Europäische Union:Womit die EU bald anecken wird

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Der Chempark in Leverkusen: Hier sitzt auch die Bayer-Abspaltung Covestro. Der Chef des Dax-Konzerns warnt vor den Folgen der hohen Strompreise. (Foto: Rupert Oberhäuser/imago images/Rupert Oberhäuser)

Das neue Arbeitsprogramm der Brüsseler Kommission für 2023 ist üppiger als im Vorjahr und verspricht einige heikle Initiativen, etwa auf dem Strommarkt, bei den Schuldenregeln oder der Chemie-Regulierung.

Von Björn Finke, Brüssel

Im letzten vollen Jahr ihrer Amtszeit gibt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen noch einmal richtig Gas. An diesem Dienstag präsentiert die Brüsseler Behörde ihr Arbeitsprogramm für 2023, und darin finden sich 43 Initiativen - nach lediglich 32 für 2022. Dies ergibt sich aus dem Entwurf des Programms, welcher der Süddeutschen Zeitung vorliegt. 2024 würde es dann schwer für von der Leyen, weitere Akzente zu setzen. Ihre Amtszeit endet zwar erst im November, doch schon im Frühjahr 2024 wird ein neues Europaparlament gewählt, was den politischen Betrieb kurzzeitig lahmlegen wird. Im Programm für 2023 findet sich nun nicht nur vieles, sondern auch manch Brisantes - etwa bei der Chemie-Regulierung.

Erst am Freitag schickten sechs Umweltgruppen, darunter Chem Trust Europe aus Hamburg, einen offenen Brief an von der Leyen, in dem sie vor Verzögerungen bei der Überarbeitung der sogenannten Reach-Verordnung warnen. Dieses EU-Gesetz zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe gilt seit 2007 und wird von der Kommission als strengstes Chemikalienrecht der Welt angepriesen. Trotzdem versprach die Behörde in ihrer vor zwei Jahren vorgestellten Chemikalienstrategie, Reach noch zu verschärfen, damit bedenkliche Stoffe schneller aus Produkten für Verbraucher gebannt werden.

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Die EU-Kommission wird ein entsprechendes Gesetz vorschlagen. Mitgliedstaaten sollen sich nicht mehr länger überbieten in Verhandlungen mit Förderländern. Außerdem will Brüssel eine Art Preisdeckel für wenige Monate erlassen.

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Der jüngste Zeitplan sah vor, dass der Gesetzesvorschlag Ende dieses Jahres kommt, aber das ist nicht zu halten. Die Chemie-Industrie und auch die CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament fordern, 2023 ebenfalls auf diese Verschärfung zu verzichten, da die Branche bereits genug mit Lieferkettenproblemen und hohen Energiepreisen zu kämpfen habe.

Die sechs Umweltgruppen sind gegen so einen Aufschub. Ansonsten "könnten Jahre für einen besseren Umwelt- und Verbraucherschutz verloren gehen", sagt Ninja Reineke, die Chefin von Chem Trust Europe. Schon vor zwei Wochen schickten die Umweltminister von sieben EU-Staaten, darunter Deutschland, sowie von Norwegen einen Brief mit diesem Tenor an die Kommission. Im Entwurf des Arbeitsprogramms taucht die Reach-Novelle jetzt wirklich auf - allerdings erst für das vierte Quartal 2023 und mit dem erklärten Fokus, bürokratische Lasten für die Industrie zu mindern. Den Verzicht auf schädliche Stoffe nennt das Programm dagegen nicht ausdrücklich als Ziel.

Von der Leyen braucht mehr Geld

Ähnlich heikel ist, was die Kommission für das dritte Quartal 2023 anpeilt. Da will sie mit einer "umfassenden Reform des EU-Elektrizitätsmarktes" die Verknüpfung von Gas- und Strompreis brechen. Bisher bestimmen die teuersten Kraftwerke den Preis an den Strombörsen - und das sind die Gaskraftwerke. Billige Öko- und Atomstromanbieter profitieren von der gleichen Notierung und erzielen enorme Gewinne. Die Reform soll das Marktdesign ändern, wobei Fachleute vor den Schwierigkeiten und Risiken warnen.

Bereits im zweiten Quartal soll Haushaltskommissar Johannes Hahn einen Kassensturz machen und prüfen, ob der Mehrjährige Finanzrahmen angepasst werden muss. Das ist der mittelfristige Etatplan der EU für die sieben Jahre von 2021 bis 2027. Auf den hatten sich die Staats- und Regierungschefs vor zwei Jahren geeinigt. Doch von der Leyen klagte vergangene Woche, dass der Etat nicht für die Herausforderungen ausgelegt sei, die seitdem auf die EU zugekommen sind, etwa den Ukraine-Krieg und die hohen Energiepreise. Zudem senke die Inflation die Kaufkraft des Budgets. Sprich: Die Deutsche wünscht sich mehr Geld von den Mitgliedstaaten. Da werden harte Debatten anstehen.

Das Gleiche dürfte für die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts gelten, also der Regeln für solide Haushaltsführung. Hier verspricht das Arbeitsprogramm konkrete Vorschläge im ersten Quartal.

Im Europaparlament regt sich schon Kritik an dem üppigen Programm: "Angesichts der Weltlage wäre Zurückhaltung das Gebot der Stunde gewesen", sagt der CSU-Abgeordnete Markus Ferber. "Stattdessen hat die Kommission wieder mehrere Belastungspakete für europäische Unternehmen im Gepäck." Dem wirtschaftspolitischen Sprecher der christdemokratischen EVP-Fraktion stößt besonders sauer auf, dass der Fahrplan fast keine konkreten Erleichterungen für Mittelständler vorsieht. Dabei versprach Ferbers Parteifreundin von der Leyen vor einem Monat bei einer Rede im EU-Parlament solch ein Entlastungspaket für kleinere Firmen. "Von dem Versprechen", klagt Ferber, "ist nichts übrig geblieben."

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