Studie:Europas grüne Wachstumsfirmen sollen leichter Geld bekommen

Lesezeit: 3 Min.

Ein Offshore-Windanlage vor der Küste der Bretagne. (Foto: Stephane Mahe/REUTERS)

Bei den sauberen Technologien steht die EU recht gut da. Wenn es da nicht ein Problem geben würde: Es fehlt an Kapital. Dabei könnte Europa relativ einfach mehr Geld in die Energie- und Klimawende lenken.

Von Jan Diesteldorf, Brüssel

Es gibt sie noch, die Innovationen, die zuerst in Europa zu bestaunen sind. 20 Kilometer vor der Küste der portugiesischen Stadt Viana do Castelo zum Beispiel. Dort schwimmen drei außergewöhnliche Plattformen in den Wellen des Atlantiks, darauf 210 Meter hohe Windturbinen, die größten, die je in dieser Art errichtet wurden. Oder in der Nordsee vor der niederländischen Küste, wo seit mehr als einem Jahr Solarpaneele auf hoher See in der Sonne glänzen und sauberen Strom an Land liefern. Solche Projekte veranschaulichen Europas grüne Zukunft, und sie zeigen, dass der alte Kontinent im Bereich der sauberen Technologien ziemlich gut dasteht.

Das ist die erfreuliche Nachricht. Die schlechte: Europas grüne Transformation geht nur langsam voran, noch dazu ist sie unterfinanziert. Es klafft eine Lücke zwischen dem, was an Kapital gebraucht wird, und den tatsächlichen Investitionen in Wachstumsfirmen. Dieses Problem haben sich die Staats- und Regierungschefs Europas vorgenommen, abzulesen an der wiederbelebten Diskussion um einen einheitlichen europäischen Kapitalmarkt. Und es steht weit oben auf der Agenda der neuen EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen, die Europas Wettbewerbsfähigkeit ins Zentrum ihres Programms stellt. Innovative europäische Unternehmen und Start-ups sollten nicht länger gezwungen sein, zur Finanzierung ihrer Expansion in die USA, nach Asien oder auf andere Märkte zu schauen, schreibt von der Leyen in ihren politischen Leitlinien. „Sie sollten das, was sie für ihr Wachstum benötigen, auch hier in Europa finden.“

Mit dieser Ansicht steht von der Leyen nicht allein da. Auch der frühere Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, diagnostizierte in seinem Bericht über die Wettbewerbsfähigkeit der EU: „Die sauberen Technologien in der EU stehen vor Hindernissen, wenn es um Expansion und Wettbewerbsfähigkeit geht.“ Ob im Bereich der erneuerbaren Energien, der Batterieherstellung, bei Wärmepumpen oder Elektrolyseuren zur Produktion von grünem Wasserstoff – bei alldem geht noch mehr, befindet Draghi – wenn die EU ihre Finanzierungsbedingungen verbessert.

Experten mahnen jetzt, keine Zeit zu verlieren – und legen neue Ideen vor, um die Finanzierungslücke für Wachstumsfirmen schneller zu schließen. Durch diese Lücke habe Europa bereits innovative Firmen verloren, heißt es in einem bislang unveröffentlichten Papier des Berliner Thinktanks Jacques Delors Centre. Die werden nämlich nicht nur im Zweifel von Investoren aus Übersee finanziert, sondern ziehen später auch eher weg. Sogenannten Scale-ups mehr Wachstumskapital im Inland bereitzustellen, sei „für den Wohlstand Europas unerlässlich“, resümiert Delors-Ökonom Sebastian Mack in dem Papier. Gemeint sind damit Firmen, die schon die Anfangsphasen hinter sich haben, schnell wachsen und für ihre weitere Expansion viel Geld von Investoren brauchen. Gerade Unternehmen in diesem Entwicklungsstadium fänden in Europa zu wenig Beteiligungskapital.

Die EU müsse ihre Förderpolitik ändern, um mit der Konkurrenz mithalten zu können

Erstens stellten große, professionelle Investoren – Pensionsfonds, Versicherungen und Fondsgesellschaften – in der EU zu wenig davon zur Verfügung. Zweitens seien Europas Kapitalmärkte nach wie vor zu fragmentiert. Und drittens werde öffentliches Geld nicht effizient genug eingesetzt. „Die Innovationsfinanzierung in Europa ist nach wie vor unzureichend, hängt stark von der öffentlichen Hand ab und lenkt privates Geld zu wenig in strategische grüne Sektoren“, sagt Mack. Um im Wettbewerb mit den USA und China zu bestehen, müsse die EU ihre Förderpolitik ändern.

Mit der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg und deren „European Investment Fund“ (EIF) verfügt die EU bereits über ein wirkmächtiges Instrument, das Geld in Beteiligungs-Fonds steckt. Das habe laut Mack geholfen, den Markt für Beteiligungskapital zu beleben. „Anstatt Venture-Capital-Firmen das Verteilen von Steuergeld zu überlassen, sollte der EIF seine Auflagen für nachhaltige Investitionen schärfen“, sagt er, „und dafür sorgen, dass Pensionsfonds und Versicherungen mehr Risikokapital bereitstellen.“

In der Studie macht er mehrere konkrete Vorschläge. Zunächst sollten institutionelle Investoren höhere Anreize bekommen, selbst in Beteiligungskapital zu investieren. Der EIF könne ihnen helfen, mehr eigenen Expertise aufzubauen. Zudem solle die Europäische Investitionsbank zunehmend direkt in Wachstumsfirmen investieren statt nur in Fonds. „Es wäre einfach, die EIB zum zentralen Investor in unterversorgte Cleantech-Scale-ups in der EU zu machen“, schreibt Mack. Durch höhere Kapazitäten für Direktinvestitionen „würde Europa dem Beispiel der USA und Chinas bei der Förderung innovativer Unternehmen folgen“.

Nicht zuletzt wird es auch darauf ankommen, die viel besungene Kapitalmarktunion zu verwirklichen, also die national geprägten Kapitalmärkte langfristig zu einem echten Binnenmarkt umzubauen. Unter anderem darüber wollen die EU-Staats- und Regierungschefs kommende Woche bei einem Gipfel in Budapest im Beisein von Draghi diskutieren – sofern sie dann, zwei Tage nach der US-Wahl, nicht komplett abgelenkt sind.

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