Sollte das Handelsübereinkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie (kurz Acta) nun im EU-Parlament endgültig scheitern, wird der 4. Juli einen neuen Eintrag in den Geschichtsbüchern bekommen. Dann hat der Schwarmgeist des Internets seinen ersten echten Sieg über die politischen Institutionen errungen. Ob das ein richtiger und wichtiger Sieg wäre, ist dabei erst einmal egal.
Der Kampf ums Urheberrecht ist mitsamt den Protesten gegen Acta nur ein Stellvertreterkrieg in einem gewaltigen Wandlungsprozess. Missverständnisse, Ängste und Fehler auf beiden Seiten haben die Debatte in den letzten Monaten ins Hysterische gesteigert. Die Protestbewegung hat vor allem Angst vor jeglicher Eingrenzung der Freiheit im Internet. Das ist nachvollziehbar.
Die rasanten Entwicklungen der Globalisierung haben so manche Freiheit und Gerechtigkeit, die sich die Menschen im 20. Jahrhundert erkämpften, zunichte gemacht. Weil das aber keine politische, sondern eine wirtschaftliche Entwicklung war, fehlt es an klaren Strukturen, die man dafür verantwortlich machen kann.
Greifbares Ziel
Die Anti-Globalisierungs-Bewegung im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts stand schon einmal vor dem Problem, gegen wen sie protestieren sollte. Bis sie 1999 in der Welthandelsorganisation ein greifbares Ziel fand, gegen das sie dann in Seattle auf die Straße ging.
Die Proteste haben die Globalisierung bisher kaum verändert. Doch zur gleichen Zeit öffnete sich ein neuer Freiraum für alle, das Internet. Für viele war das neue Netz bald nicht nur Medium, sondern auch politisches Werkzeug und Identifikationsstifter. Jeder Versuch, das Netz zu reglementieren, wurde als massiver Angriff verstanden. Das blieb zunächst ähnlich diffus wie die Globalisierung. Bis sich das Urheberrecht zum Streitpunkt entwickelte. Mit Acta war ein klares Ziel gefunden.
Nun wird der Ausgang der Abstimmung wegen Acta zumindest für Deutschland am Urheberrecht nichts ändern. Die meisten der Maßgaben, die in den 45 Paragrafen des umstrittenen Abkommens aufgeführt werden, sind so oder ähnlich in Deutschland längst juristische Realität. Wird Acta gekippt, wird das die Welle der Abmahnungen gegen Urheberrechtsverletzer jedenfalls nicht stoppen. Käme Acta durch, würde wiederum kein sinistrer Staatsapparat aufgebaut, der jeden Menschen, der sich im Internet bewegt, maßregelt, zensiert und verfolgt.
Was der Sieg über Acta manifestiert, ist eine Macht einer Masse ohne Leitfiguren über eine internationale Institution und ihre Führungspersönlichkeiten. Dabei verkörpert die EU wie keine andere Organisation undurchschaubare politische Macht, verstößt also gegen ein weiteres Credo dieser Masse, die Transparenz.
Nun haben die EU und die zehn weiteren Vertragsländer alles getan, um das Bild der intransparenten Politik in dieser Debatte zu bestätigen: Seit 2006 wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt. Als die EU-Kommission Acta jedoch während einer Sitzung ihres Ausschusses für Fischerei und Landwirtschaft im vergangenen Dezember neben Fangquoten und Importregeln für Zitrusfrüchten einfach so durchwinkte, schienen alle Befürchtungen bestätigt.
Unkontrollierbare Kräfte
Die Staaten wiederum fürchten sich vor der Macht der Masse. Nicht nur vor dem ungreifbaren Schwarmgeist des Internets. Auch vor den unkontrollierbaren Kräften der Schattenwirtschaft. Die setzt global längst ein Zehnfaches der Markenindustrie um, einen guten Teil davon mit Plagiaten, gegen die sich Acta zunächst richtete. Und vor der Dynamik der Börsen, die auf jede Schwäche der Politik unbarmherzig reagieren.
Würde die Politik Acta kippen, hätte sie vor dem Schwarmgeist kapituliert. Das wäre jedoch kein neues Modell von Demokratie und Freiheit durch das Internet. Das wäre ein revolutionärer Akt mit ungewissem Ausgang.