Süddeutsche Zeitung

Finanzpolitik:Lindners Premiere in Brüssel

Der deutsche Finanzminister diskutiert bei seinem ersten Treffen mit den EU-Amtskollegen unter anderem über den Stabilitätspakt. Viele Staaten fordern Lockerungen, doch was will der FDP-Politiker?

Von Björn Finke, Brüssel

Bruno Le Maire ist schuld daran, dass Christian Lindner sich ein wenig gedulden muss. Der französische Finanzminister spricht bei seiner Ankunft am Ratsgebäude in Brüssel lange in die Mikrofone und Kameras der wartenden Journalisten, erst danach ist Lindner an der Reihe. Dafür grüßt ihn Le Maire freundlich - und auf Deutsch: "Hallo, Christian, wie geht's?" Lindner nahm am Montagnachmittag erstmals an der Euro-Gruppe teil, der Zusammenkunft der Finanzminister der Euro-Staaten. Am Dienstagmorgen steht dann das Treffen aller EU-Finanzminister an.

In der Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU gibt es viele Streitthemen - und der FDP-Politiker bekam bei der ersten Unterredung mit seinen Amtskollegen direkt eine hübsche Auswahl präsentiert. Die Spitzenpolitiker wollten sich unter anderem über Reformen des Stabilitätspakts austauschen, also der Regeln für solide Haushaltsführung, über das ebenso ehrgeizige wie zähe Projekt der Bankenunion - hier geht es um Hürden für grenzüberschreitende Bankgeschäfte - sowie über die Umsetzung der globalen Mindeststeuer.

Gerade beim Stabilitäts- und Wachstumspakt warten die Amtskollegen gespannt darauf, wie sich Lindner positionieren wird. Die EU-Kommission stieß im Oktober eine Reformdebatte an; bis Sommer will sie Vorschläge unterbreiten. Vom Austausch der Minister am Montag wurden keine Richtungsentscheidungen erwartet.

Frankreichs Finanzminister Le Maire und dessen italienischer Amtskollege werben für Lockerungen, Österreichs Finanzminister betonte in einem Interview am Montag erst wieder seinen Widerstand dagegen - und dass er auf die Unterstützung der deutschen Bundesregierung hoffe. In ihrem Wahlprogramm warnte Lindners FDP noch vor Lockerungsübungen bei dem Pakt. Doch im Koalitionsvertrag werden keine roten Linien eingezogen, sondern es wird eine "Weiterentwicklung" des Regelwerks angestrebt: Die Vorschriften sollen Wachstum und staatliche Investitionen in den Klimaschutz ermöglichen, ohne dass die Schuldenlast zu groß wird.

"Wir sind keine Träumer", sagt Lindner in Richtung von "Bruno"

Als Lindner am Brüsseler Ratsgebäude schließlich Le Maires Platz vor den Kameras einnehmen kann, betont er, dass er "offen" für Verbesserungen beim Regelwerk sei, aber nötig bleibe "eine kluge Balance" zwischen der Begrenzung von Staatsschulden und Impulsen für Investitionen: "Fiskalregeln sind entscheidend, um die Glaubwürdigkeit der Staaten gegenüber den Kapitalmärkten zu erhalten." Lindner befürchtet also, dass zu laxe Vorschriften und zu hohe Schulden das Vertrauen der Finanzmärkte in die Euro-Zone gefährden könnten - so wie in der Staatsschuldenkrise, als sogar ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone im Raum stand.

Wichtigste Vorgaben des Pakts sind die Obergrenzen für das jährliche Haushaltsdefizit von drei Prozent der Wirtschaftsleistung sowie die Zielmarke für die Gesamtverschuldung des Staats von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung. Wegen der Pandemie hat die Kommission die Vorschriften ausgesetzt. Anfang 2023 soll der Stabilitätspakt allerdings wieder in Kraft treten, und Prognosen zufolge werden in dem Jahr nur sieben von 19 Euro-Staaten die 60-Prozent-Marke einhalten können.

Allein diese Tatsache macht Reformen wahrscheinlich. Mit Blick auf seinen französischen Amtskollegen "Bruno" sagt Lindner, "wir beide sind realistische Politiker und keine Träumer". Die Frage beim Stabilitätspakt ist dann bloß, wo die Realität aufhört und das Träumen beginnt.

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