eintraten, platzte die Blase. Die EU wollte so etwas vermeiden, auch im Sinne des Verbraucherschutzes: Bankkunden sollen nicht in Finanzierungen getrieben werden, die sie nicht tragen können.

Das Ziel ist ehrenwert, was die Richtlinie aber nicht berücksichtigt: Die Lage ist gerade in Deutschland in keiner Weise vergleichbar mit der Situation in den USA. Die Banken haben nicht leichtfertig Kredite vergeben, sie vertrauten nicht übermäßig auf Wertsteigerungen. Und zwar auch nicht in den Ballungsräumen wie München, Hamburg oder Rhein-Main, wo die Preise deutlich angezogen haben.

Der Boom in Deutschland ist nicht durch Spekulation getrieben, sondern hat nachvollziehbare Gründe: Die Quote der Immobilienbesitzer ist in Deutschland deutlich geringer als im europäischen Vergleich, etwa in Spanien oder Italien. Jetzt holen die Deutschen auf. Das liegt auch an der Geldpolitik: In Zeiten, in denen erspartes Geld auf der Bank keine Zinsen mehr bringt, legen die Bürger es lieber in Wohneigentum an. Hinzu kommt, dass eine abbezahlte Immobilie eine der besten Formen der Altersvorsorge ist, weil im Alter keine Miete mehr anfällt.

Es müsste deshalb gesellschaftlich gewünscht sein, dass die Bundesbürger zu mehr Wohneigentum kommen. Die neue Richtlinie zu Immobilienkrediten erschwert dies aber, anstatt es zu erleichtern. Gute Regulierung darf nicht zu lasch und nicht zu streng sein. Sie soll übermäßige Risiken verhindern, darf aber sinnvolle wirtschaftliche Aktivität nicht ersticken. Im Fall der "Wohnimmobilienkreditrichtlinie" hat der Gesetzgeber eindeutig übertrieben.

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SZ vom 18.05.2016/lter
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