Tratschen ist menschlich, und auch Politiker, Diplomaten und Beamte in Brüssel sind davor nicht gefeit. Neben dem European Green Deal und dem Streit über das EU-Budget hat dieses hartnäckiges Gerücht die Szene beschäftigt: Ist das Verhältnis zwischen Digitalkommissarin Margrethe Vestager und dem französischem Binnenmarktkommissar Thierry Breton wirklich so schlecht, wie behauptet wird? Die Pressekonferenz, bei der die beiden am Mittwoch die künftige Digitalstrategie der EU-Kommission vorstellten, machte zumindest klar, wie unterschiedlich die beiden Schwergewichte im Kabinett von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf ihr gemeinsames Thema blicken.
Vestager, der als Vizepräsidentin der EU-Kommission die Aufgabe zufällt, die großen Linien der neuen Strategie aufzuzeigen, stellte in ihrem Vortrag vor allem die Chancen in den Mittelpunkt, die die Digitalisierung den Menschen bringen kann: es gehe darum, "Vertrauen zu schaffen, nicht Ängste zu schüren", sagte sie. Technologie solle dem Bürger dienen, nicht anders herum, und außerdem könne die Digitalisierung dabei helfen, die Ziele des Grünen Deals zu erreichen, mit dem eine ökologische Wende der Industriegesellschaft eingeleitet werden soll. "Es geht mir nicht darum, dass Europa mehr wie China oder wie die USA sein soll", betonte sie. "Ich will, dass Europa mehr wie Europa ist."
Breton dagegen, der als "einfacher" Kommissar erst danach sprechen durfte, dankte Vestager zu Beginn für ihre "sehr vollständige Präsentation", um dann die, nun ja, ganz schweren Geschütze aufzufahren: Man habe die "erste Schlacht" um die persönlichen Daten verloren, aber die "Schlacht um die industriellen Daten" beginne erst jetzt, und Europa werde dabei "das wichtigste Schlachtfeld" sein.
"Je mehr Daten wir haben, desto klüger werden unsere Algorithmen"
Zwischen diesen beiden Linien bewegen sich nicht nur die beiden Kommissare, sondern auch die Inhalte der neuen Digitalstrategie, deren Bestandteile in den vergangenen Wochen bereits bekannt geworden waren: Innovationen fördern und erleichterter Datenaustausch auf der einen Seite, Schutz vor gefährlichen Anwendungen und strengere Regeln für Plattformen auf der anderen Seite. Konkrete Gesetze schlug die EU-Kommission am Mittwoch noch nicht vor, diese sollen erst nach einer Konsultationsphase folgen.
Die neue Datenstrategie - eine der Säulen der Digitalvision - will "den Austausch und die breite Nutzung von Daten kanalisieren und gleichzeitig hohe Datenschutz-, Sicherheits- und Ethik-Standards wahren", wie es in dem zugrunde liegenden Papier heißt. "Je mehr Daten wir haben, desto klüger werden unsere Algorithmen", hatte von der Leyen zuvor in einem kurzen Statement gesagt.
Dem Papier zufolge ist das Ziel die Schaffung eines "Binnenmarkts für Daten", in dem der Zugang zu öffentliche Daten erleichtert werden soll, und in dem es für private Anbieter einfacher werden soll, vorhandene Daten mit Wissenschaft oder Forschung zu teilen. Allerdings können solche gemeinsame Datenräume auch mit vorhandenen Wettbewerbsregeln in Konflikt geraten. Außerdem hocken Großkonzerne auf Datenbergen, die auch für andere Firmen interessant sein können. Darum will die Kommission prüfen, ob die EU-Wettbewerbsregeln für das digitale Zeitalter noch geeignet sind: "Wir werden uns die dominierenden Unternehmen in diesem Bereich genau ansehen", sagte Vestager. "Wir haben bisher aber noch nichts Konkretes zu Papier gebracht."
Die zweite Säule der Digitalstrategie betrifft Anwendungen der Künstlichen Intelligenz (KI), die bei vielen Bürgern für Unbehagen sorgen. Vestager sagte: "KI ist nicht per se gut oder schlecht. Es kommt immer darauf an, wie und zu welchen Zwecken sie eingesetzt wird." Mit einem am Mittwoch vorgestellten "Weißbuch" will die EU-Kommission in den kommenden Monaten zur Diskussion anregen. Regulierungsansätze sollten sich jedoch danach richten, wie gefährlich eine konkrete Anwendung für den Bürger sein kann.
Bei der besonders umstrittenen Gesichtserkennung zum Beispiel sei es "etwas völlig anderes, ob es darum geht, das eigene Smartphone zu entsperren, oder um großflächige Gesichtserkennung im öffentlichen Raum", sagte Vestager. Die Datenschutzgrundverordnung erlaube solche Verfahren nur im Ausnahmefall. Mit dem Weißbuch wolle man eine Debatte anregen, unter welchen Bedingungen Gesichtserkennung im öffentlich Raum zulässig sein soll - falls überhaupt.
Schließlich bekräftigte die EU-Kommission erneut ihr Vorhaben, Online-Plattformen strenger zu regulieren. "In einer Welt, in der große Teile der öffentlichen Debatte und der politischen Werbung auf das Internet verlagert wurden, müssen wir auch bereit sein, unsere Demokratien energisch zu verteidigen", heißt es in der Digitalstrategie. Konkrete Gesetzesvorschläge sollen im vierten Quartal folgen.
In Brüssel wurden die Vorhaben der EU-Kommission überwiegend positiv aufgenommen. Der Digitalverband Digital Europe begrüßte die Ankündigung als positiven Schritt hin zu einem stärkeren digitalen Europa. Es sei wichtig, dass Politik und Industrie eng zusammenarbeiteten und mögliche Regelungen erprobt würden um sicherzustellen, dass die gesteckten Ziele auch erreicht würden. Monique Goyens vom europäischen Verbraucherverband Beuc sagte, es sei zwar gut, dass die EU sich nun dafür einsetze, dass Daten besser genutzt werden können. "Aber wenn es um persönliche Daten geht, sollte der Verbraucher immer selbst entscheiden können, wie seine Daten genutzt und geteilt werden."