Nach fast 20 Jahren zähester Verhandlungen schließt die EU mit dem Mercosur ein Handelsabkommen - und es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Brasiliens rechtsextremer Präsident Jair Bolsonaro diesen Erfolg für sich verbuchen darf. "Ein großartiger Tag", schrieb er auf Twitter und postete dahinter ein "Daumen hoch"-Symbol. All das ist erstaunlich, bedenkt man, dass Bolsonaro bisher immer gegen den Freihandel und sogar gegen den Mercosur selbst gewettert hatte. Noch im Januar hatte der Präsident die Sterne und den Schriftzug des Staatenbündnisses von den brasilianischen Pässen entfernen lassen, nun feiert er das neue Abkommen als historisch.
Der Grund für die Kehrtwende ist einfach: Bolsonaro braucht wirtschaftliche Erfolge. Das Abkommen soll sie ihm bescheren, genauso wie ohnehin am Ende Wohlstand für alle und neue Jobs entstehen sollen. So sehen es zumindest die Befürworter. Als Nebenwirkung stärkt man allerdings einen rechtsextremen und homophoben Waffennarr, genauso wie man europäischen Autobauern und südamerikanischen Großgrundbesitzern Milliardengewinne beschert, während die Natur und indigene Gemeinschaften leiden. Das Abkommen wird die Mercosur-Länder noch mehr in Rohstofflieferanten verwandeln, es wird alte Ungleichheiten festigen und den Verbrauchern kaum nützen. Und dennoch ist es notwendig. Weil es abseits von wirtschaftlichen Vorteilen vor allem auch politische Chancen bietet.
Am offensichtlichsten ist die Möglichkeit, ein Gegengewicht zur Abschottungs- und Vorschlaghammerpolitik von US-Präsident Donald Trump zu setzen. Gerade die Länder Lateinamerikas sind wirtschaftlich extrem abhängig von den USA. Trump hatte darum leichtes Spiel, als er Mexiko mit der Androhung von Strafzöllen dazu zwang, seine Vorstellung von Migrationspolitik umzusetzen. Gegen solche Presslufthammerpolitik ist das Abkommen zwischen der EU und dem Mercosur ein wichtiges Zeichen.
Europa und Südamerika:EU und Mercosur beschließen weltweit größte Freihandelszone
Nach jahrelangen Verhandlungen sei eine Einigung mit dem südamerikanischen Staatenbund erzielt worden, teilte die EU-Kommission mit. Kommissionschef Juncker sprach von einem "historischen Moment".
Dazu kommt, dass der Vertrag nicht nur Europa und Südamerika einander näherbringen wird. Er wird auch den Zusammenhalt im Mercosur stärken. Das Staatenbündnis war in der Vergangenheit extrem zerstritten, es verfügt über keinen echten Binnenmarkt, keine gemeinsame Währung, nicht einmal eine Zollunion gibt es. Das könnte sich alles ändern und so den Einfluss des Mercosur und der Staaten Lateinamerikas insgesamt politisch stärken.
Urwälder in Südamerika werden immer schneller abgeholzt
Und letztendlich könnte der Vertrag am Ende sogar auch der Umwelt nützen - auch wenn Naturschützer das Gegenteil befürchten. Sie sagen, dass die immer weiter steigenden Fleischexporte aus dem Mercosur auch dazu führen, dass noch mehr Regenwald abgeholzt wird, um noch mehr Soja zu pflanzen und damit noch mehr Rinder zu füttern. Sie haben recht damit, allerdings würden die Kettensägen ja auch nicht stillstehen, wenn EU und Mercosur zu keinem Einverständnis gekommen wären.
Die traurige Wahrheit ist: Schon jetzt werden die Urwälder in Südamerika immer schneller abgeholzt. Seit dem Amtsantritt von Brasiliens rechtsextremen Präsidenten wird so viel gefällt wie seit Jahrzehnten nicht mehr, ähnlich sieht es in Argentinien und Paraguay aus. Der Grund dafür ist nicht in Europa zu finden. Es liegt vor allem an der Nachfrage aus Asien. Und dort ist vielen Regierungen der Umwelt- und Klimaschutz egal. Im Vertrag zwischen der EU und dem Mercosur ist dagegen das Pariser Klimaabkommen ein integraler Bestandteil. Brasiliens Präsident hält den Klimawandel eigentlich für eine Erfindung der Linken. Ihn könnte das Abkommen dazu bewegen, sich seinen Standpunkt noch einmal zu überlegen.
Natürlich hätte man auch noch mehr Umweltschutz in den Vertrag schreiben müssen, noch mehr Rücksicht auf Menschenrechte, auf die Verteilung von Land und Reichtum. Am Ende hätte das aber auch dazu geführt, dass die Verhandlungen womöglich noch einmal 20 Jahre gedauert hätten, und andere, weniger zimperliche Staaten hätten ihre Chancen genutzt, ihre Geschäfte in der Region auszubauen.
Durch das Abkommen mit dem Mercosur hat die EU nun die Möglichkeit, auf europäische Umweltstandards zu drängen und Menschenrechtsverletzungen anzuprangern. Es wäre naiv, zu glauben, dass das Abkommen zwischen der EU und dem Mercosur ein reiner Segen für die Natur und die 780 Millionen Menschen ist, die in ihren Grenzen leben. Es wäre aber auch naiv, zu glauben, dass eine abgeschottete Welt automatisch auch eine bessere ist.