Auf dem Papier war es ein großer Erfolg: Vor zwei Wochen bestätigte das zuständige EU-Gericht eine Geldbuße von 2,4 Milliarden Euro, verhängt von der EU-Kommission gegen Google wegen Behinderung von Wettbewerbern. Das beanstandete Verhalten begann aber bereits 2008, seit 2010 ermittelte die Brüsseler Behörde, 2017 legte sie die Strafe fest und untersagte die Praktiken. Google klagte und könnte nun in die nächste Instanz ziehen. 13 Jahre - das ist im schnelllebigen Onlinegeschäft eine Ewigkeit. Bis die Kommission Verhalten verbieten kann und bis das rechtskräftig ist, sind kleinere Konkurrenten längt aus dem Markt gedrängt.
Ein neues Regelwerk soll jetzt Abhilfe schaffen, und am Dienstag nahm es eine wichtige Hürde: Da verabschiedete der Binnenmarktausschuss des Europaparlaments in Straßburg seine Verhandlungsposition zum Gesetz über digitale Märkte mit 42 zu zwei Stimmen. Der Rechtsakt firmiert in Brüssel gemeinhin unter seiner englischen Abkürzung DMA - Digital Markets Act. Mitte Dezember wird das Plenum des Parlaments diese Position bestätigen, danach beginnen die Diskussionen mit dem Ministerrat, dem Gremium der Mitgliedstaaten. Der Rat wird seine Position an diesem Donnerstag festzurren. Einigen sich beide Gesetzgebungskammern wie erwartet bis zum Sommer, könnte der Rechtsakt Ende 2022 in Kraft treten. Der für das Gesetz zuständige Europaabgeordnete Andreas Schwab (CDU) sagte, das "sehr klare" Abstimmungsergebnis sende eine Botschaft an die Mitgliedstaaten, dass das Parlament in den Gesprächen hart bleiben werde.
Präsentiert hatte die EU-Kommission den Gesetzentwurf im vergangenen Dezember, gemeinsam mit einem anderen wichtigen Rechtsakt: dem Gesetz über digitale Dienste, das strengere Regeln gegen illegale Inhalte vorsieht. Beide Gesetze zusammen sollen dem Internet in Europa neue Spielregeln verpassen.
Die Mitgliedstaaten nahmen am ursprünglichen DMA-Vorschlag der Kommission nur wenige Änderungen vor. Das Europäische Parlament dagegen hat den Gesetzentwurf an manchen Punkten verschärft, aber zugleich seinen Geltungsbereich eingeschränkt. Der Rechtsakt wird der Kommission erlauben, mächtige Internetplattformen wie Google zu sogenannten "Gatekeepern" zu erklären. Diese Unternehmen sind für Bürger Türsteher und Wegweiser fürs Web; diese Position können sie ausnutzen, um eigene Angebote zu bevorzugen und kleinere Rivalen zu benachteiligen. Deswegen wird das Gesetz Gatekeepern besondere Verhaltensvorschriften machen. Diese orientieren sich an den Erfahrungen der EU-Kommission aus Wettbewerbsverfahren gegen Konzerne wie Google, Apple und Amazon.
Apple muss andere App-Stores zulassen
So dürfen diese mächtigen Unternehmen eben nicht mehr eigene Dienste in Suchergebnissen bevorzugen, wie es Google in dem 2,4-Milliarden-Euro-Fall tat. Sie dürfen auch nicht - wie es Amazon vorgeworfen wird - Geschäftsdaten unabhängiger Händler auf der Plattform sammeln und für eigene Angebote verwenden. Und sie müssen Handynutzern erlauben, andere App-Stores zu installieren und so mehr Auswahl bei Handyprogrammen zu erhalten. Dies wird Apple sehr schmerzen. Bei Verstößen kann die Kommission künftig direkt einschreiten, ohne erst in langen Untersuchungen Marktmacht und schädliche Folgen nachweisen zu müssen.
Ein Streitpunkt zwischen Parlament und Ministerrat dürften allerdings die Richtwerte für die Einordnung als Gatekeeper sein. Der Rat blieb beim Kommissionsvorschlag, dass Firmen mit einem Börsenwert von 65 Milliarden Euro und einem Umsatz in Europa von 6,5 Milliarden Euro in Frage kommen, wenn sie eine Online-Plattform kontrollieren, also etwa eine Suchmaschine, einen Cloud-Dienst oder einen Marktplatz betreiben. Neben den US-Konzernen Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft könnte das einige EU-Unternehmen wie Spotify oder Booking.com treffen.
Eine Nachricht von Whatsapp nach Signal schicken? Kein Problem
Das Parlament erweiterte die Liste der Plattformen, die betrachtet werden sollen, und zählt zum Beispiel auch internetfähige Fernseher oder Sprachassistenten wie Alexa dazu. Auf der anderen Seite erhöhten die Abgeordneten die Schwellenwerte für den Umsatz auf acht Milliarden Euro und den Börsenwert auf 80 Milliarden Euro. Damit dürfte aus Europa auf absehbare Zeit bloß noch Booking.com unter das Gesetz fallen können. Europaparlamentarier Schwab argumentiert, es sei besser, wenn sich die Kommission bei der Umsetzung und Kontrolle des Rechtsakts auf die wirklich großen Unternehmen konzentriere. Kritiker warnen aber, die US-Regierung könnte es als unfreundlichen Akt ansehen, wenn das wegweisende Gesetz fast nur amerikanische Firmen trifft.
Eine andere wichtige Ergänzung zum Kommissionsentwurf ist, dass das Parlament Gatekeeper zwingen will, Austausch zwischen rivalisierenden Messengerdiensten und sozialen Medien zuzulassen. Dann könnte ein Nutzer zum Beispiel eine Nachricht von Whatsapp zum Konkurrenten Signal schicken - auch diese Öffnung soll den Wettbewerb beleben.