EU-Krisenländer:Gabriel möchte Frankreich Luft verschaffen

Was heißt hier Defizit? Wie Sigmar Gabriel Frankreich und anderen Staaten mehr Zeit beim Sparen geben will. Und warum Merkel den Vorschlag ablehnt.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ist dazu bereit, Frankreich mehr Zeit für den Abbau des zu hohen Haushaltsdefizits einzuräumen, wenn die Regierung in Paris im Gegenzug einen strikten Reformfahrplan unterzeichnet. Gabriel sagte nach einem Treffen mit seinem Amtskollegen Arnaud Montebourg in Toulouse, niemand wolle die Politik hoher Haushaltsfehlbeträge in der Europäischen Union (EU) fortsetzen. "Aber wir werden die Defizite nur langfristig abbauen, wenn wir wieder zu Wachstum und Beschäftigung kommen", betonte er. Deshalb müsse es eine Änderung der europäischen Politik weg vom reinen Defizitabbau und hin zu mehr Wachstumsförderung geben.

Die Kanzlerin lehnt neue Berechnungsmethoden bisher ab

ach Angaben aus Regierungskreisen will Gabriel mit seinem Vorstoß den Franzosen einen Ausweg aus ihrem derzeitigen Dilemma aufzeigen. Staatspräsident François Hollande steht einerseits unter dem Druck der EU-Kommission, die von ihm die Verringerung des Haushaltsdefizits unter die EU-Grenze von drei Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung verlangt. Andererseits fürchtet er, die dafür nötigen Einsparungen und Reformen in der eigenen sozialistischen Partei nicht durchsetzen zu können. Gabriels Vorschlag liefe darauf hinaus, dass die Kommission das zu hohe Budgetdefizit noch eine Zeit lang als eine Art Zukunftsinvestition akzeptiert, wenn Frankreich endlich ein detailliertes Reformpaket mit konkretem Zeitplan vorlegt. "Eine Idee könnte zum Beispiel sein, dass die Kosten, die durch Reformpolitik in einzelnen Ländern entstehen, nicht auf die Defizite angerechnet werden", sagte der Minister, ohne Frankreich zu nennen. Das hieße, "dass man einen Tausch macht: Reformen gegen Defizitkriterien".

Mit seinem Vorschlag will Gabriel dem Vernehmen nach einen Dauerstreit zwischen der Kommission und der französischen Regierung verhindern, der am Ende die gesamte EU destabilisiert. Allerdings könnte Gabriel selbst in Konflikt mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geraten, die in der Vergangenheit Bestrebungen, einzelne Posten aus dem Haushaltsdefizit herauszurechnen, stets strikt entgegengetreten war. Vor allem südeuropäische Politiker hatten immer wieder einmal gefordert, die Ausgaben etwa für Investitionen, die Bildung, die Entwicklungshilfe oder auch die Verteidigung nicht oder nur teilweise anzurechnen. Merkel hält jedoch eine exakte Definition solcher Kostenblöcke kaum für möglich und vermutet zudem, dass es einigen Staaten in Wahrheit darum geht, ihre tatsächliche finanzielle Lage zu verschleiern. Andererseits kann auch der Kanzlerin an einer Eskalation des Streits zwischen Brüssel und Paris nicht gelegen sein.

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