EU-Gipfel in Brüssel:Sechs Milliarden Euro gegen die Jugendarbeitslosigkeit

People shout slogans during gathering marking one year anniversary of Spain's Indignados movement in Madrid

Proteste in der spanischen Hauptstadt Madrid

(Foto: REUTERS)

5,6 Millionen junge Menschen in der EU haben keinen Job. Deswegen beraten die Staats- und Regierungschefs heute hinter Stacheldraht über Maßnahmen gegen Jugendarbeitslosigkeit. Doch was bringt die diskutierte Jobgarantie? Kommt sie noch rechtzeitig? Oder versickert sie?

Von Javier Cáceres und Cerstin Gammelin

Am Mittwoch sind die Stacheldrähte da. Jedes Mal, wenn sich die Staats- und Regierungschefs der 27 europäischen Länder in Brüssel treffen, verwandeln sie das Europa-Viertel in eine umzäunte Trutzburg mit Einlass-Schleusen. Durchlässig für Träger von Sonderausweisen: Chefs, Diplomaten, Beamte, Journalisten. Die Welt ist aufgeteilt. Hinter den Stacheldrähten sind die Staats- und Regierungschefs, davor die Bürger. Ist doch seltsam: Die Chefs wollen das Wohl der Bürger, müssen sich aber von ihnen abschotten.

Ums Bürgerwohl soll es ja wieder gehen, wenn an diesem Donnerstagnachmittag die Limousinen in Brüssel vorfahren. Die Chefs werden aussteigen und den hinter Gittern zusammengepferchten Journalisten wohlklingende Sätze zuwerfen. Ihnen Wohltaten für die Bürger versprechen, zumindest für jenen Teil, der sich im wachsenden Hoheitsgebiet der Europäischen Union befindet, aber darüber vielleicht nicht unbedingt glücklich ist, weil er gerade keine Arbeit hat. Täglich werden es mehr.

In der EU leben insgesamt 500 Millionen Menschen, davon 241 Millionen im erwerbsfähigen Alter. Elf Prozent von denen haben keine Arbeit, also rund 26 Millionen. Von den Jugendlichen unter 25 Jahren haben in 20 von 27 Ländern ein Viertel weder Ausbildung noch Job. In Griechenland stehen 59 Prozent, in Spanien 55 Prozent, in Kroatien 52 Prozent der jungen Menschen auf der Straße. Viele von ihnen sind Familienväter oder -mütter.

Fast könnte man meinen, dass sich die Chefs in Brüssel deshalb abschotten, weil sie ihnen gegenüber ein schlechtes Gewissen haben. Einen Grund dafür gäbe es auch. Sie wollen zwar auf dem EU-Gipfel beschließen, sechs Milliarden Euro auszugeben, um die Jugendlichen in Arbeit und Ausbildung zu schicken. Aber wer sich auf Spurensuche begibt, der lernt rasch, dass die Hilfe im besten Fall zu spät kommt - und schlimmstenfalls versickert.

Brüssel, Berlaymont, Sitz der Europäischen Kommission: In einem Raum, der nach Robert Schuman, dem Urvater der europäischen Integrationsidee benannt ist, kann man einiges lernen. Ein hochrangiger Beamter der Kommission sinniert über die Top-Nachricht, die von den Chefs auf dem Gipfel verkauft werden soll. Die famose Jobidee: Jobs und Ausbildung für Junge, die ihre Ausbildung beendet und keinen Job finden oder ihre Arbeit verloren haben, finanziert mit sechs Milliarden Euro aus dem Haushalt der EU. Der Mann sagt, dass die Idee dazu "sechs oder sieben Jahre alt ist". Sechs oder sieben Jahre, in denen jeden Tag ein paar mehr junge Menschen arbeitslos geworden sind. Er sagt auch, dass diese Garantie nur etwas taugt, wenn man sie als das versteht, was sie ist: "Ein Symbol."

Helfen die sechs Milliarden überhaupt?

Anruf bei Ekkehard Ernst, dem Chefökonomen der ILO in Genf. Seine Organisation hatte Jobgarantien gefordert. Vor zwei Jahren. Er sagt: "Die letzten beiden Jahre sind umsonst gewesen." Nicht, dass die Jobgarantie der Weisheit letzter Schluss wäre. Weil es natürlich darum gehen müsse, eine Nachfrage an Arbeitsplätzen zu schaffen. Jobgarantien, "das reicht nicht". Aber in der gegenwärtigen Lage seien sie notwendig. Um Zeit zu gewinnen. Um die jungen Leute von der Straße zu holen. Und weil es ja Beispiele gebe, aus den skandinavischen Ländern und aus Österreich, die zeigten, dass die Maßnahmen fruchteten. Die jungen Menschen, die dort eine Jobgarantie hatten, kamen "wesentlich schneller an nicht subventionierte Arbeitsplätze".

Madrid, Regierungspalast Moncloa: Es ist ein bemerkenswertes Treffen, das gerade stattfindet. Der konservative Premier Mariano Rajoy empfängt die Chefs der beiden größten Gewerkschaften, zu Beginn seiner Amtszeit hatte er sie noch ignoriert. Cándido Méndez, Chef der Gewerkschaft UGT, sagt hinterher erstaunt, Rajoy sei "in eine Position des Widerstands" gewechselt. Das Wort "endlich" fällt nicht. Aber Méndez klingt so. Rajoy selbst fordert in einem Kommuniqué, dass Brüssel die sechs Milliarden Euro zügig und bevorzugt auszahlen soll. Was die Spanier nicht wissen können: Die 27 Chefs haben dies längst vereinbart, nachzulesen im Entwurf der Abschlusserklärung, der offiziell noch geheim ist - weil die Chefs am Freitag ihren Erfolg selbst verkünden wollen. Auch Rajoy will sagen können, seine Forderung wurde erfüllt.

Anruf bei Carlos Martín, Ökonom der Gewerkschaft CCOO: Helfen die sechs Milliarden, helfen die Jobgarantien überhaupt? Martín spricht von einer verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit. Es sei ja richtig, dass mehr als 50 Prozent der Jugendlichen in Spanien als arbeitslos gelten. Schlimm genug. Aber: Diese 50 Prozent beziehen sich nur auf jene, die im Arbeitsmarkt sind. 80 Prozent der Jugendlichen seien in der Ausbildung, arbeitslos seien mithin nur 10 Prozent aller Jungen. Das eigentliche Drama Spaniens sei anders gelagert: In Spanien sind insgesamt sechs Millionen Menschen arbeitslos. Und das wirkliche Problem liege bei jenen, die zu Zeiten des Immobilienbooms die Schule abbrachen und dann auf dem Bau arbeiteten - und jetzt nicht mehr jung sind. Jedenfalls nicht im Sinne der Sechs-Milliarden-Jobgarantie. "Unsere Regierung hat die Besonderheiten Spaniens in Brüssel nicht richtig erklärt." Aber trotzdem bekommt Spanien nun das meiste Geld von allen Ländern. Martíns böse Ahnung: "Irgendwann werden die Europäer wieder kommen und sagen: Die Spanier geben das Geld ohne Verstand aus."

Brüssel, Ratsgebäude. Ein karges Büro, in dem die Ahnung zurückkommt, warum die Chefs ein schlechtes Gewissen haben könnten. Ein hoher Diplomat, der anonym bleiben will, bestätigt, dass Spanien eine Milliarde Euro von den insgesamt sechs Milliarden Euro bekommt - unter der Bedingung, dass Madrid es für Jugendliche ausgibt. "Aber sie hassen Bedingungen, sie sagen, dass sie selbst am besten wissen, was zu tun ist." Das sei ein Problem. Er spricht auch aus, was die Chefs vermutlich verschweigen werden am Donnerstag. Dass es nur dauerhaft Jobs geben kann, wenn Unternehmer investieren. Und dass sie nur kommen, wenn das Vertrauen in den Standort Europa da ist. Aber das Vertrauen ist nicht zurückgekehrt. Vor allem, weil Europas Banken noch immer so krank sind wie 2008. "Von Finanzstabilität kann keine Rede sein", sagt er.

Brüssel, Büro der Europäischen Investitionsbank EIB im Europa-Viertel. Ein Experte, der keinesfalls genannt werden will, sagt: Unternehmen, die Jugendliche ausbilden oder in Arbeit halten, sollen zu günstigen Konditionen Kredite erhalten. In welchen Berufen sollen aber nun Jugendliche in Griechenland, Süditalien oder Spanien ausgebildet werden? Schulterzucken. Das müssen die Mitgliedsstaaten entscheiden. In Ländern, die keine industrielle Basis haben, kann es Trainingsprogramme für grüne Sektoren geben. Oder für Gesundheit, Pflege und Tourismus. Oder es werden Schulabschlüsse finanziert.

Brüssel, Berlaymont. Johannes Hahn, der für Regionalfonds zuständige Kommissar, empfängt zu einem Kaffee.Das mit der Arbeitslosigkeit ist lange bekannt: "Jeder, der wachen Auges durch das Land geht, konnte es sehen." Sicher wurden auch Gelder aus den Fördertöpfen zweckentfremdet eingesetzt, einige Regierungen hätten diese eher als "europäischen Finanzausgleich" betrachtet. Damit aber keine Autobahnen mehr gebaut werden, verlange er jetzt von den Regierungen vorab genaue Projekte. Die will er kontrollieren. Das gefällt denen? "Die Krise hat mir geholfen, dieses Konzept durchzusetzen." Erst kürzlich habe er Griechen erklärt, dass nicht im Abstand von 40 Kilometern zwei Häfen gebaut werden sollten.

Büro der Deutschen Außenhandelskammer Brüssel. Athanasios Syrianos, Diplomkaufmann, Vizepräsident der Deutsch-Griechischen Handelskammer und Chef einer Brauerei, sitzt in einem Besprechungszimmer und sagt, dass in Griechenland "die Lage besser ist als die Stimmung". Aber eigentlich erzählt er Haarsträubendes. 45 Minuten lang. Dass die Handelskammer in den vergangenen Monaten mal versucht habe, europäische Fördergelder zu vermitteln. Und nicht einen Interessenten gefunden habe. In seinem 100-Mann-Betrieb seien technische Berufe vorherrschend, die Jugendlichen aber "würden lieber im Büro sitzen", und zwar in Athen, nicht bei ihm in der Nähe von Delphi. Syrianos spricht davon, dass das gesellschaftliche Ansehen von Ausbildungsberufen akademischen Graden hinterherhinkt. Auch in Griechenland gibt es Impulse, das Duale Ausbildungssystem zu kopieren. Aber das sagt sich so leicht: Oft sind Betriebe ja so klein, dass man gar keine Berufsschulklassen füllen würde, selbst wenn man wollte. Das eigentliche Problem sei ohnehin ein anderes. Es gebe im Moment für griechische Betriebe "null" Finanzierungsmöglichkeiten. Doch um die Arbeitslosigkeit zu beseitigen, das Land zukunftsfähig zu machen, brauche man den Impuls der Privatwirtschaft. Das heißt: Investitionen. "Es muss Geld fließen", sagt er. Denn: "Wie lange meinen Sie, dauert es, bis ein griechischer Betrieb, der sich zu Zinsen von zehn oder mehr Prozent finanzieren muss, von einem Marktrivalen geschluckt wird, der Kredite zu drei Prozent erhält?"

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