EU der Zukunft:So oder anders

EU-Kommissionspräsident Juncker und FDP-Chef Lindner reden über Europa - jeder auf seine Weise. Heikel: die Vergemeinschaftung der Finanzen.

Von Cerstin Gammelin und Thomas Öchsner, Berlin

Als EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker 39 Jahre alt war, so wie FDP-Chef Christian Lindner gerade ist, amtierte er schon einige Jahre als Finanzminister in Luxemburg. Damals, und später als Regierungschef im Herzogtum, saß Juncker mit dem deutschen Kanzler und dem französischen Präsidenten am Tisch und verhandelte den Vertrag von Maastricht und die Einführung des Euro. Juncker saß dort, weil er neben Deutsch und Französisch eine ganz besondere Sprache sprechen konnte - die des Vermittlers zwischen großen Nationen.

EU der Zukunft: "Brüssel gibt es nicht. Brüssel ist auch Merkel und Macron und Salvini." EU-Präsident Jean-Claude Juncker beim SZ-Wirtschaftsgipfel in Berlin.

"Brüssel gibt es nicht. Brüssel ist auch Merkel und Macron und Salvini." EU-Präsident Jean-Claude Juncker beim SZ-Wirtschaftsgipfel in Berlin.

(Foto: Stephan Rumpf)

Juncker und Lindner sitzen beim SZ-Wirtschaftsgipfel in Berlin - getrennt zwar, aber auch so wird deutlich: Der eine ist Europäer, der andere verspricht sich Vorteile davon, einer zu sein. Lindner hat es bisher zum Vorsitzenden der Liberalen gebracht. Den Ruf, ein in Fremdsprachen versierter Vermittler zu sein, konnte er sich nicht erwerben. Aber er will seine Partei europäischer machen. Jedenfalls in dem Sinne, dass die FDP zusammen mit der Bewegung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in die Europawahl ziehen wird - und ein wenig Glanz abfällt. "Ich bin sehr stolz sagen zu dürfen, dass wir von den Liberalen zusammen mit Macron in die Europawahl ziehen", sagt Lindner sichtlich zufrieden. Die CDU, schiebt er nach, kämpfe mit Ungarns Premier Viktor Orbán in einer Gruppe.

SZ Wirtschaftsgipfel 2018 Berlin Tag 1

Für SZ-Chefredakteur Kurt Kister bedeutet Europa vor allem eins: Frieden.

(Foto: Matthias Döring)

Lindner sagt, "wir brauchen dringend mehr Europa" - nicht aber, wenn es um die "Vergemeinschaftung von Finanzen" geht. Es dürfe nicht dazu kommen, dass teure Versprechen des von Populisten regierten Italiens "mit deutscher Bonität" finanziert werden, warnt der FDP-Chef.

Juncker hat ein ganz konkretes Problem mit Italien - es ist deren Haushaltsplanung, die gegen EU-Regeln verstößt. Juncker fordert die Regierung in Rom auf, das wie vereinbart zu korrigieren. "Das Regelwerk muss respektiert werden", sagt er, "und es kann auch von Italien respektiert werden, weil wir seit 2015 in den Anwendungsbereichen des Stabilitätspaktes so flexibel waren, dass die Italiener in den vergangenen Jahren 30 Milliarden Euro mehr ausgeben konnten, ohne dass die Stabilitätsklappe gefallen ist". Die EU-Kommission habe sich bereits "für Italien einigermaßen entfernt von der sturen orthodoxen Anwendung des Stabilitätspaktes entfernt. Und ich hätte gerne von Italien, dass man das anerkennt". Zurzeit sei das nicht so, "weshalb ich immer wieder darüber reden muss".

EU der Zukunft: Im Kreuzverhör stellt sich FDP-Chef Christian Lindner den Fragen von SZ-Innenpolitik-Chefin Ferdos Forudastan und SZ-Chefredakteur Kurt Kister.

Im Kreuzverhör stellt sich FDP-Chef Christian Lindner den Fragen von SZ-Innenpolitik-Chefin Ferdos Forudastan und SZ-Chefredakteur Kurt Kister.

(Foto: Stephan Rumpf)

Inhaltlich sind sich Macron und Lindner jedenfalls nicht so eng wie Juncker und Macron. Eine europäische Arbeitslosenversicherung "kann man machen, muss man nicht", sagt Lindner. Er zeigt sich verwundert darüber, dass Friedrich Merz vor seiner Kandidatur für den CDU-Vorsitz einen Europa-Aufruf unterschrieben hatte, in dem weitreichende Schritte zur EU-Integration gefordert werden - bis hin zur europäischen Arbeitslosenversicherung. Für Juncker ist das dagegen selbstverständlich. Der Euro müsse unumkehrbar gemacht werden, sagt er. Und: "Das Soziale ist kein europäisches Beiwerk, das ist das Herz der Union". Nur, wie soll es mit der Digitalsteuer laufen, mit der die EU-Kommission Facebook oder Google zwingen soll, mehr Steuern zu zahlen - und für mehr Gerechtigkeit zu sorgen? Lindner sagt, er habe noch kein Konzept gesehen, was ihn überzeuge. Juncker hat eins vorgelegt, um das gestritten wird.

Juncker zeigt sich ungewöhnlich pragmatisch, was die Zukunft der Europäischen Union angeht. Über die Vereinigten Staaten von Europa solle besser nicht mehr geredet werden. Wer diesen Begriff vor sich hertrage, schrecke die Bürger ab, weil es nach Verstaatlichung klinge. Nicht nach Zukunftsversprechen. Stattdessen solle man Europa besser erklären - und besser übereinander reden. Europa, sagt Juncker, sei wie ein dickes Seil, das aus vielen Fäden bestehe, aus den Bürgern und Mitgliedstaaten. "Und die Summe der Fäden macht Europa aus."

Lindner plant mit den Europawahlen im Mai 2019. Er liebäugelt mit Jamaika in Deutschland, sollte Angela Merkel nach dem CDU-Vorsitz auch das Kanzleramt abgeben. "Die nächste Jamaika-Regierung könnte vielleicht unter Umständen eine gute Regierung werden." Mit wem als CDU-Chef und als Kanzler? Egal, sagt Lindner, ob mit Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz oder Jens Spahn, es ginge mit allen Kandidaten, "und es muss auch mit allen gehen".

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: