EU-Hilfen:Zypern am Scheideweg

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Millardenhilfe für Zypern: Ja oder Nein? (Foto: dpa)

Gefährdet ein Bankrott Zyperns die Stabilität der Eurozone? Oder muss die EU angesichts des Verdachts auf Geldwäsche aufhören, das Bankensystem zu retten?

Pro und Contra kommentieren Markus Zydra und Marc Beise

PRO: Wir müssen zahlen

In der Republik Zypern leben 880.000 Menschen. Die Forderungen ausländischer Banken gegenüber dem Inselstaat belaufen sich auf 51 Milliarden Euro. Das sind exakt 0,17 Prozent aller grenzüberschreitenden Bankforderungen weltweit. Und ein Bankrott dieses finanziellen Zwergs soll die Stabilität der Eurozone gefährden können? Zumal sich die Mittelmeerinsel zu einem Knotenpunkt für internationale Geldwäsche und Steuerhinterziehung gemausert hat, wohin, das nur am Rande, auch geschasste Banker gerne für ein Jahr ziehen, um sich so die Steuern auf ihre Millionenabfindung zu sparen.

Jetzt braucht Nikosia 17.000.000.000 - kurz 17 Milliarden - Euro, sonst gehen dort bald die Lichter aus. Soll der deutsche Steuerzahler helfen, die Zyprer vor der Pleite zu bewahren? Die kurze Antwort lautet ja, die Erklärung der Gründe braucht ein wenig länger.

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben deutlich gemacht, dass die Größe eines Landes oder auch einer Bank mitunter irrelevant ist, denn auch an den Finanzmärkten gibt es den Schmetterlingseffekt: So hat 2007 die winzige Mittelstandsbank IKB den deutschen Bankensektor erschüttert, und im Mai 2010 waren es die Ereignisse im kleinen Griechenland, die sich auf andere Euro-Staaten auswirkten. Plötzlich wankten auch Portugal, Spanien und Italien, und der Auslöser war der drohende Bankrott Athens.

Man kann das Problem Zyperns also auch umdrehen. Will die Eurozone riskieren, dass gerade ein kleines, von Geldwäsche und internationaler Steuerhinterziehung geplagtes Mitgliedsland das Gerede um eine Eurokrise neu entfacht?

Griechenland käme wieder ins Blickfeld

Eine erneute Eskalation kann man auf keinen Fall ausschließen, denn ohne externe Hilfe geht Zypern Pleite und mit dem Bankrott müsste der Austritt aus der Eurozone unweigerlich zu folgen. In der Finanzwelt heißt es dann: Die EU lässt Zypern fallen, sofort werden die Spekulanten fragen, wie es die Europäer im Ernstfall mit anderen kleinen Mitgliedern wie Slowenien oder der Slowakei halten.

Auch Griechenland käme dann wieder ins Blickfeld. Acht Prozent der griechischen Einlagen kommen direkt von zyprischen Banken - wenn diese Gelder ausfallen würden, bräuchten die Institute in Athen wohl neue Kapitalhilfen, und das, nachdem der Bankensektor gerade erst rekapitalisiert wurde. Womöglich spielen die Finanzmärkte dann auch wieder einen Austritt großer Eurostaaten wie Spanien oder Italien durch - die Kreditzinsen dieser Länder würden erneut ansteigen.

Insoweit ist Zypern mit seinen 880.000 Einwohnern tatsächlich systemrelevant. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat das jüngst bezweifelt, aber diese Systemrelevanz ist Voraussetzung dafür, dass Zypern überhaupt Hilfen aus dem Rettungsfonds ESM erhalten kann. Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), EU-Währungskommissar Olli Rehn und ESM-Chef Klaus Regling sehen das anders. Zurecht - denn eine Pleite Zyperns könnte die zuletzt zurückgewonnene Stabilität in der Währungsunion stark gefährden.

Diesem Risiko muss man sich nicht aussetzen, deshalb wäre die Überweisung von 17 Milliarden Euro die klügere Antwort - zumal die Summe als Kredit und nicht als Almosen ausgereicht würde.

Politischer Hebel um Schattenbankgeschäfte zu beenden

Man sollte auch berücksichtigen, dass Zypern durch den Schuldenschnitt für Griechenland stark gelitten hat. Zyprische Banken besaßen viele griechische Staatsanleihen, Nikosia musste deshalb nach dem verhandelten Schuldenschnitt für Athen einspringen, um die heimischen Banken zu stützen. Es soll sich um einen Betrag gehandelt haben, der einem Viertel des zyprischen Bruttoinlandsprodukts entspricht.

Man muss nicht so weit gehen, diesen Akt der zyprischen Regierung als Solidaritätsleistung für ganz Europa zu bewerten, aber fest steht, dass die Rettung Griechenlands Zypern überproportional viel Geld gekostet hat - Geld das nun fehlt.

Die 17 Milliarden Euro könnten die Banken und den zyprischen Staat retten. Diese Finanzhilfen wären zudem der allerbeste Hebel für den notwendigen politischen Druck, um die schlimmen Schattenbankgeschäfte auf der Insel für immer zu beenden. Die Pläne dafür liegen auf dem Tisch. Nach den Wahlen Ende Februar soll eine neue zyprische Regierung glaubwürdig den Neuanfang ausrufen. Man braucht dann schnell einen Überblick zu den vielen Tarnfirmen auf Zypern, die zur Geldwäsche instrumentalisiert werden.

Schon jetzt wurden erste Gesetze zur Geldwäschebekämpfung beschlossen - es ist ein Anfang. Später muss man die Umsetzung sicherstellen. Wenn Nikosia ESM-Hilfen erhält, dann wird die Troika - Vertreter aus EU-Kommission, EZB und Internationaler Währungsfonds - regelmäßig die Fortschritte auf Zypern überwachen. So bleibt der Druck erhalten, so hat Zypern eine Zukunft.

Markus Zydra

CONTRA: Jetzt ist Schluss

Die Geschichte der Europäischen Union ist eine Serie von Kompromissen. Vieles, was politisch fragwürdig oder ökonomisch unsinnig ist, muss zum Wohle des großen Ganzen akzeptiert werden - weil Europa nach zwei Weltkriegen das große Friedens- und Wohlstandsprojekt ist, zugleich aber der Zusammenschluss selbstbewusster Staaten Kompromisse erfordert. Entsprechend ist auch die Geschichte des Euro eine Serie von Kompromissen.

Selbst die Hilfspakete an die Krisenstaaten waren in diesem Sinne - obwohl ökonomisch fragwürdig - richtig: Sie stabilisierten den Euro und beruhigten die Märkte. Die Hilfe musste sein, weil es nicht anders ging, wollte man nicht einzelne Länder in ihr Unglück stürzen und gleich das Weltfinanzsystem hinterher. Deshalb war es gut, mit Bauchgrimmen Irland zu finanzieren, Spanien, Portugal, Griechenland.

Aber die Hilfe war immer Ultima Ratio und wurde auch so begründet: Not-Maßnahmen um des großen Ganzen willen. Wer jetzt den Rettungsschirm auch über Zypern spannt, desavouiert diese Hilfen.

Der Fall liegt anders als der Fall Griechenland, der schon ein besonderer Fall im Krisengeflecht war. Griechenland, das sich mit einem labilen finanzpolitischen System gerade so in den Euro gerettet hatte und dann dort bedenkenlos die Euro-Dividende verlebte, ist am Ende dennoch ein Staat wie die anderen europäischen Staaten auch. Es mag dort politische Vetternwirtschaft, Verschwendung, eine rudimentäre Steuerverwaltung und andere Malaisen geben, aber es bleibt doch ein Land mit Industrie, Landwirtschaft, Dienstleistungssektor.

Zyperns Geschäftsmodell lautet: Geld

Griechenland ist - unter Schmerzen - reformfähig. Bei Zypern wird das schwer fallen. Zyperns Wirtschaft ist ein großer, organisierter Bankapparat. Das Geschäftsmodell lautet: Geld. Nun fehlt Geld. Und nun soll Europa nachschießen? Im Leben nicht!

Zypern ist ein Zwerg, der sich der Finanzindustrie verschrieben hat, die von 1995 bis 2011 um 240 Prozent gewachsen ist. Die Industrie dagegen hat gerade mal sechs Prozent an der Gesamtwirtschaft. Da ist nichts aus dem Lot geraten, da stimmt das ganze Modell nicht. Vor allem hat sich Zypern die ganze halbseidene Welt auf die Insel geholt. Es ist offensichtlich, dass dabei mindestens steuertaktische Fragen eine Rolle spielten, wenn nicht sogar illegale Praktiken; der Verdacht von groß angelegter Geldwäsche ist virulent. Zypern basiert auf einem Geschäftsmodell, das allen schadet, das muss den Rettungsmodus prägen.

Ein Beispiel: Nach Zypern flossen im vergangen Jahr russische Direktinvestitionen in Höhe von 22,4 Milliarden Dollar, das entspricht 33 Prozent des russischen Kapitalexports. Gleichzeitig gingen 12,6 Milliarden Dollar wieder zurück. Zypern ist der "russische Geldschrank". Für dieses russische Kapital soll der europäische Steuerzahler haften? Besser doch, diese Geschäftspartner der Zyprioten, die in guten Zeiten verdient und den Finanzsektor unendlich aufgebläht haben, lösen ihre Probleme jetzt selbst.

Damit sind wir beim Kern: Nicht "Bail -out" ist gefragt, das Aus-der-Klemme-Helfen der Gläubiger und Investoren durch den Steuerzahler, sondern "Bail-in", die Beteiligung der Gläubiger und Investoren an den Kosten des Krisenmanagements - so wie man das von Insolvenzfällen kennt. Noch konkreter: Im Fall Zypern muss erstmals auch die Insolvenz eines Staates ernsthaft erwogen werden.

Solidarität braucht Grenzen

Darum geht es, nicht um das Wohl und Wehe der Zyprioten, die Anspruch haben auf europäische Solidarität wie Griechen und Spanier auch. Stattdessen lautet die Entscheidung, stark verkürzt: Zahlen die (auch deutschen) Steuerzahler, oder zahlen zum Beispiel die russischen Oligarchen? Die Antwort sollte nicht schwer fallen, nicht einmal mit Blick auf die allgemeinen Folgen einer solchen harten Entscheidung.

Die Gefahren fürs Weltfinanzsystem sind zu groß. So argumentieren die Fachleute, die Notenbanker und auch viele politische Beobachter und plädieren für Hilfe, je nach Gusto garniert mit der Forderung nach mehr oder weniger grundsätzlichen Reformen in Zypern. Der vorauseilende Gehorsam gegenüber den Märkten ist ärgerlich. Diese sind durchaus in der Lage zu erkennen, dass die Ansteckungsgefahr beherrschbar ist.

Die mit Abstand größten Außenstände in Zypern haben griechische Banken, deren Probleme man in Griechenland lösen kann, wo Europa ja schon engagiert ist. Andere Investoren, so auch die deutschen Banken, haben ihr Engagement deutlich zurückgefahren. Wir befinden uns eben nicht mehr im Jahr eins nach dem Lehman-Schock, nicht mehr in der Startphase der Verschuldungskrise. Die Welt wird einen Zypern-Schock verkraften.

Gerettet werden, so war es immer zu hören, systemrelevante Banken und Staaten. Zypern ist nicht systemrelevant.

Marc Beise

Summa summarum zur Eurokrise, Keine Hilfen für Zypern! (Video: Süddeutsche.de, Foto: dpa)
© SZ vom 12.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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