Lobbyismus:Gefährliche Übermacht

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Europäisches Parlament in Brüssel: Mittlerweile sind dort etwa 1500 Lobbyisten unterwegs, um Einfluss auf die politischen Entscheidungen zu nehmen.

(Foto: Jean-Christophe Guillaume/Getty Images)

Vor wenigen Jahren betrieben die Finanzbranche, die Öl- und die Autoindustrie den größten Lobby-Aufwand auf EU-Ebene. Inzwischen sind es Konzerne wie Google, Facebook und Amazon.

Von Uwe Ritzer, München

Die EU-Kommission hatte ihre Pläne noch nicht einmal veröffentlicht, da machte Google bereits dagegen mobil. Und zwar auf eine ebenso subtile wie gut getarnte Art und Weise. Dabei folgte der Internetkonzern einem präzisen Drehbuch, um die verbraucherfreundlichen und wettbewerbsfördernden Pläne Brüssels zu torpedieren. Scheinbar neutrale Thinktanks, private Einrichtungen also, die irgendwo zwischen Wissenschaft, Politik und Lobbyismus angesiedelt sind, luden politische Entscheider ein, um sie im Sinne von Google und anderen Big-Tech-Konzernen zu beeinflussen.

Flankierend wurden angeblich neutrale Studien veröffentlicht. In einer hieß es, wenn da wirklich komme, was die Kommission plane, dann koste das europaweit 20 000 Arbeitplätze und 85 Milliarden Euro Bruttoinlandsprodukt. Auch die Verbände anderer Branchen spannte Google vor den Karren, ebenso wie den eigenen Video-Ableger Youtube. Dort sollten Google-Positionen dominieren und Youtuber als Mitkämpfer gewonnen werden, indem man ihnen die Kommissionspläne als gefährliche Eingriffe in ihre kreative Freiheit verkauft. So stand es in einem internen Strategiepapier, das im Herbst 2020 durch einen Leak bekannt geworden war.

Die Aktivitäten richten sich vor allem gegen zwei Verordnungen, welche die EU-Kommission erst Wochen später veröffentlichte. Abgekürzt heißen sie DMA (Digital Markets Act) und DSA (Digital Services Act). Sie zielen darauf ab, zum einen die marktbeherrschende, ökonomische Stellung von Google, Facebook oder Amazon einzudämmen. Zum anderen will die EU-Kommission den Konzernen verbieten, persönliche Daten der Nutzer verschiedener Plattformen eigenmächtig zusammenzuführen oder eigene Produkte zu bevorzugen. Auch personenbezogene Online-Werbung soll nicht mehr so einfach sein wie bisher. Google, Amazon, Facebook und Co. würden durch all dies Milliardengeschäfte entgehen. Also haben sie eine Lobbyisten-Armada in Gang gesetzt, wie selbst Brüssel sie noch nie gesehen hat, wo man in dieser Hinsicht einiges gewohnt ist.

Allein die zehn größten Digitalkonzerne geben 32 Millionen Euro für Lobbyarbeit aus

Vor wenigen Jahren noch kämpften die meisten Lobbyisten auf EU-Ebene für die Interessen der Finanzwirtschaft, der Öl-, Pharma-, Chemie- oder der Automobilindustrie. Inzwischen betreiben die Digital-Riesen den größten Lobbyaufwand. Mit noch nie da gewesenen finanziellen und personellen Ressourcen nehmen sie die EU in die Zange. Laut einer gemeinsamen Studie der auf europäischer Ebene tätigen, lobbykritischen Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) und des deutschen Vereins Lobbycontrol versuchen inzwischen etwa 600 Lobbyagenturen, Unternehmen und Verbände, die Politik und die Gesetzgebung der Europäischen Union im Bereich digitale Wirtschaft im Sinne der Konzerne zu beeinflussen.

Das lassen sie sich knapp 100 Millionen Euro im Jahr kosten. Knapp 1500 Lobbyistinnen und Lobbyisten sind für sie in Brüssel unterwegs. Allein die zehn größten Digitalkonzerne geben 32 Millionen Euro für Lobbyarbeit aus. Um diese möglichst erfolgreich zu gestalten, knüpfen die Big-Tech-Firmen parallel ein immer engeres und größeres Netzwerk aus Anwaltskanzleien und Thinktanks, die in ihrem Sinne tätig werden.

"Diese gigantische Lobbymacht ist eine Gefahr für die Demokratie", warnt Max Bank, Digitalexperte bei Lobbycontrol. Er ist einer der Autoren der neuen Studie, die "den immer größeren Einfluss" von Google und Co. "auf unsere Lebensgestaltung" anprangert. "Die Lobbymacht der Digitalkonzerne ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen", sagt Bank. Dessen Co-Autorin Margarida Silva von CEO sieht die Gefahr, dass "die geballte Lobbymacht der Digitalindustrie" die von der EU-Kommission mithilfe der Verordnungen DMA und DSA geplanten, strengeren Regeln verwässert. Bereits beim Zugang zu EU-Entscheidern herrsche ein großes Ungleichgewicht. Drei Viertel aller 276 Treffen von EU-Kommissionären in Sachen DMA und DSA waren mit Vertretern der Digitalkonzerne. Nur ein Viertel der Termine betrafen Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen. Vieles geschieht darüber hinaus nicht nachprüfbar im Geheimen. Etwa in nationalen Mitgliedsstaaten. Keiner weiß, welcher Minister, Abgeordnete oder einflussreiche Ministerialbeamte sich wann und mit wem von Google, Facebook oder Amazon traf und über die DMA oder die DSA beriet.

Plan ist es, möglichst viele ahnungslose Nutzer vor den Karren zu spannen

Wobei es beim lobbyistischen Aufrüsten der Digital-Riesen nicht nur um Gesetze und Regeln geht, die sie verhindern oder zumindest in ihrem Sinne beeinflussen wollen. Es geht auch um politischen Einfluss auf die Europäische Union von außen, aus den USA nämlich. Mit Ausgaben von 5,75 Millionen Euro pro Jahr für Lobbyarbeit ist US-Marktführer Google einsamer Spitzenreiter, gefolgt von Facebook (5,5 Millionen), Microsoft (5,25 Millionen) und Apple (3,5 Millionen). Auf Platz fünf folgt der chinesische Konzern Huawei, gleich dahinter geht es mit Amazon, IBM und Intel amerikanisch weiter. Apropos China: Der Lobbyaufwand des Landes auf EU-Ebene fällt verglichen mit den Amerikanern kaum ins Gewicht.

Plan der Lobbystrategen ist es, möglichst viele ahnungslose Nutzer vor ihren Karren zu spannen. Jeder Bundesbürger ist im Durchschnitt dreieinhalb Stunden täglich im Netz unterwegs, Jugendliche und junge Erwachsene bringen es sogar auf mehr als das Doppelte. Suchmaschinen und soziale Netzwerke spielen dabei eine zentrale Rolle. Was wiederum den Digitalkonzernen ermöglicht, die Daten ihrer Nutzer zu sammeln und etwa für Werbetreibende gezielt und lukrativ aufzubereiten. Ein Megageschäft, bei dem man nicht will, dass die EU reinreguliert.

Um die Nutzer als Verbündete gegen die Brüsseler Pläne zu gewinnen, wäre das freilich kein Argument. Also reden die Lobbyisten anstatt über ihre handfesten ökonomischen Interessen lieber über die Freiheit im Internet, welche die EU-Regulatoren angeblich beschneiden wollen. Andere Argumente sind der Studie von CEO und Lobbycontrol zufolge die Warnung vor zu viel chinesischem Einfluss, die Digitalisierung als Lösung vieler Probleme und die vermeintliche Sorge um kleine Digitalunternehmen und Start-ups. Das alles in der Hoffnung, den die Lobbyisten der Digitalkonzerne hegen. Dass nämlich der politische Chor immer größer wird und immer lauter klingt. Ganz in ihrem Sinne.

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