EU-Kommissar Verheugen:"Weltmeister in riskanten Bankgeschäften"

Scharfe Töne von Günter Verheugen: Der EU-Industriekommissar übt harsche Kritik an der deutschen Finanzaufsicht.

C. Bolesch u. C. Gammelin

Der SPD-Politiker Günter Verheugen, 65, gehört seit 1999 der Europäischen Kommission an. Seit 2004 ist er für Unternehmen und Industrie zuständig, zugleich ist er Vizepräsident der Kommission.

EU-Kommissar Verheugen: EU-Industriekommissar Verheugen übt scharfe Kritik an der Finanzaufsicht.

EU-Industriekommissar Verheugen übt scharfe Kritik an der Finanzaufsicht.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Verheugen, in drei Wochen ist Europawahl. Glauben Sie, es könnten noch weniger Menschen als vor fünf Jahren wählen gehen?

Verheugen: Das Risiko ist groß. Aber es ist falsch, daraus zu schließen, die Menschen würden sich von Europa abwenden. Es ist doch so, dass sie Europa nicht mit den Problemen verbinden, die sie unmittelbar berühren, also mit Steuern, Renten, Schulen, Kindergärten. Da hat Europa einfach keine Befugnisse. Die Union kümmert sich um Währung, Wettbewerb und Binnenmarkt. Das sind eher abstrakte Dinge, obwohl sie sich natürlich stark auf das tägliche Leben auswirken. Der frühere Kommissionspräsident Jacques Delors hat einmal gesagt: "Man kann nicht erwarten, dass die Menschen einen Markt lieben." Da ist was dran.

SZ: Ihre eigene Partei, die Sozialdemokratie, ruft nun im Wahlkampf nach einem sozialen Europa.

Verheugen: Das ist vollkommen richtig. Es wäre fatal, würde die EU den Eindruck erwecken, sie kümmere sich nicht um die Beschäftigten. Alle unsere wirtschaftlichen Anstrengungen, ob es die Investitionen in Forschung sind oder das klimagerechte Umsteuern der Wirtschaft, dienen sozialen Zielen. Wir wollen mehr und bessere Arbeitsplätze.

SZ: Der Christdemokrat Jean-Claude Juncker, Premier in Luxemburg, fordert ganz konkret einen Mindestlohn in allen EU-Ländern.

Verheugen: Ich predige seit Jahren, dass Deutschland einen gesetzlichen Mindestlohn braucht. Die meisten Länder haben ihn schon, Deutschland leider nicht. Spätestens 2011 aber, wenn auch wir unseren Arbeitsmarkt für Bewerber aus neuen Mitgliedsländern öffnen, wird es große Probleme geben! Deutschland ist eines der wenigen Länder, die das wichtigste Prinzip der europäischen Entsende-Richtlinie nicht richtig umsetzen: Arbeitnehmer nach den Regeln des Landes zu bezahlen, in dem sie arbeiten.

SZ: Ist Deutschland also doch nicht europatauglich?

Verheugen: Ich wünsche mir einen Kulturwandel. Deutsche Politiker sollten aufhören, die Welt in Deutschland und Europa zu teilen. Sie müssen sich gleichzeitig als deutsche und als europäische Politiker verstehen. Menschen werden sich nicht begeistern, wenn sie schlecht oder gar nicht über Europa reden.

SZ: Ihr Parteikollege, Finanzminister Peer Steinbrück, sieht das offensichtlich anders. Er beklagt sich öffentlich und heftig über die Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes, sie wolle deutsche Banken zerstören.

Verheugen: Neelie Kroes hat sehr kluge Auflagen gemacht, damit die deutschen Landesbanken überhaupt überleben. Sie hatte keinen Grund, beide Augen zuzudrücken. Von welcher Bankenlandschaft reden wir denn? Deutschland war Weltmeister in riskanten Bankgeschäften. Nirgendwo auf der Welt, auch nicht in Amerika, haben sich Banken mit größerer Bereitschaft in unkalkulierbare Risiken gestürzt, allen voran die Landesbanken. Das hat jetzt dramatische Folgen für den deutschen Steuerzahler.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum es in Italien keine Schrottpapiere gibt.

"Italiens Haltung bei Bankgeschäften hat sich ausgezahlt"

SZ: Wie konnte es so weit kommen?

Günther Verheugen ddp

EU-Kommissar Verheugen: "Man kann den Kuchen nicht essen und gleichzeitig behalten."

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Verheugen: In der Kommission wird die Rolle der deutschen Finanzaufsicht kritisch beurteilt. Es ist ja kein Naturgesetz, hochriskante Geschäfte abzuschließen und zuzulassen. In Deutschland und einigen anderen Ländern hat die Aufsicht die Dinge laufen lassen. Andere Länder in Europa stehen besser mit ihren Banken da. Italien zum Beispiel. Da gibt es keine Schrottpapiere!

SZ: Warum sollen ausgerechnet italienische Banken verantwortungsvoller gewirtschaftet haben?

Verheugen: Die Italiener haben, wie man so schön sagt, eine konservative Haltung bei Bankgeschäften. Die hat sich ausgezahlt.

SZ: Und was hätte die deutsche Bankenaufsicht tun sollen?

Verheugen: Man muss sich gerade neue Finanzprodukte sehr genau anschauen. Ich hätte nichts dagegen, wenn hochriskante Papiere künftig einer Zulassung bedürften.

SZ: Steinbrück hat als ehemaliger Finanzminister und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen selbst die Geschäfte der WestLB beaufsichtigt, in den Aufsichtsräten aller Landesbanken sitzt politisches Spitzenpersonal. Keiner von ihnen hat interveniert. Ist es nicht an der Zeit, die politische Verantwortung zu übernehmen?

Verheugen: Ich bitte Sie! Die Bankenaufsicht liegt doch nicht bei den Ministerpräsidenten deutscher Länder. Jetzt geht es darum, die richtigen Lehren aus der Krise zu ziehen. Deshalb legt die Kommission am 27.Mai ihren Vorschlag zur Neuordnung der Finanzaufsicht vor.

SZ: Viele Menschen werfen der Union vor, sie sei undemokratisch.

Verheugen: Man kann den Kuchen nicht essen und gleichzeitig behalten. Einerseits darf die Union nicht zum Superstaat werden. Andererseits aber soll sie sich wie ein Nationalstaat verhalten, also eine zentrale Regierung haben, die sich auf eine Parlamentsmehrheit stützt. Beides zusammen geht nicht. Wir sind vertraglich eine Union souveräner Staaten. Da sind die Regeln nicht so eindeutig, aber auf keinen Fall undemokratisch. Als ich Minister in Deutschland war, habe ich eine Urkunde in die Hand gedrückt bekommen und das war's. Als Kommissar in Brüssel werde ich von einer demokratisch legitimierten Regierung benannt, muss mich aber darüber hinaus einem Hearing unterziehen und dem Votum des EU-Parlaments stellen. Was ist daran undemokratisch?

SZ: Sie selbst plädieren doch für mehr Volksabstimmungen in Europa.

Verheugen: Ich finde tatsächlich, man sollte keine Angst haben vor den Bürgern. Volksabstimmungen zwingen die politischen Akteure, sich ernsthaft zu Europa zu bekennen. Die Erfahrungen mit den Referenden in Irland, Frankreich und den Niederlanden sind allerdings bitter. Internationale Verträge sind wahrscheinlich nicht das geeignete Objekt für Plebiszite. Stellen Sie sich mal vor, bei der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl hätte man die Franzosen befragt, ob sie die Deutschen dabeihaben wollten. Das wäre wahrscheinlich schiefgegangen.

SZ: Schon jetzt wird spekuliert, wer in der künftigen Kommission welchen Posten bekommt.

Verheugen: Spekulationen, Sie sagen es. Aber es wundert mich schon, dass Deutschland keinen Anspruch auf ein europäisches Spitzenamt anmeldet. Es ist längst an der Zeit, dass das größte Land entsprechend personelle Verantwortung übernimmt. Nach der guten EU-Präsidentschaft 2007 warten viele in Brüssel darauf.

SZ: Wenn es doch wieder nur ein Kommissar wird, welcher Posten sollte es dann sein?

Verheugen: Wenn ich einen Rat geben sollte: Zuerst würde ich die Position überlegen und dann die Person aussuchen. Meines Erachtens sollte es eine Aufgabe im wirtschaftlichen Kernbereich der Kommission sein, also alles, was mit Binnenmarkt, Außenhandel, Klima und Energie oder Wirtschaft und Finanzen zu tun hat.

SZ: Wird es nicht Zeit, dass die Bundesregierung jetzt mal einen Namen nennt?

Verheugen: Warum denn? Die meisten Kandidaten werden ohnehin erst im Herbst klar sein, und wenn die Deutschen für das, was sie wollen, eine überzeugende Persönlichkeit aufstellen, haben sie immer eine gute Chance.

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