Süddeutsche Zeitung

EU-Normen für Obst und Gemüse:Europas Rumgegurke

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Die EU-Gurkenverordnung war Symbol für Regulierungswahn: "Gut geformt und praktisch gerade". Jetzt will die EU sie abschaffen und der krummen Gurke zur Renaissance verhelfen - doch nun legen sich die Länder quer.

Elmar Jung

Die Europäische Union kann machen, wie sie will. Ihr Ruf als regulierungswütige Institution, die selbst vor den unsinnigsten Verordnungen nicht zurückschreckt, hält sich hartnäckig.

26 Gemüsenormen sollen fallen

Brüssel gilt bei weiten Teilen der Bevölkerung als Bastion zügelloser Bürokratie, die selbst Berlin ein Seilbahn-Gesetz vorschreibt, obwohl es dort doch gar keine Seilbahn gibt. Schuld soll dann meist die EU-Kommission sein, die es aber langsam satt hat, ständig als Buhmann herhalten zu müssen.

Auch oder gerade weil ein Teil solcher Verordnungen erst auf Betreiben einzelner EU-Staaten entstanden ist. Die Brüsseler Behörde will deshalb eine Reihe von Normen abschaffen, darunter eine Vorschrift, die wie keine andere als Symbol für Bevormundung steht: die EU-Gurkenverordnung.

Dieses Meisterstück der Regulierungskunst aus dem Jahr 1988 besagt, dass eine Gurke "gut geformt und praktisch gerade sein muss (maximale Krümmung: zehn Millimeter auf zehn Zentimetern Länge der Gurke)". Damit aber nicht genug: Unter dem Schlagwort Bürokratieabbau schlug Agrar-Kommissarin Mariann Fischer Boel unlängst vor, 26 der 36 Vermarktungsnormen für Obst und Gemüse abzuschaffen.

"Mindestens ein Drittel des umhüllten Teils"

Geregelt sind in ihnen Mindestgewicht und -größe, manchmal auch mehr. Für Lauch der Güteklasse eins beispielsweise gilt: "Mindestens ein Drittel der Gesamtlänge oder die Hälfte des umhüllten Teils muss von weißer bis grünlich-weißer Färbung sein. Jedoch muss bei Frühporree/Frühlauch der weiße oder grünlich-weiße Teil mindestens ein Viertel der Gesamtlänge oder ein Drittel des umhüllten Teils ausmachen."

Überraschenderweise aber sträubten sich bisher etliche Länder, die sonst so gerne über die Brüsseler Bürokratie schimpfen, gegen eine Deregulierung der Gurkenkrümmung. Allen voran die Agrarminister aus Deutschland, Spanien, Italien und Ungarn argumentierten, der Verbraucher müsste sich dann eventuell mit Waren minderwertiger Qualität begnügen.

Geballte Renitenz

Außerdem seien gerade Gurken einfacher zu verpacken und transportieren, wovon der Handel profitiere. Agrar-Kommissarin Fischer Boel ärgerte sich angesichts solch geballter Renitenz und mahnte die Minister, doch bitte konsequent zu bleiben. Der Vorschlag sei nichts anderes als "unsere Antwort auf den Ruf aus den Mitgliedsstaaten nach mehr Einfachheit".

Umso erfreuter ist man im Hause Fischer Boel, dass sich jetzt ausgerechnet bei den Deutschen ein Meinungsumschwung abzuzeichnen scheint. Jedenfalls votierte die Bundesrepublik am Mittwoch bei einer Abstimmung auf Expertenebene plötzlich für die Abschaffung der Gurken-Vorschrift.

"Jeder weiß, was eine Gurke ist"

"Deutschland hat offenbar seine Position gewechselt", frohlockt ein Mitarbeiter der Kommission. Nun seien nur noch 15 der 27 EU-Staaten gegen die Initiative. Trotzdem könnte der Vorstoß der EU-Kommission bei der im Herbst geplanten Abstimmung der Agrarminister Gesetz werden, weil unter anderem Handelsnormen in den Kompetenzbereich der Kommission fallen. Nur eine besonders deutliche Mehrheit der Mitgliedsländer kann also die Brüsseler Exekutive daran hindern, die Güteklassen abzuschaffen.

Brüssels Chef-Entbürokratisierer Edmund Stoiber kann die geballte Aufregung um das grüne Gemüse überhaupt nicht verstehen. Bei einem Auftritt vor Mittelständlern in Hamburg Ende Juni rief er den Zuhörern im Messezentrum zu: "Jeder weiß doch, was eine Gurke ist."

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SZ vom 24.07.2008/jkr
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