EU-Digitalstrategie:Brüsseler Astronauten

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Der Italiener Roberto Viola hat die Digitalstrategie der EU-Kommission geprägt. Er will, dass die Europäer die Daten, die sie produzieren, stärker selbst nutzen.

Von Karoline Meta Beisel

Als Angela Merkel das Internet 2013 als "Neuland" bezeichnete, war der Spott groß - war das World Wide Web damals doch bereits 23 Jahre alt. Aber selbst die Bundeskanzlerin wäre damals wohl nicht so weit gegangen wie Roberto Viola, der den Umgang mit Merkels neuer Welt sogar mit einem Ausflug ins All vergleicht: "In der digitalen Welt sind wir alle Astronauten", sagt Roberto Viola.

Nun ist Roberto Viola, Jahrgang 1959, kein Analog-Nostalgiker, im Gegenteil: Er kennt sich mit beiden Themen hervorragend aus, mit dem Weltall - und mit dem Internet. Zwar ist der Italiener sogar in Brüssel nur Fachleuten bekannt. Als Leiter der EU-Generaldirektion für Kommunikationsnetze und Technologien ist er jedoch der einflussreichste Beamte, den die Europäische Union in Digitalfragen hat: Wenn die EU-Kommission an diesem Mittwoch ihre neue Digitalstrategie vorstellt, präsentiert sie vor allem das Ergebnis seiner Arbeit.

Dabei galt Violas Interesse von Anfang an tatsächlich eher dem Weltraum, und seinen unendlichen Weiten. "Es war der Traum meines Lebens, da mitzumachen", sagt Viola. Der studierte Elektroingenieur verbrachte die ersten 13 Jahre seines Berufslebens bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA, wo er an Kommunikationssystemen für Satelliten im All arbeitete.

Eine Welt, die zwar in Lichtjahren weit weg entfernt ist von der Erde - die Violas Arbeit aber bis heute prägt; zumal sie inhaltlich für ihn nicht so weit weg ist, wie man denken könnte: "Viele Dinge, die wir in der digitalen Welt selbstverständlich nutzen, wurden ursprünglich mal für die Raumfahrt entwickelt", sagt Viola. Als Beispiel nennt er die Sensoren, die dem Smartphone verraten, ob es gerade horizontal der vertikal gehalten wird, und die ursprünglich für die Apollo-Mission entwickelt worden seien.

Viola muss die Macht großer Konzerne mit der Freiheit der Bürger in Einklang bringen

Die frühen Jahre der Raumfahrt waren geprägt vom Wettlauf ums All. Heute mahnen Politiker, die USA und China seien Europa in Sachen Digitalisierung längst enteilt. "Es stimmt, in der Vergangenheit hat Europa etwas geschlafen", sagt auch Roberto Viola. Die EU habe spät verstanden, wie sich Gesellschaft und Wirtschaft verändert hätten. Er glaubt aber nicht, dass es zu spät ist, den Anschluss zu schaffen, denn: "Wir stehen noch ganz am Anfang der digitalen Revolution."

In der Zukunft werde es maßgeblich um Daten gehen, und wie man sie nutzt. "Wir Europäer produzieren einen riesigen Berg an Daten. Stellen Sie sich vor, was möglich wäre, wenn wir all diese Daten in Europa selbst und zum Vorteil unserer Gesellschaft und Wirtschaft einsetzen würden?" Um diesem Ziel näher zu kommen, stellt die EU-Kommission am Mittwoch neben der Digitalstrategie und Ideen zur Künstlichen Intelligenz auch eine europäische Datenstrategie vor - noch so ein Werk, das in Violas Haus entstanden ist; dem Vernehmen nach auf nachdrücklichen Wunsch des französischen Binnenmarktkommissars Thierry Breton.

Fast immer hat Violas Arbeit heute damit zu tun, die Macht großer Konzerne mit der Freiheit der Bürger in Einklang zu bringen. Eine Aufgabe, auf die ihn sein zweiter Job vorbereitet hat: Als Silvio Berlusconi Ministerpräsident war, arbeitete Viola als Generalsekretär bei der italienischen Medienregulierungsbehörde - deren Aufgabe es unter anderem war, Berlusconis Medienunternehmen Mediaset zu kontrollieren.

"Ich habe damals zwei Dinge gelernt, an die ich mich heute noch halte. Erstens: Echte Unabhängigkeit ist fundamental wichtig für gute Gesetzgebung. Und zweitens, dass man gut zuhören und allen Beteiligten mit Respekt entgegen treten muss", sagt Viola über seine Erfahrungen aus dieser Zeit. Letzteres zumindest bestätigen Menschen, die in Brüssel mit Viola zusammenarbeiten. So bemühe er sich bei Besprechungen stets, von allen Anwesenden den Vornamen zu erfahren, um sie persönlich ansprechen zu können, sei freundlich und humorvoll. In Verhandlungen aber könne er "hart wie ein Boxer" sein.

Das dürften Tech-Konzerne in den kommenden Monaten zu spüren bekommen. In manchen Bereichen komme man zwar mit Selbstregulierung weiter, sagt Viola. An anderen Stellen brauche es aber harte Gesetze. An diesem Montag kommt Facebook-Chef Mark Zuckerberg nach Brüssel, der zuletzt ebenfalls um mehr Regulierung gebeten hatte. "Ich glaube, diesen Firmen wäre es eigentlich lieber, wenn die Rechtslage etwas klarer wäre", sagt Viola. "Nur dass deren Idee von neuen Gesetzen nicht automatisch dem entspricht, was gut für die europäischen Bürger ist."

Quantencomputer werden die Welt verändern, davon ist Viola überzeugt

Um diesen Bürgern noch mehr Vorteile der Digitalisierung zu sichern, setzt Viola auf die Entwicklung von Quantencomputern, wie er am Beispiel des neuen Corona-Virus erklärt: "Wir brauchen heute sehr lange, um zu verstehen, wie wir den Virus bekämpfen könnten", sagt Viola. "Mit einem Quantencomputer wäre das eine Sache von Minuten."

Solche Computer werden die Welt verändern, da ist sich Viola sicher. Umso mehr frustriert es ihn, dass in den derzeitigen Verhandlungen zum EU-Haushalt nur vergleichsweise wenig Geld für derartige Investitionen vorgesehen sind. "Einem Marsianer, der die Erde besucht, könnte man das nicht erklären", sagt Viola.

Mit ausreichender Rechenleistung könnte auch eine Vision wahr werden, die Viola zufolge nicht mehr weit weg ist: die eines "digitalen Zwillings" von Menschen und Objekten, an dem sich etwa der Erfolg ärztlicher Behandlungen oder Wartungsarbeiten in Fabriken testen und planen lassen. Selbst eine digitale Kopie der Erde sei dann denkbar, mit der man Antworten auf den Klimawandel durchspielen könnte. Dank des Erdbeobachtungsprogramms Copernicus sei in der EU schon heute umfangreiches Daten- und Bildmaterial vorhanden. Jetzt gelte es, mithilfe dieser Bilder ein Modell zu erarbeiten. Wer weiß: Wenn schon Viola selbst nicht ins All geflogen ist - vielleicht kann er eines Tages zumindest seinen digitalen Zwilling dorthin schicken.

© SZ vom 17.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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