Süddeutsche Zeitung

EU-Gipfel in Brüssel:Wie die EU den Euro retten will

Nie wieder solch eine Krise wie in Griechenland, nie wieder Sorgen um den Euro: Auf dem Gipfel in Brüssel wollen die 27 Staatschefs ein Programm entwickeln, um die Währung zu retten. Es geht um mehr Absprache, mehr Kontrolle und mehr Milliarden für Krisen. Doch ausgerechnet ein persönliches Projekt von Kanzlerin Angela Merkel ist heftig umstritten.

Cerstin Gammelin, Brüssel

Bundeskanzlerin Angela Merkel scheute sich nicht, alles auf eine Karte zu setzen. "Alles oder nichts" werde auf dem nächsten EU-Gipfel beschlossen, kündigte sie Ende März in Brüssel an, nach dem letzten Treffen mit ihren 26 Kollegen. Da hatten sich die Staats- und Regierungschefs gerade mühsam auf Eckpunkte eines riesigen Reformpaketes geeinigt, mit dessen Instrumenten sie die EU krisensicher machen - und klamme Partner notfalls retten wollen. Das Paket sei die umfassende Antwort der Europäer auf die Wirtschafts- und Schuldenkrise, sagte Merkel.

Alles oder nichts, das klang damals schon riskant. Binnen dreier Monate sollten sich die 27 europäischen Länder auf eine Art Wirtschaftsregierung, auf schärfere Regeln zur Überwachung der Haushalte einigen, auf striktere Sanktionen für Sünder sowie auf die Ausstattung der Euro-Rettungsfonds. Und quasi so nebenbei standen sie vor der Aufgabe, eine Änderung des EU-Vertrages auszuformulieren, ohne die kein Rettungsfonds beschlossen werden konnte. Jede einzelne Maßnahme sei mit den anderen verknüpft, argumentierte Merkel. Folglich könne nichts allein, sondern nur alles gemeinsam beschlossen werden.

Kurz vor dem Stichtag bemühen sich die Beteiligten um Zuversicht. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble kündigte nach Beratungen der Ressortkollegen in Luxemburg an, man habe einige Hindernisse auf dem Weg zum Gipfel-Paket ausräumen können. Die wichtigsten Beschlüsse seien unter Dach und Fach, da könnten die Staats- und Regierungschefs am Donnerstag in Brüssel ihre endgültigen Entscheidungen treffen, sagte Schäuble zufrieden. "Es war ein guter Tag, wir haben eine Menge auf den Weg gebracht."

Schärfere Sanktionen und bessere Kooperation

Dazu gehört die neue wirtschaftspolitische Steuerung. Hinter dem bürokratischen Begriff verbirgt sich zum einen die Reform des Stabilitätspaktes mit schärferen Sanktionen und zum anderen eine Art Anreizverfahren, um die Länder zum soliden Wirtschaften und zu besserer Kooperation zu motivieren. Insgesamt soll die Wirtschaftspolitik der europäischen Länder strenger beaufsichtigt und Gefahren rechtzeitig gegengesteuert werden.

Die Reform wird mittlerweile gern als "EU-Six-Pack" bezeichnet, weil die Europäische Kommission sie in sechs Gesetzgebungsvorschläge verpackt hat. Beschlossen sind die allerdings noch nicht, sie stecken im Europäischen Parlament fest - und da werden sie auch während des Gipfels bleiben, weil die Volksvertreter bis dahin nicht verbindlich darüber abstimmen werden. Und sie fordern energisch Nachbesserungen. Udo Bullmann, Finanzexperte der SPD im EU-Parlament, sagte der Süddeutschen Zeitung, seine Fraktion stimme dem Six-Pack nur zu, wenn auch ein "Paket für mehr Wachstum" geschnürt werde.

Der Finanzexperte der Grünen, Sven Giegold, macht die Zustimmung davon abhängig, dass die EU-Kommission ernsthaft die Einführung gemeinschaftlich garantierter Anleihen der Euro-Länder prüft. Die größte Fraktion wiederum, die Europäischen Volksparteien, zu denen CDU und CSU gehören, pocht darauf, dass Haushaltssünder künftig automatisch sanktioniert werden - was die Regierungen, vor allem Frankreich, ablehnen.

Umstritten ist auch der von Merkel persönlich initiierte Euro-Plus-Pakt. Schäuble zufolge ist das Papier, das eine Menge allgemeiner Verpflichtungen der 27 Länder zur engeren Kooperation enthält, "unter Dach und Fach". Hohe EU-Beamte in Brüssel beklagen dagegen, dass erst 19 der 24 Länder, die bei dem Pakt mitmachen wollen, konkrete Reformen angekündigt haben. Und, noch schlimmer, ein großer Teil davon seien Vorschläge, die seit Jahren auf dem Tisch liegen. "Heilige Kühe" packe keine Regierung, heißt es. Auch Deutschlands Ideen seien "wenig ambitioniert".

Pikiert zeigen sich zudem einige Regierungen über die Berichte der EU-Kommission, in denen sie die Wirtschafts- und Finanzpolitik der 27 Länder beurteilt. Dass die Behörde Hausaufgaben aufgebe, ohne diese vorher abzustimmen, sei nicht hinnehmbar, klagte die ungarische Regierung in einem Brief nach Brüssel. Dabei waren es die 27 Regierungen selbst, die als Reaktion auf die Krise beschlossen hatten, die EU-Kommission mit der Prüfung der Haushaltspläne - und Hinweisen zu deren Verbesserung - zu beauftragen.

780 Milliarden gegen die Krise

Einig sind sich die Regierungen über die Euro-Rettungsfonds, die klamme Partner notfalls vor dem Bankrott bewahren sollen. Sie beschlossen, die Garantien der Euro-Länder am bestehenden befristeten Rettungsfonds EFSF von bisher 440 Milliarden Euro auf 780 Milliarden Euro zu erhöhen. Das ist nötig, um die kompletten 440 Milliarden Euro als Kredite ausgeben zu können und die beste Bonität (TripleA) zu sichern. Diese sichert niedrige Risikoaufschläge. Bisher konnten von den 440 Milliarden Euro nur 250 Milliarden Euro als Kredite vergeben werden. Da weitere Hilfen für Athen aus dem EFSF finanziert werden sollen, muss er aufgestockt werden.

Der befristete Fonds soll am 1. Juli 2013 von einem permanenten Fonds ESM abgelöst werden. Neu ist, dass er ein Stammkapital von 80 Milliarden Euro haben wird, weitere 620 Milliarden Euro abrufbar bereitliegen. Die nationalen Parlamente müssen dem ESM noch zustimmen. Auf der letzten Sitzung in der Sommerpause will das Kabinett einen Beschluss darüber fassen, danach wird er im Herbst im Bundestag debattiert.

Die 27 EU-Chefs hängen also in entscheidenden Punkten noch von der Zustimmung der Parlamente ab. Und weil die Volksvertreter erst nach dem Gipfel abstimmen werden, wird das Merkel'sche Alles-oder-Nichts-Versprechen auf dem an diesem Donnerstag beginnenden EU-Gipfel nicht eingelöst werden. Die europäischen Regierungen können die Instrumente vielleicht in das Riesenpaket packen; aber zuschnüren können sie das Paket nicht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1111365
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 22.06.2011/lom
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.