Am Montagabend kam der französischen Regierung der letzte gewichtige Verbündete abhanden. Das für Handel zuständige Bundeswirtschaftsministerium teilte der Europäischen Kommission fernmündlich mit, dass Deutschland seinen bisherigen Vorbehalt gegen das Mandat für die Verhandlungen eines Freihandelsabkommens der Europäer mit den Vereinigten Staaten zurückziehe.
An diesem Mittwoch werde die Zustimmung der Bundesregierung, und damit aller Ressorts, zu dem Verhandlungsmandat dem Ausschuss der Ständigen Vertreter in Brüssel mitgeteilt, sagte ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums der Süddeutschen Zeitung.
Zwei Tage später, am Freitag, sollen die 27 Länder dann das in den vergangenen Wochen erarbeitete Mandat für das geplante Freihandelsabkommen mit den USA unterzeichnen. Die Verhandlungen sollen im September beginnen und dürften sich einige Jahre hinziehen. Gelänge es den Unterhändlern der weltgrößten Wirtschaftsmächte, sich auf ein Freihandelsabkommen zu einigen, würde dies der Standard für alle Abkommen mit anderen Staaten. Zudem versprechen sich die USA und Europa einen Wachstumsschub von rund einem Prozent des Bruttosozialprodukts.
Ein Veto könnte diverse Kollateralschäden nach sich ziehen
Trotzdem ist nicht sicher, dass das Verhandlungsmandat am Freitag unterschrieben wird. Zwar sind sowohl Deutschland als auch Großbritannien dafür. Aber Paris ist dagegen. Und weil die Europäer sich selbst komplizierte Abstimmungsregeln auferlegt haben, können die Franzosen am Freitag auf dem Treffen der Handelsminister in Luxemburg ihr Veto einlegen, statt zu unterschreiben. Damit würden sie das Mandat verzögern.
Ein Veto könnte diverse Kollateralschäden in Europa und beim Handelspartner USA nach sich ziehen. Der britische Premier David Cameron, der zwei Tage nach dem Treffen der Handelsminister zum G-8-Gipfel nach Lough Erne bittet und dort mit US-Präsident Barack Obama das Mandat feiern möchte, ließ Frankreichs Präsident François Hollande am Montag indirekt mitteilen, er möge den Bogen nicht überspannen und endlich auf die Forderung verzichten, den Bereich "Audiovisuelles" in dem Mandat vorn vornherein aus den Verhandlungen auszuschließen.
Trotz des deutschen Schwenks und der britischen Forderung besteht die französische Regierung offiziell weiter darauf, dass das Verhandlungsmandat der Europäer explizit alles ausschließe, was mit Internet, Audiovisuellem, Filmen und kulturellen Besonderheiten zu tun habe. "Das ist der einzige Punkt, über den wir noch diskutieren", sagte ein französischer Unterhändler am Dienstag in Brüssel.
Die Franzosen beharren darauf, dass das Mandat von vornherein ausschließt, dass über Internetrechte, Filmquoten oder Anbieter geredet werde. Die Unterhändler der EU-Kommission, die offiziell die Verhandlungen für alle 27 Länder führen, argumentieren dagegen, dass Verhandeln immer "Geben und Nehmen" bedeute und dass ein Verhandlungsmandat allgemein gehalten werden müsse. "Wenn der andere alle Geheimnisse kennt, braucht man ja nicht mehr zu verhandeln, dann hat man gleich verloren."
Und schließlich verweisen sie auf die amerikanischen Konzerne Google, Apple, Youtube oder Netfix. Die modernen Informationstechnologien stellten neue Anforderungen an Urheberrechte, die Bezahlung der Leistungen sowie an die Kunden. Wenn Europa nicht darauf dringe, Regeln zu vereinbaren, "beherrschen die amerikanischen Konzerne bald den gesamten Markt", heißt es in Brüssel.
Drei "rote Linien"
Die Unterhändler der EU- Kommission haben sich in den vergangenen Tagen bemüht, den Bedenken, dass ein Freihandelsabkommen die kulturelle Vielfalt in Europa zerstören könne, gerecht zu werden. Statt über Audiovisuelles gar nicht erst zu sprechen, wie Frankreich es fordert, schlagen sie vor, drei "rote Linien" zu ziehen.
Die erste besagt, dass die ideelle Förderung von kulturellen Gütern, etwa durch gute Sendezeiten im TV, nicht betroffen sein soll. Zweitens bleibt jede staatliche oder regionale finanzielle Bezuschussung von Filmen, Musik oder Videos unangetastet. Und schließlich sollen die EU und ihre Mitgliedstaaten berechtigt bleiben, "Gesetze im digitalen Sektor zu erlassen".
Alles zusammen bedeutet, dass die Länder weiterhin Quoten für Filme oder für TV-Sendungen erlassen sowie die nationalen Branchen unterstützen dürfen. Im vergangenen Jahr gaben sie dafür drei Milliarden Euro aus, vor allem für Filmproduktionen in Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Spanien und Italien.
Bis Dienstagabend schlossen sich die meisten Länder der Verhandlungslinie an. Schließlich geht es neben dem Audiovisuellem auch um Regeln für See- und Lufttransporte, für landwirtschaftliche Produkte, die Autoindustrie, Chemieunternehmen und öffentliche Dienste. "Wir bleiben am Freitag so lange, bis Paris einlenkt", sagt ein Unterhändler. Das Mandat sei "zu wichtig, um es scheitern zu lassen".