Handelsverträge:Nimmt die EU Nachhaltigkeit nicht ernst genug?

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Waldbrand in Brasilien: Kritiker fürchten, dass der Handelsvertrag der EU mit Südamerika zu mehr Brandrodungen führt. (Foto: Myke Sena/dpa)

Brüssel will der Industrie mit Handelsverträgen neue Märkte eröffnen. Risiken für Umwelt und Klima würden dabei berücksichtigt, heißt es bislang. Doch eine Studie weckt Zweifel.

Von Björn Finke, Brüssel

Handelspolitik ist einer der mächtigsten Aufgabenbereiche der EU-Kommission - und einer der umstrittensten: Die Brüsseler Behörde handelt im Namen der 27 Mitgliedstaaten Abkommen mit anderen Ländern aus, die Zölle und Exportbürokratie abbauen. Dies beschert Europas Industrie besseren Zugang zu anderen Märkten und den Verbrauchern mehr Auswahl und niedrigere Preise. Kritiker warnen aber davor, dass mehr Freihandel auch Umwelt und Klima oder benachteiligten Gruppen wie Indigenen schaden kann. Die Kommission versucht, diese Bedenken aufzugreifen: jedoch auf unzureichende und irreführende Weise, wie Autoren einer umfassenden Studie nun klagen.

So lässt die Behörde von Fachleuten sogenannte Nachhaltigkeits-Folgenabschätzungen für geplante Handelsverträge vornehmen. Diese Untersuchungen stellen Prognosen zum wirtschaftlichen Nutzen eines Abkommens und Vorhersagen zu den ökologischen und sozialen Risiken einander gegenüber. Die Ergebnisse sollen dann die Verhandlungen über die Abkommen beeinflussen. Die Umweltgruppe Greenpeace Deutschland und der Pariser Thinktank Institut Veblen haben jetzt alle 31 Folgenabschätzungen analysiert, die von der Kommission bislang veröffentlicht wurden. Und das Duo zieht eine desaströse Bilanz: Die Untersuchungen sind demnach "fehlerhaft" und dienten bloß "als Feigenblatt für ökologisch, sozial und wirtschaftlich schädliche Handelsverträge".

Der Bericht von Greenpeace und Institut Veblen wird an diesem Mittwoch präsentiert, er liegt der SZ vorab vor. Die Studie bemängelt unter anderem, dass die Folgenabschätzungen oft nicht zum Start der Verhandlungen, sondern erst zwei bis vier Jahre später veröffentlicht werden.

Beim umstrittenen Handelsabkommen mit dem südamerikanischen Wirtschaftsblock Mercosur publizierte die Kommission die Untersuchung sogar erst nach Abschluss der Gespräche - eine Verspätung, die zuvor bereits die EU-Ombudsfrau Emily O'Reilly kritisiert hat. Der Europäische Rechnungshof hatte ebenfalls schon früher gemahnt, solche Verspätungen abzustellen.

"Oberflächlich und spekulativ" seien die Prognosen

Daneben wirft der Greenpeace-Report der Kommission vor, dass die Folgenabschätzungen häufig unter einer "ideologischen Pro-Freihandels-Voreingenommenheit, fehlerhafter Methodik und zu wenig ernsthafter öffentlicher Beteiligung" litten. Die Kommissions-Studien ignorierten zum Beispiel bei der Bewertung der Klimafolgen, dass mehr Handel zu mehr Kohlendioxidausstoß durch Frachtschiffe führe, heißt es. Wie sich Rodungen auf den Treibhauseffekt auswirken, spiele gleichfalls keine Rolle. Zudem seien die Prognosen zu Artenschutz und Menschenrechten oft "oberflächlich und spekulativ".

Der Streit um Sinn und Unsinn von Handelsverträgen könnte sich demnächst noch verschärfen. So wird erwartet, dass die Kommission in diesem oder spätestens im kommenden Jahr die Verhandlungen mit Chile, Neuseeland und Australien abschließt. Zudem könnte die Ratifizierung des Abkommens beginnen, das die Behörde mit Mexiko ausgehandelt hat. Die Kommission versucht auch weiterhin, den Mercosur-Handelsvertrag zu retten, den viele EU-Regierungen wegen Klimaschutz-Bedenken im Moment nicht unterzeichnen wollen.

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