EU-Kommission:Eine Frage des Tonfalls

Der Entwurf für die EU-Strategie zum besseren Schutz vor gefährlichen Chemikalien sorgt für Streit.

Von Karoline Meta Beisel, Brüssel

Eine schadstofffreie Umwelt ist eines der Kernanliegen der EU-Kommission. Schon im vergangenen Dezember kündigte Präsidentin Ursula von der Leyen eine Nachhaltigkeitsstrategie für Chemikalien an: "Dies wird zum besseren Schutz der Bürgerinnen und Bürger und der Umwelt vor gefährlichen Chemikalien beitragen und die Innovation zur Entwicklung sicherer und nachhaltiger Alternativen fördern", heißt es in ihrem "Grünen Deal". Es gelte, besseren Gesundheits- und Umweltschutz mit einer gesteigerten globalen Wettbewerbsfähigkeit zu verbinden.

Im Spätsommer oder Herbst will die EU-Kommission ihre Chemikalienstrategie vorstellen, gerade ist der Entwurf in der Ressortabstimmung. Innerhalb der Behörde wird nun aber heftig darum gerungen, wie genau diese Verbindung zwischen Umweltschutz und Wettbewerbsfähigkeit aussehen soll, mit offenbar recht unterschiedlichen Zielvorstellungen. Der Ton der Strategie sei insgesamt "sehr negativ" und setze zu sehr auf Verbote. Das würde bei Bürgern "unnötige Ängste" hervorrufen, heißt es in den Änderungswünschen, die die Generaldirektion für Industrie und den Binnenmarkt den Kollegen aus der Umweltabteilung mitgeteilt hat. "In der Darstellung der Vorteile und der negativen Auswirkungen von Chemikalien gibt es immer noch ein erhebliches Missverhältnis", schreiben die EU-Beamten in einem Dokument, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Der Ton und der Ansatz sollten insgesamt "verbessert" werden.

Die Beamten stören sich aber nicht nur an der Wortwahl. Auch bei konkreten Regulierungsvorschlägen plädieren sie für Milde. So sieht der Entwurf aus der Abteilung für Umweltschutz vor, dass die gesetzlichen Regelungen für sogenannte endokrine Disruptoren gestärkt werden sollen, also für solche Chemikalien, die sich auf den Hormonhaushalt des Menschen auswirken. Manche von ihnen haben das Potenzial, die körperliche Entwicklung oder biologische Funktionen von Tieren und Menschen zu stören. Sie finden sich zum Beispiel in Kunststoffen oder Körperpflegeprodukten. Dem Entwurf zufolge sollen Gesetze dazu beitragen, dass gerade Verbraucher möglichst wenig in Kontakt mit solchen Stoffen kommen.

Die Beamten aus der Direktion für den Binnenmarkt würden den entsprechenden Satz allerdings gerne dahingehend ändern, dass "Optionen" zur Verbesserung der Gesetzeslage geprüft werden sollen. Ganz generell wünscht man sich, dass die Strategie weniger konkrete Festlegungen und Ankündigungen enthalten möge. Stattdessen solle man Worte wählen, die auf "prüfen, untersuchen etc." hindeuten, heißt es in den Anmerkungen. Die EU-Kommission wollte das Papier nicht kommentieren.

Die EU-Abgeordnete Jutta Paulus hält diese Änderungswünsche für ein Ablenkungsmanöver. "Wir prüfen uns zu Tode, das ist reine Verzögerungstaktik", sagt die grüne Politikerin. "Die EU hat bereits seit 20 Jahren eine Strategie für den Umgang mit endokrinen Disruptoren. Jetzt zu sagen, man müsse erst noch mal prüfen, grenzt ans Postfaktische." Letztlich sei es aber auch im Interesse der Industrie, sich früh an Forschung für umweltverträgliche Chemikalien zu beteiligen. "Wenn die europäische Industrie meint, wir brauchen das alles nicht, macht es ein anderer, und dann haben wir am Ende auch einen Wettbewerbsnachteil." Es sei traurig, dass diese Chancen noch so wenig gesehen würden.

Die Ressortabstimmung dauert noch an, danach müssen die EU-Kommissare die Strategie beschließen. Im Parlament ist man schon einen Schritt weiter: Die Abgeordneten haben sich bereits am vergangenen Freitag mit großer Mehrheit auf eine Wunschliste für die Kommissionsstrategie geeinigt. Demnach sollen Risikogruppen besser vor gefährlichen Chemikalien geschützt werden; außerdem fordern die Abgeordneten, dass für hormonaktive Substanzen in Spielzeugen oder Kosmetika dieselben Regeln gelten sollen wie für krebserregende Stoffe.

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