Süddeutsche Zeitung

EU:Ein Schnaps mehr oder weniger

Ein bizarrer Streit um selbstgebrannten Obstler blockiert ein neues Gesetz.

Von Björn Finke

Eine halbe Flasche Schnaps am Tag ist nicht viel. Besser noch ist eine ganze. Das meint zumindest die rumänische Regierung. Und wegen solch interessanter Ansichten geht es mit der überfälligen Reform der EU-Alkoholbesteuerung nicht voran. Brüssel gibt den Mitgliedstaaten hier Mindestsätze vor. Die Abgaben, die zusätzlich zur Mehrwertsteuer anfallen, machen Bier und Spirituosen teurer, damit die Bürger nicht zu oft über den Durst trinken. Die entsprechende Richtlinie aus dem Jahr 1992 müsste allerdings dringend überarbeitet werden. Die Kommission legte auch einen Vorschlag vor. Doch damit der Gesetz wird, müssen ihn die EU-Finanzminister einstimmig annehmen. Am Freitag sprachen die Politiker bei ihrem Treffen in Brüssel über die Causa, aber eine Verabschiedung scheiterte an einem hochprozentigen Randaspekt.

So hatte die rumänische Regierung gefordert, eine Klausel zum Schutz von Hobby-Schnapsbrennern in den Entwurf einzufügen. Staaten soll es demnach erlaubt sein, kleine Obstler-Destillerien von Alkoholsteuern zu befreien, wenn dort bloß für den Eigenbedarf produziert wird. Die Grenze zwischen Freizeit-Brennern und kommerziellen Fabrikanten wollten die Rumänen bei einem Jahresausstoß von 100 Litern reinen Alkohol ziehen.

Das ist üppig: Der beliebte rumänische Pflaumenschnaps Tuică zum Beispiel enthält meist nicht mehr als 40 Prozent Alkohol. Das Limit würde also bedeuten, dass jeder Bürger mindestens 250 Liter Tuică im Jahr brennen kann, ohne als abgabenpflichtiger Profi-Anbieter zu gelten. Das entspricht fast 360 Flaschen zu 0,7 Litern. Und das ist fast eine Flasche pro Tag für den Eigenbedarf oder als Geschenk für Freunde und Nachbarn - Schnapsbrennen ist in Rumänien offenbar ein sehr intensives Hobby. Andere Mitgliedstaaten und die Kommission hielten überhaupt nichts von dem Vorstoß; sie befürchten Betrug und Gefahren für die Gesundheit.

Die finnische Regierung, die gerade die Ratspräsidentschaft inne hat, wollte am Freitag über einen Kompromiss abstimmen lassen: mit der Klausel für Hobby-Brenner, doch einer niedrigeren Obergrenze von 50 Litern Alkohol im Jahr. Das reicht immer noch für fast 180 Flaschen Tuică, eine halbe pro Tag.

Rumäniens Vertreter sagte bei der Sitzung, er sei mit dem Vorschlag einverstanden. Jetzt sperrten sich allerdings Bulgarien und Tschechien: Die Regierungen sehen zu große Risiken in einer derart umfassenden Steuerbefreiung für Heimwerker-Destillerien. Deutschland und viele andere Staaten wollten den Kompromiss dagegen mittragen, sagten EU-Diplomaten. Aber die Meinung dieser Länder wurde gar nicht mehr abgefragt. Da die nötige Einstimmigkeit nicht mehr möglich war, verzichtete der Vorsitzende des Treffens, Finnlands liberaler Finanzminister Mika Lintilä, kurzerhand auf ein Votum.

Diese Blockade ist schlecht für Europas Brauereien. Bier mit niedrigem Alkoholgehalt genießt Steuervorteile, und die Richtlinie sieht vor, die Grenze anzuheben, bis zu der das Getränk als alkoholarm gilt. Das soll Anreize schaffen, mehr solcher Produkte auf den Markt zu bringen. Außerdem soll der Rechtsakt kleinen Brauern und Brennern das Leben erleichtern: Die Betriebe profitieren oft von Steuerprivilegien. Mit der Richtlinie würde ein einheitliches Zertifikat eingeführt, das diesen Mini-Anbietern EU-weit ihren Status und ihren Anspruch auf Vergünstigungen garantiert. Doch ohne Einigung bei den Regeln für Hobby-Brenner wird der Entwurf nie zum Gesetz.

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SZ vom 09.11.2019
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