Süddeutsche Zeitung

Europäische Union:Deutschlands EU-Beitrag soll um 8,5 Milliarden Euro steigen

  • Der EU-Haushalt für die kommenden sieben Jahren sieht einen starken Anstieg der Mitgliedsbeiträge vor. Grund ist der geplante Austritt Großbritanniens aus der EU.
  • Künftig sollen die EU-Ausgaben 1,1 Prozent der Wirtschaftsleistung des Blocks betragen - bislang lag die Grenze bei einem Prozent.

Von Björn Finke, Brüssel

Die Klubgebühren steigen, und das gleich um ein Viertel: Der Mitgliedsbeitrag Deutschlands zur Europäischen Union soll im Jahr 2027 annähernd 35 Milliarden Euro betragen. Das sind 8,5 Milliarden mehr, als im kommenden Jahr fällig sind. Diese Berechnungen präsentierte Gert Jan Koopman, Generaldirektor der Haushaltsabteilung der EU-Kommission, am Dienstag in Brüssel. Die Zahlen unterfüttern den Entwurf der Behörde für den Budgetplan für die sieben Jahre von 2021 bis 2027 - und sie liefern Munition für erbitterten Streit. Denn die Mitgliedstaaten müssen sich auf den sogenannten mittelfristigen Finanzrahmen einigen, und die Positionen liegen weit auseinander.

Deutschland gehört zu den EU-Staaten, die auf Sparsamkeit dringen. Kein Wunder, schließlich zahlt das Land deutlich mehr in die Brüsseler Kasse ein, als von dort in Form von Agrarsubventionen oder Hilfen für arme Regionen in die Bundesrepublik zurückfließt: Deutschland ist der größte Nettozahler.

Haushaltsdirektor Koopman argumentiert aber, dass Statistiken über Nettozahler und -empfänger "als Maßstab für Fairness absolut bedeutungslos" seien. Schließlich verwende die EU einen großen und wachsenden Anteil ihres Budgets nicht für Agrarsubventionen und benachteiligte Landstriche, sondern für Aufgaben wie Forschungsförderung oder Hilfe in der Flüchtlingskrise. Von den Effekten dieser Investitionen profitierten alle Staaten - genau wie vom Binnenmarkt. Die wirtschaftlichen Vorteile des gemeinsamen Marktes stellten "ein Vielfaches der Beitragszahlungen" dar, sagt Koopman.

Trotzdem spielen Berechnungen zur Nettobelastung eine große Rolle in der Debatte. Deutschland überwies nach Angaben der Kommission zuletzt 13,5 Milliarden Euro mehr pro Jahr nach Brüssel, als von da direkt zurückfloss. Die Bundesregierung befürchtet eine Steigerung auf gut 30 Milliarden Euro bis 2027, wenn das neue Sieben-Jahres-Budget so üppig ausfällt, wie sich das die Brüsseler Behörde erhofft. Koopmans Chef, Haushaltskommissar Günther Oettinger, tut die Berliner Kalkulationen allerdings als "schlichtweg falsch" und "Horrorzahlen" ab. Der Deutsche hält eine Nettobelastung von 23,5 Milliarden Euro im Jahr 2027 für realistisch.

Der Ausstieg des Vereinigten Königreiches ist nicht der einzige Grund für den starken Anstieg

Der Streit um das Sieben-Jahres-Budget ist diesmal besonders heftig, weil Großbritannien im Falle des Brexit-Vollzugs als wichtiger Nettozahler wegfallen wird. Zugleich verspricht die designierte Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, ehrgeizige und damit kostspielige Vorhaben, etwa beim Klimaschutz oder dem digitalen Wandel. Oettinger präsentierte den Haushaltsentwurf bereits vor anderthalb Jahren. Demnach soll die EU nicht mehr als gut 1,1 Prozent der Wirtschaftsleistung des Blocks ausgeben. Das entspricht insgesamt 1,135 Billionen Euro für die sieben Jahre. Bislang liegt die Grenze bei einem Prozent; die Steigerung soll den Abgang der Briten teilweise auffangen. Das EU-Parlament, das dem Haushaltsrahmen zustimmen muss, fordert gar eine Erhöhung auf 1,3 Prozent.

Doch fünf der neun Nettozahler in der EU - darunter Deutschland - verlangen, dass ein Prozent als Höchstgrenze beibehalten wird: sehr zum Ärger jener Staaten, die von Hilfsgeldern stark profitieren. Deren Regierungen schlossen sich zum Bündnis "Freunde der Kohäsionspolitik" zusammen, am Dienstag trafen sie sich in Prag. Kohäsionspolitik ist der Fachbegriff für die Förderung benachteiligter Regionen.

Es war vorgesehen, dass sich die Mitgliedstaaten bis Ende 2019 auf den mittelfristigen Haushaltsrahmen einigen. Aber das ist wegen der großen Meinungsunterschiede nicht zu schaffen. Nun könnte es gar Sommer oder Herbst 2020 werden. Im Juli wird Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen. Es ist daher gut möglich, dass dann unter deutscher Führung eine Lösung gefunden werden muss. Kommission und Parlament warnen allerdings, bei einer derartig späten Verabschiedung könnten manche EU-Programme Anfang 2021 ohne Geld dastehen, weil nicht mehr genügend Zeit für die Umsetzung des Budgetplans bleibe.

Die Einigung wird noch erschwert wegen eines Disputs um Rabatte. Neben Großbritannien erhalten fünf weitere, eher wohlhabende Staaten einen Nachlass auf ihre Beitragszahlungen, darunter auch Deutschland. Oettinger will den Abgang der Briten zum Anlass nehmen, alle Rabatte zu streichen, da dies die Finanzierung seiner Ansicht nach fairer und transparenter machen würde. Die Profiteure möchten ihre Rabatte jedoch nicht aufgeben: viel Geld, viel Ärger.

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SZ vom 06.11.2019/mxh
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