Finanzpaket und Firewall, Rettungstopf und Sparpaket - die Bürger Belgiens haben genug von der Krise. An diesem Montag wollen sie ihren Missmut öffentlich und nachdrücklich kundtun. Wenn die Staats- und Regierungschefs der 27 europäischen Länder den absehbaren Gipfel-Marathon des Jahres 2012 eröffnen, um wie schon so oft in den vergangenen zwei Jahren Wege aus der Krise zu suchen, werden die Belgier ihre Kapitale zu einer Geisterstadt machen.
Die Bürger Belgiens haben genug von der Krise: Streikende blockieren die Zufahrt zu Brüssels südlichem Flughafen Charleroi am frühen Montagmorgen.
(Foto: AFP)Die Gewerkschaften haben zum Generalstreik aufgerufen, um gegen das Sparprogramm der Brüsseler Regierung zu protestieren. Und alle wollen mitmachen: Der Flughafen ist gesperrt, Busse und Bahnen fahren nicht, Krankenhäuser arbeiten im Notdienst, Restaurants sind geschlossen. Alle, die zum Gipfel wollen oder müssen, wurden vorab gewarnt: Das Ratsgebäude sei nur eingeschränkt bewacht. Man empfiehlt, eine Notration Essen und Trinken mitzubringen; es sei unsicher, ob Wasser und ein paar Sandwiches organisiert werden könnten. Und: Wer pünktlich da sein wolle, müsse rechtzeitig loslaufen oder das Rad nehmen. Brüssel ist im Ausnahmezustand.
Dazu passt, dass das eigentlich große Thema des Gipfels, konkrete Maßnahmen für Wachstum und Beschäftigung zu beschließen, schon vorab ins Abseits geraten ist. Der für Struktur- und Regionalfonds zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn beschied den Wunsch einiger Regierungschefs abschlägig, auf dem Gipfel einen Wachstumsfonds für kriselnde Länder einzurichten. Dafür sei kein Geld mehr da, sagte Hahn. Kommissionspräsident José Manuel Barroso will nun am Montagnachmittag einen anderen Plan präsentieren. Er schlägt vor, vorhandenes, aber schon versprochenes Geld neu zu verteilen - oder, wie es europäische Bürokraten formulieren: zu re-programmieren. Das heißt, Geld, das beispielsweise verwendet werden sollte, um eine Straße zu bauen, soll jetzt in Ausbildungsprogramme gesteckt werden. Lehrstellen statt Infrastruktur.
23 Millionen Menschen sind in Europa ohne Arbeit
Damit das klappt, müssen die Empfängerländer freilich zustimmen; die Verhandlungen dazu laufen. In Spanien sollen insgesamt 10,7 Milliarden Euro re-programmiert werden (acht Milliarden aus dem Strukturfonds und der Rest aus dem EU-Sozialfonds). In Italien wurden knapp acht Milliarden Euro entdeckt, die umgeschichtet werden könnten; davon stammen knapp zwei Drittel aus dem Sozialfonds, der Rest aus dem Strukturfonds. Und in Griechenland sind es immerhin noch 4,3 Milliarden Euro, die gebündelt für konkrete Wachstums- und Beschäftigungsprogramme eingesetzt werden könnten.
Aus dem Entwurf der Gipfelerklärung geht zudem hervor, dass alle Länder grüne Industriezweige fördern und ihre Arbeitsmärkte reformieren sollen: also die Arbeitskosten an die Produktivität anpassen und die Steuern auf Arbeit verringern. Der Entwurf liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Richtig konkret werden die Ideen jedoch nicht. Jede Regierung soll ein "Nationales Reformprogramm" vorlegen, heißt es lediglich. Alle jungen Menschen sollten spätestens vier Monate, nachdem sie die Schule verlassen haben, ein qualifiziertes Angebot für eine Ausbildung oder einen Job bekommen, Schulabgänger ohne Abschluss weitergebildet werden. Derzeit seien 23 Millionen Menschen in Europa ohne Arbeit, heißt es in der Erklärung. Wenn es nicht gelinge, das Wachstum zu fördern, "wird das so bleiben".
Die europäischen Staats- und Regierungschefs hoffen vor allem auf den Mittelstand. Er sei "der Schlüssel" für mehr Beschäftigung. Um die Gefahr zu bannen, dass die Unternehmen wegen der Finanzkrise kaum neue Kredite für ihre Produktion bekommen, soll die Europäische Investitionsbank (EIB) mehr Mittel zur Verfügung stellen. Damit die Bank das überhaupt kann, muss allerdings deren Eigenkapital erhöht werden. Eine Summe wird nicht genannt. Die EIB soll zudem genutzt werden, um neue Finanzierungswege für große Projekte wie beispielsweise den Bau grenzüberschreitender Netze zu erschließen. Dazu zählt die Ausgabe sogenannter Projekt-Anleihen.