Energiekrise:EU will gemeinsamen Gaseinkauf erzwingen

Energiekrise: Bauarbeiten am Anleger des geplanten Flüssigerdgas-Terminals in Wilhelmshaven: Die EU will den knappen Rohstoff gemeinsam ordern.

Bauarbeiten am Anleger des geplanten Flüssigerdgas-Terminals in Wilhelmshaven: Die EU will den knappen Rohstoff gemeinsam ordern.

(Foto: Sina Schuldt/dpa)

Die EU-Kommission wird ein entsprechendes Gesetz vorschlagen. Mitgliedstaaten sollen sich nicht mehr länger überbieten in Verhandlungen mit Förderländern. Außerdem will Brüssel eine Art Preisdeckel für wenige Monate erlassen.

Von Björn Finke, Brüssel

Die EU-Staaten sollen künftig verpflichtet werden, einen Teil des Gases für ihre Gasspeicher gemeinsam zu ordern, auf einer Einkaufsplattform der EU-Kommission. Einen entsprechenden Gesetzentwurf wird die Brüsseler Behörde wohl schon an diesem Dienstag präsentieren, zusammen mit anderen Initiativen, die darauf abzielen, die hohen Preise zu senken. Dazu gehört etwa eine Preisobergrenze auf einem wichtigen Gas-Handelsplatz. Dies geht aus einer neunseitigen Kommissions-Mitteilung hervor, einem einordnenden Begleittext zu den Gesetzentwürfen, dessen Entwurf der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Über die Vorschläge sollen die 27 Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel Ende der Woche diskutieren. Noch im November könnten die EU-Energieminister die Rechtsakte verabschieden.

Der gemeinsame Gaseinkauf soll die Nachfragemacht der EU-Mitglieder bündeln, wenn diese 2023 und 2024 den Rohstoff kaufen, um die Speicher vor der Heizsaison wieder aufzufüllen. Die Staaten sollen so in Verhandlungen mit Förderländern bessere Preise erzielen, anstatt sich gegenseitig zu überbieten. Nötig sind große Mengen: Ein kompletter Wegfall russischer Lieferungen würde dazu führen, dass jedes Jahr eine Lücke von bis zu 100 Milliarden Kubikmeter Gas geschlossen werden müsste, schätzt die Kommission.

Die Behörde hat bereits im April eine Einkaufsplattform für freiwillige Gemeinschaftsbestellungen gegründet, doch hier gab es bislang wenig Fortschritte. Daher will die Kommission Mitgliedstaaten nun per EU-Gesetz verpflichten, mindestens 15 Prozent des Volumens ihrer Gasspeicher mit Hilfe der Plattform zu füllen. Die Kommission würde - ähnlich wie bei der Beschaffung der Covid-Vakzine - Verträge mit Lieferanten aushandeln. Die finale Entscheidung, ob sie dieses Angebot annehmen oder ob es nicht attraktiv genug ist, träfen dann wieder die einzelnen Regierungen.

Dass nur mindestens 15 Prozent der Nachfrage gebündelt werden sollen und nicht mehr, liegt daran, dass es für einen Großteil der Gasspeicher-Volumina langlaufende Verträge gibt. Es geht darum, den Rest zu füllen und sich hier gute Preise zu sichern. Insgesamt existieren in der EU 160 Speicher im Untergrund von 18 Mitgliedstaaten. Auf Deutschland entfällt mehr als ein Fünftel der Gesamtkapazität. Die Bundesregierung hatte lange Zweifel geäußert, ob gemeinsame Order funktionieren, schwenkte zuletzt aber um und forderte, die Plattform zu stärken. Das geschieht jetzt.

Außerdem will die Kommission Europa besser für Notfälle vorbereiten. Die Behörde klagt, Regierungen hätten viel zu wenige Solidaritätsabkommen abgeschlossen. Mit diesen Vereinbarungen verpflichten sich Mitgliedstaaten zu gegenseitiger Hilfe, wenn beim Vertragspartner das Gas knapp wird. Die Kommission will nun einen Standardsatz an Regeln verabschieden, die gelten sollen, wenn kein Abkommen unterzeichnet wurde. Länder ohne Gas sollen sich darauf verlassen können, den Rohstoff von anderen EU-Staaten zu erhalten, "gegen eine faire Entschädigung", wie es in dem Kommissionsdokument heißt.

Ein Preisdeckel gegen Spekulanten

Die Behörde lässt auch einen neuen Gaspreis-Index entwickeln, der auf Flüssigerdgas, englisch als LNG abgekürzt, zugeschnitten ist. Bisher bestimmt der niederländische Index TTF Europas Gasmarkt, aber der hängt stark von Pipeline-Gas ab und bildet daher das Geschehen nicht mehr richtig ab - zum Nachteil der Verbraucher.

Das neue Preisbarometer soll im Frühjahr einsatzbereit sein, verspricht die Kommission. Bis dahin will die Behörde auf dem TTF-Handelsplatz übergangsweise eine "dynamische Preisgrenze" einziehen. Es soll also wenige Monate lang eine bewegliche Obergrenze für die Gasnotierung auf Europas wichtigstem Handelsplatz geben. Dies soll "extreme Schwankungen und Preissteigerungen" sowie Spekulation vermeiden helfen, heißt es in dem Papier aus Brüssel. Das Preisniveau allgemein zu drücken, wird hingegen nicht als Ziel genannt. Das spricht für eine hohe Obergrenze, Details bleibt das Dokument allerdings schuldig.

Viele EU-Regierungen haben einen Preisdeckel gefordert, doch Deutschland und die Niederlande warnen vor diesem Ansatz. Die Kritiker befürchten unter anderem, dass bei einem zu niedrigen Limit Förderländer ihre Tankschiffe mit Flüssigerdgas lieber woanders hinschicken.

Subventionen für Gaskraftwerke sind riskant

Manche Regierungen sprechen sich zudem dafür aus, EU-weit den Gaseinkauf der Gaskraftwerke zu subventionieren. Diese teuren Kraftwerke treiben den Strompreis hoch, weil der sich am Anbieter mit den höchsten Kosten orientiert. Den Gaseinkauf zu verbilligen, würde die Stromnotierung senken. Spanien und Portugal haben das Modell bereits umgesetzt, allerdings ist dort seitdem der Gasverbrauch der Kraftwerke gestiegen - eine unerwünschte Nebenwirkung. Die Kommission wird dieses Konzept zunächst nicht vorschlagen, wegen "einiger Risiken", wie es in dem Papier heißt.

Die Behörde verspricht aber, mit den Regierungen weiter an Instrumenten zu arbeiten, wie der Einfluss des Gaspreises auf die Stromnotierung begrenzt werden kann. Das Arbeitsprogramm der Kommission für 2023 sieht ohnehin vor, im dritten Quartal Vorschläge für eine Reform des Elektrizitätsmarkts zu unterbreiten.

EU-Gesetze könnten Windräder schneller genehmigen lassen

Daneben greift die Behörde eine Anregung der niederländischen und deutschen Regierung auf. Das Duo forderte vorige Woche in einem gemeinsamen Diskussionspapier, europaweit Genehmigungsverfahren und sonstige bürokratische Hürden für Ökostrom-Projekte oder die Wärmedämmung von Häusern zu schleifen. Dies soll dabei helfen, den Gasverbrauch rasch zu verringern.

In der EU durchlaufen gerade ohnehin Richtlinien zur Förderung von Ökostrom und Energieeffizienz das Gesetzgebungsverfahren, doch die beiden Regierungen klagten, diese Rechtsakte würden zu spät in Kraft treten. Daher sollten die EU-Regierungen den Bürokratieabbau mit Hilfe von Notfallgesetzen erzwingen, die schnell und ohne Beteiligung des Europaparlaments verabschiedet werden können. Die Kommission schreibt nun in ihrer Mitteilung, sie stehe in der Tat bereit, per Verordnung die Genehmigungsverfahren für "bestimmte Ökostrom-Projekte" in der EU zu vereinfachen und zu beschleunigen.

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