EU-Kommission:Lobby-Manöver in letzter Minute

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Das Neckartor in Stuttgart. Es gilt als die Kreuzung mit der stärksten Luftverschmutzung in Deutschland. (Foto: imago/Lichtgut)
  • Der 8. November wird zum Schicksalstag der Autobranche: An diesem Tag will Brüssel die neuen Kohlendioxid-Grenzwerte bekanntgeben.
  • Nun machen Lobbyisten Druck auf die Kommission, damit sie von den strengen angepeilten Vorgaben abweicht.
  • Schwächt die EU-Kommission tatsächlich ihre Ziele ab, können die Klimaziele der Bundesrepublik kaum mehr erreicht werden.

Von Markus Balser, Berlin, und Alexander Mühlauer, Brüssel, Berlin/Brüssel

Wie groß wird der Druck auf die Autohersteller nach dem Abgasskandal? In den Chefetagen deutscher Konzerne weiß man, dass die EU-Kommission ihre Antwort nächste Woche geben will. Der 8. November gilt als Schicksalstag für die Branche. Parallel zum Weltklimagipfel in Bonn will die Brüsseler Behörde ihre Pläne für neue CO₂-Grenzwerte für Autos in Europa bis zum Jahr 2030 vorstellen. Kaum ein anderer Plan hat so große Auswirkungen auf den Klimaschutz wie dieser. Und kein anderer sorgt in der Wirtschaft deshalb derzeit für so viel Wirbel.

Seit Wochen wird in Brüssel daran gefeilt, wie es mit den Emissionszielen nach 2021 weitergeht, wenn die bisherigen Flottengrenzwerte auslaufen. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung sind harte Einschnitte geplant. Der bisherige Entwurf sieht eine CO₂-Minderung von 25 bis 35 Prozent bis 2030 für Pkw vor. Um mehr Elektroautos auf den Markt zu bringen, soll eine Quote für emissionsfreie Fahrzeuge den Druck erhöhen. Das Ziel: 15 bis 20 Prozent. Hersteller, die das nicht schaffen, sollen mit Sanktionen bestraft werden, etwa noch schärferen Grenzwerten. Für 2025 will die Kommission zudem ein verbindliches Zwischenziel einführen.

Was sich in Brüssel zusammenbraut, hinterlässt Fassungslosigkeit in den Chefetagen der Konzerne. Und ein Problem: Weil Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Regierungsbildung steckt, fällt sie als Lobbyistin aus. Doch offenbar weiß sich die Branche zu helfen. Am Donnerstag suchte Deutschlands einflussreichster Autolobbyist, Matthias Wissmann, Chef des Branchenverbands VDA, einfach selbst das vertrauliche Gespräch mit führenden EU-Funktionären. Zuerst sprach er mit Martin Selmayr, dem Kabinettschef von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Einen Tag später mit Klimakommissar Miguel Arias Cañete. Wissmann habe die Pläne entschieden abgelehnt und Änderungen verlangt, heißt es aus Kommissionskreisen, etwa die Absenkung der Treibhausziele auf 20 Prozent. Zur Seite sprang ihm öffentlich der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger. Die Klimaziele müssten "ambitioniert, aber erreichbar sein", forderte Oettinger, der eigentlich für Haushalt und Personal zuständig ist. Er sehe bei neuen Flottenvorgaben einen bedenklichen Fall von "Planwirtschaft".

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Das Lobby-Manöver in letzter Minute zahlt sich offenbar aus. Unter dem Druck der Branche rücke die Kommission von den strengen Zielen ab, heißt es in Verhandlungskreisen. Führende EU-Mitarbeiter hätten die Order ausgegeben, die Pläne abzuschwächen. So sollten Strafen beim Verfehlen der Elektroauto-Ziele wegfallen. Und das Zwischenziel für 2025 solle nicht verbindlich werden. Trotz des Dieselskandals habe die Branche offenbar immer noch großen Einfluss auf die Politik, sagt ein Kommissionsmitarbeiter.

Für Wirbel sorgen dürfte das Lobbying auch bei den Sondierungsgesprächen von CDU / CSU, FDP und Grünen in Berlin. Denn setzt sich die Branche wirklich durch, dürfte auch das ehrgeizige deutsche Klimaziel für 2030 in Gefahr geraten.

Um die Erderwärmung zu begrenzen, hat sich Deutschland verpflichtet, bis 2030 ganze 55 Prozent weniger Treibhausgase auszustoßen. Allein der Straßenverkehr soll seine Emissionen um 40 Prozent senken. Die CO₂-Grenzwerte der EU spielten eine zentrale Rolle, um die deutschen Klimaschutzziele zur erreichen, sagt Christian Hochfeld, Chef der Denkfabrik Agora Verkehrswende. Im Klartext: Schwächt die EU-Kommission die Klimaziele ab, wird die neue Bundesregierung es kaum schaffen, ambitionierte Klimaziele zu verfolgen.

Die Auto-Nationen in der EU wollen weichere Vorschriften

Die Mitgliedsstaaten der EU sind in der CO₂-Frage uneins. Während die Auto-Nationen Deutschland, Italien und Frankreich versuchen, scharfe Vorschriften zu verhindern, dringen andere EU-Länder auf eben diese. So haben Umwelt- und Verkehrsminister aus den Beneluxstaaten, Österreich, Portugal, Irland und Slowenien vor wenigen Tagen einen Brief an die vier zuständigen EU-Kommissare geschrieben.

Darin warnen sie davor, dass die für 2030 anvisierten Ziele ohne eine "signifikante Verbesserung der Fahrzeugeffizienz", allen voran mithilfe von E-Autos, nicht erreicht werden könnten. Die Minister fordern, die CO₂-Emissionen von Pkw "um mindestens 40 Prozent im Jahr 2030" zu senken. Dieser Wert liegt damit sogar noch höher als der von der EU-Kommission geplante - von den Forderungen der Autobranche ganz zu schweigen.

Doch auch in der Brüsseler Behörde herrscht Uneinigkeit, wie viel die Politik den Autoherstellern derzeit zumuten kann. Im Zuge des Dieselskandals sorgten vor allem Industriekommissarin Elżbieta Bieńkowska und Verbraucherkommissarin Violeta Bulc für markige Sprüche. Diese gingen nicht nur den europäischen Autoherstellern, sondern auch so manchen Kollegen in der EU-Kommission zu weit. Seit der Sommerpause sind die beiden auffallend ruhiger geworden.

Das dürfte auch dem VDA nicht entgangen sein. Der deutsche Lobbyverband bestätigte am Mittwoch Kontakte in Brüssel, äußerte sich jedoch nicht zu den Details. Nur so viel: "Dazu gehört auch die europäische CO₂-Regulierung, die ein Top-Thema für die europäische Automobilindustrie darstellt", heißt es in einer Stellungnahme. Die Vorstellung, dass die EU-Kommission einknicke, sei jedoch kurzsichtig, warnt William Todts, Direktor der europäischen Umweltorganisation Transport und Environment. Die Branche versuche, das Geschäft mit dem Diesel um jeden Preis am Leben zu halten.

© SZ vom 02.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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